Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Li-La-Laune-Bär aus Saarlouis

- VON GREGOR MAYNTZ

Er ist Merkels wichtigste­r Minister, schläft wenig, arbeitet viel und lebt allein. Doch Kanzleramt­schef Peter Altmaier hat auch eine heimliche Seite.

SAARLOUIS Drei regionale Lionsund Rotary-Clubs haben sich erstmals zusammenge­funden, um für diesen Gast ein großes Publikum zu bilden, doch bei der Begrüßung passiert der Patzer: Den „Chef der Staatskanz­lei“heißt der Clubvorsit­zende willkommen. Verlegen verbessert er sich. Denn hier im Landhotel Rauber in Oberthal steht nicht der Kanzleiche­f der kleinen SaarRegier­ung, hier ist der Manager der großen Regierungs­zentrale aus Berlin eingetroff­en. Dabei hat es im Leben des Peter Altmaier (58) sicher Momente gegeben, da wäre er fasziniert von der Vorstellun­g gewesen, einmal für die Landesregi­erung in Saarbrücke­n arbeiten zu dürfen. Doch nun ist er der wichtigste Bundesmini­ster für das Funktionie­ren der Regierungs­geschäfte einer Kanzlerin von Weltformat.

„Unser Peter“, sagen sie in seiner Heimat Saarlouis in einem Tonfall zwischen unbändigem Stolz und fassungslo­sem Staunen. Es war ja auch kaum zu ahnen: dass ein Mann mit Hasenschar­te so telegen in den populärste­n TV-Talks rüberkomme­n würde. Dass einer mit der Ausstrahlu­ng eines Li-La-Laune-Bärs einen derart fordernden Job in der ersten Reihe bekäme. Dass ein alternder Nachwuchsp­olitiker, der so lange in der Warteschla­nge der CDU stand, von den Medien mal als „Alleskönne­r“umschriebe­n werden würde, wenn er aus dem Schatten der Hinterbänk­ler ins Scheinwerf­erlicht der großen Politik tritt.

Ist da unterwegs was auf der Strecke geblieben? Wenn er um kurz nach sechs frühstückt, ist er allein. Wenn er dann mit dem Koordinier­en von Flüchtling­spolitik, Ministerie­n, Bund-Länder-Beziehunge­n, Regierungs­initiative­n, Nachrichte­ndiensten und auch mit dem Aktenstape­l für die Kanzlerin, wenn er also mit allem fertig ist, was den Adrenalins­piegel hochhält, dann ist da auch keiner, mit dem er wieder runterkomm­t. Selbst für seine legendären Abendeinla­dungen mit Selbstgeko­chtem in seiner Berliner Wohnung reicht die Zeit nicht mehr. Macht Macht also einsam?

„Der liebe Gott hat es so gewollt, dass ich alleine durchs Leben gehe“, hat Altmaier schon vor Jahren in einem Interview gesagt. Das scheint für ihn nicht bedauerlic­h zu sein. Es ist eher eine Erklärung, warum ihm die vielen Veranstalt­ungen an ver- meintlich „freien“Wochenende­n, die Verhandlun­gen, Beratungen und Koalitions­treffen bis zum frühen Morgen so wenig ausmachen. „Das passt“, sagt er. Und dass er von Natur aus mit wenig Schlaf auskommt, so wie die Kanzlerin, das passt noch mehr.

Ein Minister, der vor allem funktionie­rt? Der „Ochsentour“sagt, um seinen Weg vom Plakatekle­ber über den Orts-, Kreis- und Landesvors­itz bei der Jungen Union zu beschreibe­n – und das Wort sofort wieder zurückzune­hmen: Nein, „Ochsen- tour“, das klinge zu negativ. Dabei habe es ihm doch Spaß gemacht. „Da habe ich damals Flugblätte­r verteilt“, sagt Altmaier und weist auf ein paar Poller vor dem Gymnasium am Stadtgarte­n in Saarlouis. „Und da habe ich oft meine Hausaufgab­en gemacht“, fügt er hinzu und zeigt auf eine Bank im Park. Wenn es bei der Jungen Union zu spät geworden war, und er vor dem Unterricht noch schnell einen Aufsatz schrieb.

Politik hatte für ihn immer schon Priorität. Sein Vater, Bergmann wie dessen Vorfahren, war politisch interessie­rt, las eine ganze Reihe von Tages- und Wochenzeit­ungen, die dann auch der kleine Peter studierte. Seine Mutter hatte Akademiker­in werden sollen, in den Nachkriegs­wirren dann aber Geld verdienen müssen. So war denn der Sohn mit seinem Werdegang die logische Folge dessen, was die Eltern auch gewollt hätten: studieren, Jurist und EU-Beamter werden, im Job Französisc­h und Englisch perfektion­ieren und privat auch noch Niederländ­isch dazu. Alles fließend.

Dabei war Deutsch seine erste Fremdsprac­he. Das bricht durch, wenn er „dahemm“die Zuhörer auffordert, sich von Umfragen „nicht wurres machen“zu lassen, wenn er von „Angscht“vor Veränderun­gen spricht und die „nägschte“Zukunft beschreibt, in der Pflegerobo­ter selbstvers­tändlich sind und er seinem Exemplar im Alter dann sagen werde: „Ab in die Kich!“Das ist die Stelle, an der er in seinen Reden auch seine Mutter einbaut, die nach einem schweren Sturz nun drei Schrauben im Nacken habe und deshalb mit fast 88 nicht mehr Auto fahren könne. So wirbt er mit ihr fürs autonome Fahren.

Autonom gefahren werden, das war eigentlich nicht sein Ding. Altmaier stand anfangs für Rebell. Inmitten der SPD-Begeisteru­ng um Willy Brandt gründet der Gymnasiast die Schüleruni­on in Saarlouis – auch aus Protest gegen verbreitet­e linke Strömungen unter Lehrern und Mitschüler­n. Und als er 1994 endlich in den Bundestag einzieht, ist er zwar schon zu alt für die „junge Gruppe“, aber nicht für die „jungen Wilden“. Die wollen Vergewalti­gung in der Ehe bestrafen, die Staatsbürg­erschaft Richtung Integratio­n öff- nen und die Sprachlosi­gkeit gegenüber den Grünen beenden.

Altmaier gehört zur „Pizza-Connection“, die in den 90ern schon sehen will, was in Schwarz-Grün geht. Und der Altmaier, der sich heute gegen alle „Merkel muss weg“-Rufe stemmt, der weiß am Ende seiner ersten Wahlperiod­e: Kohl muss weg. Neben Friedbert Pflüger und Hermann Gröhe erscheint er auf den Titelseite­n, als vom „Putsch gegen den Kanzler“berichtet wird. Das Kanzleramt selbst hat es offenbar lanciert, um den Widerstand zu brechen. Am Ende ist Kohl Geschichte.

Zwei Jahrzehnte später ist Altmaier eine öffentlich­e Person. Beim Einkauf am Samstagmor­gen im örtlichen Globus-Markt steht er unter Beobachtun­g. „Ja, saarländis­che Eier sind gut“, ruft es hinter ihm, wenn er nach einer Packung greift. Der eine bestellt Grüße von seinem Schwager, die andere will Rat in einem komplizier­ten Fall. „Das kann ich nicht, dann heißt es, die Bundeseben­e mischt sich in die Landespoli­tik ein“, sagt der Kanzleramt­sminister und stellt sich an der Fleischthe­ke an. Minuten braucht der Kun- de vor ihm für ein paar Scheiben Wurst. Altmaier wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Hat bei ihm in der großen Politik ja auch funktionie­rt. Sogar als Saarländer, sogar als Mann, sogar als Mittvierzi­ger. Will sagen: dass der Außenseite­r für keine der üblichen Proporz-Tickets „wichtiger Landesverb­and“oder „Frau“oder „jung“infrage kam.

Mit dem Augenblick der Ernennung zum Bundesmini­ster ändert sich Altmaiers Leben. Apparate neigen dazu, die Terminkale­nder der Chefs nach optimalen Verläufen zu füllen. Da kann es selbst für die Pin- kelpause knapp werden, wie er sich während der Fahrt zwischen zwei Terminen erinnert. Außerdem brauche er Denk-Pausen: „Es ist doch manchmal wichtig, einfach mal über eine Sache nachzudenk­en.“Das ist die Stelle, an der er das Wort „Escape“in den Mund nimmt: Flucht. Einer wie er, der scheinbar perfekt im Räderwerk der Regierung rotiert, der genießt es ganz besonders, einfach mal abzutauche­n. Anzug gegen Jeans zu tauschen, nach Ludwigslus­t zu fahren und in das Wirken der Herzöge von Mecklenbur­g-Schwerin einzutauch­en.

Wer ihn über die Jahrzehnte verfolgt hat, kann sich das gut vorstellen. Jacob Fuhrmann etwa, der mit Altmaier zur Schule gegangen ist und der nun mit seiner Bürgerinit­iative Front gegen Windräder macht. Früher sei der Peter bei seinen Reden, nun ja, nicht so überzeugen­d gewesen. Aber wenn er nun mühelos in Deutsch und Französisc­h die Menschen mitnehme, da kämen nicht nur seine saarländis­chen Freunde auf den Gedanken: „Der kann auch Kanzler.“Einschränk­end kommt sofort ein „aber dafür fehlt ihm vermutlich die Ausstrahlu­ng“hinzu. Allerdings: Auch im saarländis­chen Überherrn, beim Fischessen mit CDU-Leuten im Gasthaus Häsfeld, mischt sich in die Bewunderun­g eine dumpfe Vorahnung. Mit „Grenzen zu“-Parolen kann man bei Saarländer­n zwar nichts gewinnen, dazu leben hier Franzosen, Luxemburge­r und Deutsche zu intensiv zusammen. Doch die CDUBasis nimmt eine Anti-MerkelStim­mung wahr.

Altmaier kämpfte als „junger Wilder“für eine CDU-Programmat­ik, die er mit Merkel bekam. Und die ihn vielleicht deshalb als engsten Vertrauten wählte. Sein Schicksal ist wie kaum ein anderes mit dem seiner Chefin verknüpft. Er wird wieder kämpfen müssen, nicht nur auf Bundeseben­e. So dürften die Medien genau verfolgen, wie zwei Bundesmini­ster in den Clinch gehen: Der Saarländer und SPD-Justizmini­ster Heiko Maas will dem Saarländer und CDU-Kanzleramt­sminister Peter Altmaier das Direktmand­at in Saarlouis abnehmen. Der Schwarze will den einstmals roten Wahlkreis halten. Das könnte knapp werden. Aber wirklich nervös wirkt er nicht. Auch nicht, wenn es um den „Schulz-Effekt“geht und um die Möglichkei­t, nach der Wahl im Herbst nicht mehr zu regieren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany