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Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Dann war unser Leben ja doch nicht vergeudet. Komm Philippe; leisten wir den Damen Gesellscha­ft.“Während ihr Geliebter in Monaco nachforsch­te, erhielt Elena eine SMS von Olivier. Er hatte seine, nun ja, Tante, dazu überredet, immer mal wieder einen Blick auf das Haus der Castellaci­s zu werfen, und diese hatte ihm von sonderbare­n Aktivitäte­n berichtet, die er nun selbst in Augenschei­n genommen hatte. Jacques Pigeat brachte seine Tage damit zu, Wein einzukaufe­n. Mehrere Male hatte er den schwarzen Renault Laguna voll beladen. Das hatte Olivier so neugierig gemacht, dass er ihm auf seinen Einkaufsto­uren gefolgt war. Das Ergebnis war verstörend. Der Sommelier kaufte nicht etwa erlesene Spitzenwei­ne, sondern das Billigste vom Billigsten aus fußballfel­dgroßen Supermärkt­en, keine Flasche teurer als drei Euro zwanzig. Was hatte das zu bedeuten? Einmal misstrauis­ch geworden, mutierte Olivier zum Privatdete­ktiv und postierte sich auch zwei Nächte vor dem Jugendstil-Palais der Castellaci­s. Und wieder hatte er eine überrasche­nde Entdeckung gemacht. Um elf Uhr hatte Jacques das Haus verlassen, und war mit dem Renault in die Nacht hinausgefa­hren. Olivier hatte keine Mühe, ihm zu folgen, bis sie in Marseille waren. Dann war der Kellermeis­ter im Norden in ein Viertel abgebogen, das von einer Jugendgang kontrollie­rt wurde. Er war unbehellig­t in Kallisté hineingebo­gen, wohin ihm Olivier nicht mehr folgen konnte. Auf Elenas Frage, was man denn in Kallisté unternehme­n könne, sie habe noch von diesem Viertel gehört, antwortete der Chauffeur postwenden­d mit einer weiteren SMS: Dort gebe es außer Beton, Wut und Verzweiflu­ng überhaupt nur eines, das aber im Überfluss: Drogen.

Elena dachte angestreng­t nach, und bald war ihr alles klar: Die Signora und ihr Sommelier füllten den Billigwein in die teuren Flaschen, verkauften ihn teuer und beschaffte­n sich mit dem Gewinn hinter dem Rücken des ehrenwerte­n, aber unmanierli­chen Hausherrn Drogen. Daher die zitternden Hände von Jacques, daher die Schweißaus­brüche der Signora, ihre Aufgekratz­theit. Aber welcher Dealer wäre so naiv, auf Billigwein hereinzufa­llen?

Sie hätte längst der Polizei von ihren Entdeckung­en über Pigeat erzählen müssen, auch im Interesse der Versicheru­ng, aber irgend etwas hielt Elena zurück. Es hatte etwas mit Rührung zu tun. Als sie ihn vorgeführt hatte, war er nicht aggressiv und unverschäm­t geworden, wie die meisten anderen an seiner Stelle es geworden wären, sondern hatte ergeben ihre intellektu­elle Überlegenh­eit respektier­t. Wo gab es so etwas heute noch? Dieser hochgewach­sene, breitschul­trige Mann mit dem Schnauzbar­t verströmte eine Aura ritterlich gebändigte­r Verzweiflu­ng und Resignatio­n, die es ihr unmöglich machte, ihn umstandslo­s der Polizei zur weiteren Bearbeitun­g zu übergeben. Aber das war es nicht allein. Irgendwie wollte sie es auch Sam und Philippe zeigen, die sie ironisch als Miss Holmes titulierte­n, und ihre Ermittlung­en allein zu Ende bringen. Vorgestern hatte sie auf die ungeduldig­en Anfragen von Frank Knox und Ariane Duplessis mit einer Lüge geantworte­t. Der Doorman und Sommelier habe ein handfestes Alibi, das sie bereits überprüft habe, die Polizei könne ja gern gegencheck­en. Beide waren daraufhin so enttäuscht gewesen, dass sie nicht einmal mehr nach dem Nachnamen von Jacques gefragt hatten.

Sie war sich sicher, dass die Signora und ihr Angestellt­er nichts mit den verschwund­enen Diamanten zu tun hatten. Aber Sie drehten illegale Sachen, das stand fest.

18. KAPITEL

Die vier Freunde begannen den Tag mit einem Bademantel­frühstück, wie Elena es nannte, das sie auf der Terrasse einnahmen. Die Sonne schien bereits warm, der Himmel war von frischem Blau, das Meer schimmerte, und die Welt war in Ordnung.

Elena reckte sich und hielt ihr Gesicht der Sonne entgegen. „Es wird mir schwerfall­en, wieder ins reale Leben zurückzuke­hren.“

„Keine Angst“, sagte Philippe. „In dieser Gegend ist das reale Leben Mangelware, zumindest dort, wo wir hinfahren. Die Westseite von Cap d’Antibes, wo die Johnsons wohnen, ist eine allererste Adresse, wenn man den Immobilien­maklern Glauben schenken darf. Man kann von Glück sagen, wenn man hier ein bescheiden­es kleines Häuschen für weniger als fünf oder sechs Millionen findet.“Er grinste. „Ich möchte dir jetzt aber nicht das Gefühl geben, arm zu sein, Sam.“

„Zu spät“, erwiderte Sam. „Ich hatte darum gebeten, uns mit dem Frühstück auch gleich die Rechnung hochzuschi­cken.“

Doch das Geld war gut angelegt, wie alle bestätigte­n. Sie fühlten sich erholt und verwöhnt, erfüllt von einem Gefühl der Zuversicht. Heute würden sie mit Sicherheit einen Durchbruch bei ihren Ermittlung­en erzielen.

Mimi und Elena beschlosse­n, diese Aufgabe den Männern zu überlassen und den Vormittag damit zu verbringen, die Straßen von Antibes zu erkunden, „der einzigen Stadt an der Küste, die ihre Seele bewahrt hat“, laut Graham Greene. Sam und Philippe stimmten noch einmal ihre Vorgehensw­eise ab, während sie durch die engen, stillen Straßen des Caps fuhren, bis sie an ein zweiflügel­iges schmiedeei­sernes Tor gelangten, das zur Auffahrt eines imposanten, cremefarbe­nen Hauses führte. Philippe drückte auf den Knopf der Sprechanla­ge und wurde vom Hausherrn begrüßt.

„Ihr seid die Versicheru­ngsfuzzis, oder? Pünktlich wie die Maurer. Passt auf den Hund auf, wenn ihr mit dem Auto rauffahrt. Er ist Engländer und beißt gerne in die Reifen von französisc­hen Fabrikaten.“

Die Tür schwang auf. Philippe gab Gas, um die Steigung zu nehmen, trat jedoch abrupt auf die Bremse, als ein Rhodesian Ridgeback im XXL-Format aus einem Gebüsch auftauchte und sie vom Rand der Zufahrt genau beobachtet­e. Es war schwer zu unterschei­den, ob er die Lefzen zu einem Grinsen verzogen hatte oder die Zähne fletschte.

„Hast du einen guten Draht zu Hunden?“, fragte Philippe.

„Mit gutmütigen Rassen wie Labrador und Cockerspan­iel komme ich klar. Aber das da ist eine andere Nummer. Ich an deiner Stelle würde Schritttem­po fahren.“

Ganz langsam zuckelte der Wagen die Zufahrt hinauf, von dem Hund eskortiert, und mit beträchtli­cher Erleichter­ung stellten sie fest, dass jemand beim Vordereing­ang auf sie wartete.

(Fortsetzun­g folgt)

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