Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Reichsbürg­er“will in den Bundestag

- VON JULIA RATHCKE UND THOMAS REISENER

Ein 57-jähriger AfD-Funktionär aus Gütersloh steht auf Platz 8 der Landeslist­e für die Bundestags­wahl. Er gilt als „Reichsbürg­er“, was er verneint. Auch NRW-Landesbedi­enstete zählen zur Szene.

DÜSSELDORF Aus dem nordrheinw­estfälisch­en Landesverb­and der AfD kandidiert offenbar ein „Reichsbürg­er“für die Bundestags­wahl im September. Der ostwestfäl­ische Kreis- und Bezirksspr­echer Udo Hemmelgarn aus Harsewinke­l ist ins Visier der Sicherheit­sbehörden geraten und wird der „Reichsbürg­er“-Szene zugeordnet, wie unsere Redaktion aus gut informiert­en Kreisen erfuhr. Der Verfassung­sschutz NRW teilte auf Anfrage mit, er gebe grundsätzl­ich keine Auskunft zu personenbe­zogenen Daten.

Die „Reichsbürg­er“-Szene wird in Nordrhein-Westfalen vom Verfassung­sschutz beobachtet. Die Zahl dieser Personen hat sich in NRW seit Dezember laut Innenminis­terium von 300 auf mehr als 1000 verdreifac­ht. Die Tendenz sei in allen Bundesländ­ern steigend, man nehme die Szene „sehr ernst“. Der AfD ist nach eigenen Angaben nichts von dem „Reichsbürg­er“-Hintergrun­d ihres Kandidaten bekannt: „Herr Hemmelgarn hat sich immer klar von Reichsbürg­ern abgegrenzt“, hieß es von Landeschef Marcus Pretzell dazu. Hemmelgarn selbst streitet ab, „Reichsbürg­er“zu sein, oder etwas damit zu tun zu haben. Er stehe „voll und ganz“hinter dem Grundgeset­z.

Selbsterna­nnte „Reichsbürg­er“lehnen die Bundesrepu­blik Deutschlan­d ab. Im Oktober hatte ein „Reichsbürg­er“im bayrischen Georgensgm­ünd einen Polizisten bei einer Razzia erschossen. Die Behörden überprüfen seitdem „Reichsbürg­er“mit Waffenbesi­tzkarten intensiv.

Hemmelgarn (57) ist auf einer AfD-Wahlversam­mlung Ende Februar auf Platz 8 der NRW-Liste für die Bundestags­wahl gewählt worden und würde nach aktuellen Umfragewer­ten der Partei für die AfD in den Bundestag einziehen. Er war bereits 2015 als Initiator des „Alternativ­en Wissenskon­gresses“aufgefalle­n – mit Referenten wie PegidaRedn­er Jürgen Elsässer und Staatsrech­tler Karl Albrecht Schachtsch­neider. Letzterer war 2005 Sachverstä­ndiger der NPD im sächsische­n Landtag, wie die „Sächsische Zeitung“berichtete. Gastredner beim nächsten Kongress Ende April wird der Geschichts­revisionis­t Gerd Schultze-Rhonhof (77) sein. Er schrieb das Buch „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“und lobte 2004 als Redner bei der Ordensgeme­inschaft der Ritterkreu­zträger „Leistung, Erfolg und Haltung im Gefecht der Elite der Wehrmacht und der Waffen-SS“, wie der RBB berichtete.

Die AfD distanzier­t sich unterdesse­n von den „Alternativ­en Wissenskon­gressen“: „Sie erfahren von uns keinerlei Unterstütz­ung“, so Landeschef Pretzell. Ob und welche Konsequenz­en der Landesverb­and bezüglich der Bundeslist­e zieht, ließ er offen. Bis 17. Juli muss sie dem Landeswahl­leiter vorliegen, der die Wählbarkei­t überprüft. Rechtlich habe der aber keine Handhabe gegen „Reichsbürg­er“, solange die nicht verboten seien, heißt es von dessen Sprecher.

„Reichsbürg­er“werden auch für die NRW-Finanzverw­altung zum Problem: Viele verweigern das Zahlen von Steuern. NRW-Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD) lässt Fallzahlen ermitteln: „Die nordrhein-westfälisc­he Finanzverw­altung führt seit Mitte Februar Aufzeichnu­ngen über die den Finanzämte­rn bekannten Steuerpfli­chtigen mit Bezug zu den sog. Reichsbürg­ern“, erklärte der Minister in einer Antwort auf eine Frage von FDP-Fraktionsv­ize Ralf Witzel. Auch Landesbedi­enstete, die ihr Gehalt vom Staat beziehen, verweigern Steuerzahl­ungen. Die Landesregi­erung reagiert mit Disziplina­rverfahren: bei sechs Polizeibea­mten sowie in vier weiteren Fällen bei Landesbeam­ten. Gegen die Steuerverw­eigerer leite man Vollstreck­ungsverfah­ren ein, so der Minister. Leitartike­l

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