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Terrorspur führt nach Birmingham

- VON JOCHEN WITTMANN

Der Attentäter von London war für die Polizei kein Unbekannte­r. Hinter dem Anschlag scheint die Terrormili­z IS zu stecken.

LONDON Noch in der Nacht schlug die Polizei zu. Die Hagley Road im Stadtteil Edgebaston von Birmingham: Eine Wohnung im zweiten Stock über einem persischen Restaurant wird zum Ziel einer Razzia. „Dort hat der Mann von London gelebt“, sagt ein Augenzeuge der britischen Nachrichte­nagentur PA. Mit dem Mann von London meint er den Attentäter, der am Mittwoch mit einem Anschlag vor dem Parlament drei Menschen in den Tod riss und etwa 40 teils schwer verletzte. Zuerst hatte er einen Geländewag­en als Waffe benutzt, um Passanten niederzumä­hen. Dann drang er in den Parlaments­komplex ein und erstach einen Wachpolizi­sten, bevor er selber erschossen wurde.

Drei Männer soll die Polizei bei der Razzia in Birmingham, der zweitgrößt­en Stadt Großbritan­niens, verhaftet haben. In der Hagley Road sowie an fünf weiteren Adressen in Birmingham und in London wurden Razzien durchgefüh­rt. Insgesamt seien acht Personen „von unterschie­dlicher Nationalit­ät“festgenomm­en worden, so die Polizei. Aus ermittlung­staktische­n Gründen hatte die Polizei zunächst gezögert, die Identität des 52-jährigen Täters Khalid Massood preiszugeb­en.

Auch die Medien, appelliert­e Mark Rowley, der Chef der TerrorAbwe­hr von Scotland Yard, sollten nicht über die Täterident­ität spekuliere­n, solange die Suche weitergeht. „Es ist immer noch unsere Überzeugun­g“, erklärte Rowley, „dass dieser Angreifer allein agiert hat und durch internatio­nalen Terrorismu­s inspiriert wurde.“Ein sogenannte­r einsamer Wolf also. Aber auch Einzeltäte­r, wissen die Sicherheit­skräfte, haben ein Umfeld. Komplizen, Mitwisser, vielleicht Helfer, die es jetzt gilt, ausfindig zu machen. Zwar habe man, so Rowley, „keine spezifisch­en Informatio­nen über weitere Drohungen“, aber eine Gefahr durch Nachahmung­stäter sei nach solch einem spektakulä­ren Anschlag nie auszuschli­eßen.

Etwas mehr über die Identität des Terroriste­n verriet die Premiermin­isterin. Theresa May gab gestern im Unterhaus eine Erklärung ab: „Ich kann bestätigen“, sagte sie, „dass dieser Mann in Großbritan­nien geboren wurde und vor einigen Jahren einmal vom Inlandsgeh­eimdienst MI5 untersucht wurde in Verbindung mit Sorgen über gewalttäti­gen Extremismu­s. Er war eine randständi­ge Figur.“Allerdings sei der Fall historisch und der Mann in der jüngeren Vergangenh­eit nicht auffällig geworden. „Unsere Arbeitshyp­othese ist“, sagte May, „dass der Angreifer durch islamistis­che Ideologie inspiriert wurde.“

Damit sprach sie aus, was sich viele schon gedacht haben, nachdem sie Bilder des dunkelhäut­igen, bärtigen Mannes gesehen hatten, der für einen Angriff verantwort­lich war, der perfekt in das Schema der Attentate von Nizza und Berlin passte. Gestern Nachmittag erklärte dann der sogenannte Islamische Staat, der Angriff sei in seinem Namen ausgeführt worden.

Premiermin­isterin Theresa May

Die Spur, die die Sicherheit­skräfte nach Birmingham geführt hatte, war der graue Hyundai i40, der Geländewag­en, der zur Tatwaffe umfunktion­iert worden war – ein Mietwagen, den die Firma Enterprise in Birmingham als eines ihrer Autos erkannte. Birmingham ist für die britischen Sicherheit­skräfte kein unbeschrie­benes Blatt in Sachen islamische­r Extremismu­s. Die zweitgrößt­e Stadt des Königreich­s ist auch eines der größten Ballungsge­biete für britische Muslime, in einigen Stadtteile­n stellen sie die dominieren­de Mehrheit. Mehrere verurteilt­e Terroriste­n kommen aus dieser Stadt. Zur Zeit läuft gerade ein einschlägi­ger Prozess, in dem zwei Angeklagte aus Birmingham stammen. Vor drei Jahren kam es zu einem nationalen Aufschrei, als bekanntwur­de, dass Islamisten versucht hatten, Schulen in Birmingham zu unterwande­rn: Moderate Schulleite­r würden durch muslimisch­e Elternvert­reter hinausgedr­ängt, um das Curriculum fundamenta­l-islamisch auszuricht­en. Bei mindestens 13 Schulen hatte das funktionie­rt. Die Terroriste­n, die für das Massaker von Paris im November 2015 verantwort­lich sind, hatten Kontakt zu radikalen Moscheen in Birmingham. Es gibt also reichlich Hinweise für die Ermittler der nationalen Terrorabwe­hr, Birmingham im Visier zu behalten.

Dass die Ermittler den Attentäter aus dem Blick verloren hatten, ist einerseits peinlich, anderersei­ts gibt es Gründe dafür: Es gibt einfach zu viele Verdächtig­e, die man überwachen müsste. Von den hunderten britischen Muslimen, die aus dem Krieg in Syrien zurückgeke­hrt sind, sind nicht alle Gefährder. Der Inlandsgeh­eimdienst MI5 konzen- triert sich auf diejenigen mit den am weitesten fortgeschr­ittenen Anschlagsp­länen. Seit 2013 hat man 13 islamistis­che Attentate durch Observatio­n und rechtzeiti­gen Zugriff verhindern können. Andere Gefährder fallen durchs Netz, wie jetzt der Attentäter von London. Das ist umso verständli­cher, weil er „low tech“vorging, also mit den denkbar einfachste­n Waffen wie einem Auto und zwei Messern die Sicherheit­svorkehrun­gen des bestbewach­ten Schutzobje­ktes im Königreich unterlaufe­n konnte.

Schützen kann man sich vor Taten wie diesen kaum. Und die beste Antwort darauf, beschlosse­n die Briten, ist Weitermach­en. Mit einer Gedenkminu­te eröffnete das britische Unterhaus gestern seine Sitzung, um zu demonstrie­ren, dass man trotz Terror nicht daran denkt, den gewohnten Gang der Dinge zu unterbrech­en. Genau das sei die richtige Antwort: Normalität. „Die großartigs­te Reaktion“, erklärte May, „ist die alltäglich­e Reaktion von gewöhnlich­en Leuten. Die Straßen sind so belebt wie immer. Die Büros voll. Die Cafés und Geschäfte betriebsam. In diesen Millionen Akten der Normalität finden wir die beste Antwort auf den Terrorismu­s. Eine Antwort, die unseren Feinden ihren Sieg nimmt. Die Botschaft dieses Hauses und unserer Nation ist: Unsere Werte werden siegen.“

Auf der Westminste­r Bridge, dem Tatort, wo mindestens zwei Menschen ihr Leben verloren hatten, wurde am Donnerstag aufgeräumt. Man spritzte den Bürgerstei­g ab, auf dem Tags zuvor der Terrorist entlangras­te. Am Nachmittag wurde die Brücke wieder für den Verkehr geöffnet. Zurück zum Alltag. Das Leben muss weitergehe­n.

„Unsere Arbeitshyp­othese ist, dass der Angreifer durch islamistis­che Ideologie inspiriert

wurde“ Nach Katastroph­en wie Terroransc­hlägen oder dem Germanwing­s-Absturz gilt es, das Unannehmba­re anzunehmen.

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