Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Brexit macht deutschen Firmen Sorgen

- VON ANTJE HÖNING UND EVA QUADBECK

Heute will Theresa May den Scheidungs­antrag bei der EU einreichen. 40 Prozent der deutschen Firmen fürchten Einbußen. Pharma-, Auto- und Chemiebran­che leiden schon jetzt. Auch die Bauern bangen um ihre Exporte.

BERLIN Es wird ernst: Heute will die britische Premiermin­isterin Theresa May den Antrag auf Austritt ihres Landes aus der Europäisch­en Union einreichen. Dann haben beide Seiten zwei Jahre Zeit, um den Scheidungs­vertrag auszuarbei­ten. Die Verhandlun­gen führen Londons Brexit-Minister David Davis und der frühere EU-Kommissar Michel Barnier. Es geht um viel Geld: Großbritan­nien war 2015 trotz aller Sonderrech­te zweitgrößt­er Nettozahle­r der EU. Zugleich wird die EU London zum Abschied eine Milliarden­Rechnung präsentier­en, die etwa aus der Finanzieru­ng von Strukturpr­ojekten resultiert. Die Wirtschaft ist auf beiden Seiten des Kanals in Sorge: Britische Firmen verlieren den Zugang zum Binnenmark­t, deutsche fürchten neue Zölle. Industrie und Handel „Der Ausstieg des Vereinigte­n Königreich­es aus der EU wird nach Einschätzu­ng der deutschen Unternehme­n einen deutlichen Dämpfer für den Handel von Waren und Dienstleis­tungen mit sich bringen“, erklärte gestern der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag (DIHK). Vier von zehn Unternehme­n erwarteten schlechter­e Geschäfte, ergab eine DIHK-Umfrage unter 1300 Firmen. Jedes zehnte plane schon jetzt die Verlagerun­g von Investitio­nen weg von Großbritan­nien. Die Hälfte dieser Firmen wolle ihre Investitio­nen nach Deutschlan­d verlagern. Die größte Sorge der Deutschen ist es, dass Großbritan­nien und die EU jeweils Zölle und Importsteu­ern nehmen, die den Handel für alle erschweren. In Deutschlan­d hängen 750.000 Arbeitsplä­tze vom Export nach Britannien ab.

In manchen Branchen hat der bevorstehe­nde Brexit schon jetzt deutliche Spuren hinterlass­en. Die Ausfuhren der Pharmabran­che nach Großbritan­nien brachen im zweiten Halbjahr 2016 um rund 19 Prozent gegenüber dem Vorjahresz­eitraum ein, die Ausfuhren der Autoindust­rie gingen um 14 Prozent zurück und die der Chemie um elf Prozent, so das Institut der deutschen Wirtschaft. Insgesamt fielen die deutschen Exporte auf die Insel um 7,2 Prozent. Die deutschen Hersteller leiden auch darunter, dass das britische Pfund seit der Brexit-Abstimmung abgewertet hat und deutsche Waren für britische Käufer entspreche­nd verteuert hat. Landwirtsc­haft Auch der Landwirtsc­haft drohen Verwerfung­en. Bundesland­wirtschaft­sminister Christi- an Schmidt (CSU) verweist darauf, dass der Brexit für die Bauern in Deutschlan­d „vor allem ein Exportthem­a“sei. „Großbritan­nien ist unser viertwicht­igster Handelspar­tner und wir haben dort den höchsten Exportüber­schuss“, sagte Schmidt unserer Redaktion. Letztendli­ch hätten beide Seiten jedoch großes Interesse, dass der Handel weitergehe. Im Jahr 2015 wurden im Zuge des Agrarhande­ls Güter für 4,5 Milliarden Euro von Deutschlan­d nach Großbritan­nien exportiert. Die Einfuhren lagen hingegen bei nur 1,3 Milliarden Euro. Schmidt mahnte, der Brexit solle als „Weckruf für die europäisch­e Agrarpolit­ik“verstanden werden. „Wir müssen den Brexit nutzen, um die Regularien der EU vom Kopf auf die Füße zu stellen. Wir brauchen dringend weniger kleinteili­ge und mehr pauschale Regelungen für Förderunge­n.“Der Landwirtsc­haftsminis­ter warnte, wenn die Europäer so weitermach­ten wie bisher, werde die Agrarpolit­ik auf europäisch­er Ebene an ihrer Regelungsd­ichte ersticken. EU-Bürger Auch viele EU-Bürger, die in Großbritan­nien leben, sind in Sorge. Für ihre Rechte und ihre Ansprüche auf Sozialleis­tungen muss ebenso eine Regelung gefunden werden wie für die der britischen Bürger in der Europäisch­en Union. Allein in Deutschlan­d leben 106.000 Briten. Voraussich­tlich wird man sich auf einen Stichtag einigen: Wer bis dahin in Großbritan­nien wohnt, darf bleiben. Wer danach kommen will, den darf London abweisen, weil die EU-Reglen zur Freizügigk­eit nicht mehr gelten.

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