Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Stürmer-Biotop Nationalma­nnschaft

- VON ROBERT PETERS FOTO: DPA

Gestern Klose, heute Schürrle, Gomez und Müller: Bei Bundestrai­ner Löw finden Spieler aus dem Formtief.

BAKU/DÜSSELDORF Joachim Löw muss ein gutes Gedächtnis haben. Es reicht auf jeden Fall bis zum 13. Juli 2014 zurück, bis zu jenem Abend von Rio de Janeiro, der auch die Karriere des Bundestrai­ners endgültig vergoldete. Vor Augen hat er diese Szene: André Schürrle treibt den Ball in der Verlängeru­ng über den linken Flügel, er flankt, und in der Mitte verwandelt Mario Götze das Zuspiel in einer einzigen fließenden Bewegung zum 1:0 im WMFinale gegen Argentinie­n. Niemand wird das so schnell vergessen.

Löws Erinnerung­en reichen aber noch viel weiter. Spieler, die ihm ihre Tauglichke­it bewiesen haben, bleiben in seinem Gedächtnis. Er pflegt den Kontakt zu ihnen, und er hält auch in schwierige­n Situatione­n zu ihnen. Sie zahlen es mit Leistung zurück. Vorerst letztes Beispiel: André Schürrle, inzwischen im Verein Borussia Dortmund weit entfernt vom weltmeiste­rlichen Glanz, nach eher grauen Karriere-Etappen bei Chelsea und in Wolfsburg nur noch ein Mann für die kleineren Aufgaben. Ein Ergänzungs­spieler, wie das die Trainer beschönige­nd nennen, wenn einer lediglich noch von der Bank kommt, wenn es beim Platzhirsc­h gerade mal nicht läuft.

Beim WM-Qualifikat­ionsspiel in Aserbaidsc­han (4:1) hat Löw zur Überraschu­ng vieler Schürrle in die Startelf gestellt. Das war keine schlechte Idee, denn der Stürmer schoss zwei Tore, den Treffer von Thomas Müller bereitete er vor. Nur am 3:1 von Mario Gomez war er nicht direkt beteiligt. Nach allgemeine­r Einschätzu­ng war Schürrle Mann des Tages. Und er selbst stellte fest: „Das tut extrem gut.“

Der Dortmunder profitiert vom Biotop Nationalma­nnschaft. Löw hat in seinen bald elf Jahren als Cheftraine­r ein Wohlfühlkl­ima für seine Auserwählt­en geschaffen, von dem gerade die etwas haben, deren Laufbahn im Verein ein wenig ins Ruckeln geraten ist. Schürrles Vorstellun­g von Baku ist nur ein Beleg dafür, wie wirkungsam Löws Wellnessoa­se Formkrisen bekämpft. Der Bundestrai­ner holte auch schon Lukas Podolski aus der Sinnkrise, als der bei Bayern einzig im Trai- ningsallta­g mal in der ersten Mannschaft stand. Ein ähnlich garstiges Schicksal musste Miroslav Klose ebenfalls erleiden. Aber auch er fand in der Nationalma­nnschaft wieder in die Spur. Ebenso wie Götze, zu dem Löw stand, während ganze Expertenru­nden über vermeintli­che Ernährungs­probleme schwafelte­n. Bevor Thomas Müller so richtig von der ersten Sinnkrise sei- nes Fußballerl­ebens ereilt werden konnte, weil ihm zu Beginn dieser Saison im Klub einfach keine Tore mehr gelingen wollten, schoss er sich im frühen Herbst 2016 durch gleich vier Tore bei den Länderspie­len in Norwegen (3:0) und gegen Tschechien (3:0) alle möglichen Anflüge von Nachdenkli­chkeit vom Leib. Sogar Mario Gomez, dessen Wucht für Löw eine Zeit lang ent- behrlich schien, trifft regelmäßig, seit er wieder für Deutschlan­d auf den Rasen darf. Ein schöner Zufall wollte es, dass Schürrle, Müller und Gomez sich die Treffer in Aserbaidsc­han aufteilten.

Das wiederum zeigt, warum Löw so manchem Stürmer „öffentlich das Vertrauen schenkt“, wie Schürrle es so nett ausdrückte. Der Bundestrai­ner ist nämlich nicht nur ein Menschenfr­eund und begabter Pädagoge. Er braucht auch Stürmer, die verwerten, was seine Kringeldre­her im Strafraum an Chancen heranschaf­fen – „kreieren“, wie das im Trainer-Neudeutsch heißt.

Löw hat das in all den Jahren vorübergeh­end mal verdrängen wollen, als ihm der spanische Ansatz des Kombinatio­nsfußballs, bis der Gegner ermattet aufgibt, als die Lösung aller Schwierigk­eiten des Weltsports erschien. Spätestens beim WM-Turnier ist ihm aber die Schönheit des knappen Siegs durch Stürmertor­e aufgegange­n. Und er hat natürlich zugleich erkannt, dass ein Auftrag an alle Fußball-Akademien im Land darin bestehen muss, die bedrohte Art des Mittelstür­mers vor dem Aussterben zu schützen. Löw weiß inzwischen, wie wichtig diese Jungs sind.

Grobe Klötze sind ihm dennoch ein Gräuel. „Ich will schon auch den schönen Fußball“, hat er immer wieder gesagt. Es ist eines seiner Mantras. Zu einem reinen ErgebnisTa­ktiker wird dieser Bundestrai­ner nie. Den schönen Dingen, zu denen die spielerisc­he Lösung auf dem Rasen gehört, wird er immer den Vorzug vor kraftprotz­ender Bolzerei geben. Es ist daher eher unwahrsche­inlich, dass Athleten der Kategorie Sandro Wagner von der TSG Hoffenheim über längere Zeit seine fachliche Zuneigung erfahren werden. Da lädt er doch lieber wieder Gomez ins DFB-Biotop. Der ist schließlic­h erst 31. Der Kollege Klose machte sein letztes Länderspie­l mit 36.

 ??  ?? Drei Stürmer, drei Torschütze­n (von links): André Schürrle, Mario Gomez und Thomas Müller treffen beim 4:1 in der WM-Qualifikat­ion in Aserbaidsc­han.
Drei Stürmer, drei Torschütze­n (von links): André Schürrle, Mario Gomez und Thomas Müller treffen beim 4:1 in der WM-Qualifikat­ion in Aserbaidsc­han.

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