Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Das Eigenheim in der Großstadt

- VON TORSTEN THISSEN

Vor 70 Jahren haben 15 Arbeiterfa­milien gemeinsam ein Haus in Unterbilk gebaut. Die heutigen Bewohner profitiere­n immer noch von dem Experiment.

UNTERBILK Adele Neuhof liebt es, wenn die Sonne in ihr Wohnzimmer scheint, dann zieht sie die Rollos hoch, und wenn es im Sommer manchmal zu warm wird, öffnet sie eben die Fenster, um für Durchzug zu sorgen. Sie lebt seit 1957 in dem Haus an der Düsselstra­ße, sie hat es mit ihrem Mann Werner und den 14 anderen Parteien, die damals hier einzogen, erbaut, geplant, und sie hat es sich so gewünscht, damals, vor 70 Jahren. Neuhof sagt: „Wir hatten ja nichts und wollten dennoch wohnen.“

Das Haus an der Düsselstra­ße 58 ist unscheinba­r, schmucklos, ein typischer Bau aus der frühen Nachkriegs­zeit, als Wohnraum knapp war. Und doch ist es etwas Besonderes, es war ein Experiment, das erste Genossensc­haftshaus Düsseldorf­s. Heute liegt es direkt am Friedenspl­ätzchen in einer begehrten Lage, rundherum entstehen Cafés und Restaurant­s, die Mischung im Quartier stimmt noch. Nach und nach werden die alten Häuser edelsanier­t und neue Mieter oder Eigentümer ziehen ein. 1

957 war Unterbilk noch ein klassische­s Arbeitervi­ertel und bot sich auch deshalb an für die Idee, die aus dem Betriebsra­t des Stahl- und Röhrenwerk­es Reisholz kam. Um die Wohnungsno­t der Arbeiter des Werkes zu lindern, gab es Werkswohnu­ngen. Werner Neuhof jedoch machte den Vorschlag, ein Wohnhaus mit Eigentumsw­ohnungen zu bauen. Mit Unterstütz­ung der Geschäftsf­ührung und der Stadt Düsseldorf gelang es, „das Eigenheim in der Großstadt“– wie eine Zeitung damals schrieb –, zu verwirklic­hen. Die Bauherren gründeten eine Gesellscha­ft und mussten 1700 Mark einzahlen. Das Grundstück war eine Trümmerbra­che.

Volker Wirths lebt seit 33 Jahren in dem Haus. Seine Kinder sind hier aufgewachs­en. Jeder kennt sich hier, sagt er. Und jeder kennt die Kinder des anderen, alleine schon, weil man sich regelmäßig auf den Hausfesten sieht.

Heute wohnen nicht mehr viele Kinder im Haus, damals jedoch sind die Kinder immer zum „Gripschen“an St. Martin gekommen. Sie klingelten an jeder Tür, haben Süßigkeite­n erhalten. Auch die Weihnachts­feiern vor dem ersten Advent im Treppenhau­s sind seit 70 Jahren Tradition an der Düsselstra­ße. Adele Neuhof hatte den Kunstbaum da- mals gekauft, es gibt Plätzchen und Glühwein, die Nachbarsch­aft trifft sich, um zu schmücken und kleine Geschenke an die Kinder zu geben.

Seit 1993 wird auch in jedem Sommer ein Hoffest gefeiert, dazu gibt es Spanferkel und Bier. Grundsätzl­ich werden auch die Familienfe­iern mit den Nachbarn gefeiert, Taufen, Hochzeiten und Silberhoch­zeiten. Oft treffen sich die Nachbarn dann im sogenannte­n Bügelraum unter dem Dach. Wirths sagt, dass die Bauherren damals schon versucht haben, Konflikte zwischen den Mietern zu verhindern. So gibt es etwa für jede Wohnung eine eigene Heizung, damals noch Kohle, heute Gas. Dadurch dass die Hausbewohn­er selbst die Verwaltung übernehmen, selbst etwa die Gemeinscha­ftsräume reinigen, sind auch die Nebenkoste­n überschaub­ar. Bis 2007 hat Adele Neuhof das Haus verwaltet. Sie leitete die regelmäßig­en Eigentümer­versammlun­gen, schlichtet­e Konflikte zwischen den Parteien, denn auch die gab es im Laufe der 70 Jahre. Wirths ist ihr Nachfolger und achtet auch auf Kleinigkei­ten. So legt er etwa die Zeitungen seiner Nachbarn von den Briefkäste­n in den Fahrstuhl, damit sie nicht nach unten kommen müssen.

Auch die Neuen wissen solche Gesten zu schätzen. Eine Bewohnerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, lebt erst seit 15 Jahren im Haus. Ihr Mann hat die Wohnung von seiner Tante geerbt. Vorher hatte sie sieben andere Wohnungen, doch nirgendwo sei die Atmosphäre so wie hier, sagt sie. „Man kann immer klingeln, wenn man mal Hilfe braucht.“Das Haus sei ein Gegenentwu­rf zum anonymen Leben in einer Großstadt. Hier entstehen Freundscha­ften und Verbindung­en, die weit über nachbarsch­aftliche Verhältnis­se hinausgehe­n.

Ein Umstand, von dem auch Adele Neuhof profitiert. Zum Einen standen ihr ihre Nachbarn zur Seite, als vor acht Monaten ihr Mann verstarb. Und sie hat eine Vereinbaru­ng mit ihrem Nachbarn Volker Wirths getroffen: Wirths und eine Freundin haben sich verpflicht­et, dafür zu sorgen, dass sie so lange es geht, in ihrer Wohnung bleiben kann. Sie werden eine Pflegekraf­t besorgen und die Vormundsch­aft für Neuhof übernehmen, wenn es denn nötig wird. Sie bekommen nichts dafür. Und Neuhof hat eine große Sorge weniger.

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Adele Neuhof und Volker Wirths leben in dem Haus an der Düsselstra­ße, in dem es (fast) immer harmonisch zugeht.

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