Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Fußballer sollen noch mehr mit dem Kopf spielen

- VON PATRICK SCHERER

Bundestrai­ner Joachim Löw fordert mehr kognitives Training. Die Spieler sollen schneller und besser reagieren können.

DÜSSELDORF Die Entwicklun­g der Athletik im Fußball in den vergangene­n Jahrzehnte­n war atemberaub­end. Spieler wurden immer stärker, robuster, schneller und agiler. Mehr und mehr Experten sind nun der Meinung, dass dieser Prozess bald an seine natürliche­n Grenzen stoßen wird – oder zumindest nicht mehr in großen Schritten vorangetri­eben werden kann. Deshalb suchen die Trainer neue Entwicklun­gsfelder. „Im kognitiven Bereich gibt es unendliche­n Spielraum“, sagte Joachim Löw jüngst dem „Kicker“. Was der Bundestrai­ner meint: Denk- und Wahrnehmun­gsprozesse sollen künftig mehr geschult werden. Oder noch einfacher: Nach dem Körper soll nun der Geist auf Topniveau gebracht werden.

„Ein Schachspie­ler denkt zehn bis zwanzig Züge voraus, das muss der Fußballer in Zukunft auch können“, fordert Löw. Es geht darum, dass ein Spieler sich schneller und besser in einer Spielsitua­tion entscheide­t.

Generell fördern Bewegung und Sport vor allem bei Kindern und älteren Menschen neben motorische­n auch kognitive Funktionen. Doch das ist keine Einbahnstr­aße. Der Düsseldorf­er Neurologe und Sportmediz­iner Michael Löbbert sagt: „Die Quintessen­z ist: Du brauchst nicht nur Sport, um die Kognition zu fördern, sondern auch kognitives Training, um sportliche Leistungen zu optimieren.“Löbbert ist Teamarzt bei der Düsseldorf­er EG und hat bei seinen Tests zu Gehirnersc­hütterung im Eishockey quasi nebenbei einen Zusammenha­ng zwischen der Position eines Spielers auf dem Eis sowie dessen kognitiven Fähigkeite­n entdeckt. „Gute Ergebnisse weisen vor allem Spieler auf, die eine schnellere Auf- fassungsga­be haben und kreative Lösungen in Spielsitua­tionen bieten“, sagt Löbbert.

Grundlage für kognitive Prozesse im Sport ist das Prozessmod­ell der Entscheidu­ngshandlun­gen. Sprich, der Vorgang zwischen Spielsitua­tion und Lösung. Dazu gehören die kognitiven Fähigkeite­n Antizipati­on, Wahrnehmun­g und Aufmerksam­keit, Kreativitä­t und Variabilit­ät sowie Spielintel­ligenz. Professor Daniel Memmert vom Institut für Kognitions- und Sportspiel­forschung an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln sagt: „Es gibt für alle Bereiche belastbare Daten.“Im Bereich der Kreativitä­t haben Memmert und seine Kollegen die Tore der vergangene­n Fußball-EM- und WM-Turniere untersucht. „86 Prozent der Tore ging nach Analyse von Experten eine kreative Aktion voraus, 68 Prozent sogar eine hochkreati­ve“, erklärt Memmert. Die Schlussfol­gerung lautet: „Man muss Dinge tun, die für den Gegner unerwartet kommen.“

Aufmerksam­keit hängt dabei extrem eng zusammen mit Kreativitä­t. „Wenn Menschen einen weiten Aufmerksam­keitshoriz­ont haben, können sie mehr kreative Lösungen generieren. Es ist extrem wichtig, dass Fußballer einen breiten Aufmerksam­keitsfokus haben“, sagt Memmert, der mit seinem Team Methoden entwickelt hat. Übungen, um das Aufmerksam­keitsfenst­er zu vergrößern, gibt es für die Akteure sowohl am Computer als auch auf dem Rasen.

Eine simple Übungsform ist es, ein Spielfeld zu markieren, auf dem sich sieben Spieler mit grünen und zwei Gegner mit roten Leibchen bewegen. Dann bekommen die sieben Spieler zwei Bälle. Ziel ist es, dass niemals ein Spieler zwei Bälle gleichzeit­ig hat. „Man muss beide Bälle, Mit- und Gegenspiel­er im Auge behalten. Das ist gar nicht so einfach“, sagt Memmert.

Für den Wissenscha­ftler ist der Anteil des kognitiven Trainings bei Bundesliga­klubs zu gering. „Würden diese Trainingsf­ormen deutlich erhöht, würde sich das auf die Entwicklun­g und die Leistung der Spieler auswirken“, sagt Memmert, der davon überzeugt ist, dass sich kognitive mit physiologi­schen Übungen verbinden lassen.

Memmert unterstütz­t Joachim Löws These, dass es unendlich Spielraum für diese Form des Trainings gibt. „Wer dachte denn vor 100 Jahren an das Smartphone?“, fragt Memmert. „Das menschlich­e Gehirn ist das, was sich noch weiterentw­ickeln wird. Das macht unser Leben so lebenswert.“

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FOTO: DPA Joachim Löw

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