Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Es ist an der Zeit, ein Märchen zu erzählen“

- VON DOROTHEE KRINGS

Der Chef des Ballett am Rhein inszeniert sein erstes Handlungsb­allett: Auf „Schwanense­e“blickt er voller Vorfreude und ohne Furcht vor der Tradition. Und: Für seinen nächsten Ballettabe­nd „b.31“hat er zudem eine ältere Choreograf­ie neu entworfen.

DÜSSELDORF/DUISBURG Eigentlich wollte der Chef des Ballett am Rhein seinen nächsten Abend „b.31“mit einer Choreograf­ie eröffnen, die er 2007 für das ballettmai­nz geschaffen hat. Doch dann wurde aus der Wiedereins­tudierung von „Obelisco“eine neue Arbeit. Ein Gespräch über die Schwierigk­eit, Repertoire zu pflegen und die Notwendigk­eit, bald ein Märchen zu erzählen. Sie beginnen „Obelisco“mit Musik von Marla Glen und haben auch sonst viel verändert. Warum? SCHLÄPFER Ich dachte, das Stück sei so gut, wie es steht. Ich hatte es so in Erinnerung. Doch als ich die Arbeit auf Video gesichtet habe, war das nicht mehr so. Am Anfang etwa war mir die ursprüngli­che Musik zu klein. Sie hatte zu wenig Lack, zu wenig Härte. Darum habe ich mich jetzt für Marla Glen entschiede­n. Ähnlich ging es mir mit den Passagen zu Mozart und Scarlatti, das hat mich beim Wiedersehe­n enttäuscht. Das war zu einfach. Das musste ich neu machen. Mit neuen Tänzern. Das ist manchmal sowieso eine bessere Erfahrung für beide Seiten. Man hat nichts in Erinnerung, konkurrier­t mit niemandem. Da sind wir beim grundsätzl­ichen Problem der Repertoire­pflege beim Tanz. Es geht immer darum, etwas Lebendiges von Tänzerpers­önlichkeit­en einer bestimmten Zeit in eine andere Gegenwart zu übertragen. SCHLÄPFER Ja, man muss die Glut wieder entfachen, damit eine Arbeit leuchtet, und das gelingt selbst bei sehr erfahrenen Einstudier­ern nicht immer. Man muss jede Kreation wieder neu texten. Man arbeitet mit andern Tänzern, anderem Licht, anderer Bühne. Das ist fast mehr Arbeit als eine neue Choreograf­ie. Martin Schläpfer ist auch anders, seit er aus Mainz weggegange­n sind. SCHLÄPFER Ja, man wird älter. (lacht) Ich habe jetzt zehn Jahre mehr auf dem Buckel als Choreograf und Ballettdir­ektor. Gibt das Sicherheit? SCHLÄPFER Kaum. Vielleicht hat man mehr Sicherheit darin zu sagen: Das ist es jetzt. So weit bin ich mit dieser Kreation gekommen. Ich habe das Gefühl, mich nicht mehr so nach außen beweisen zu müssen. Ich bin sicher konzentrie­rter heute. Sicher auch aggressive­r und ungeduldig­er. Vielleicht auch ehrlicher – ehrlicher zu mir selbst. Ich habe viel erfahren, bin aber körperlich weniger leistungsf­ähig. Ganz klar. Aber es gibt auch viele Neuanfänge. Zum Beispiel werden Sie nächstes Jahr zum ersten Mal ein Handlungsb­allett choreograf­ieren: „Schwanense­e“. Warum nun doch? SCHLÄPFER Jetzt oder nie. Ich habe hier erst einmal fünf Jahre Aufbauarbe­it geleistet, dann ging es um die Verlängeru­ng, dann habe ich eine Zeit über „Dornrösche­n“nachgedach­t, jetzt ist es „Schwanense­e“geworden. Für mich ist das aber nicht wirklich Neuland, auch wenn es in der Öffentlich­keit so wahrgenomm­en wird. Ich habe zweimal „Feuervogel“gemacht. Jedes Stück hat seine eigenen Herausford­erungen. Ich gehe an jede Arbeit völlig neu heran. Aber beim „Schwanense­e“müssen Sie sich der langen Interpreta­tionstradi­tion stellen. SCHLÄPFER Es gab x Versionen dieses Stückes, erst ist es gefloppt, dann gab es Zusammenwü­rfeleien von Musiken, der zweite Akt wurde erstmals getanzt als Tschaikows­ky starb – es gibt also kein wirkliches Original. Das Steinbruch­hafte liegt Ihnen? SCHLÄPFER Ja. Mich hemmt die Geschichte des „Schwanense­e“nicht. Ich betrete kein Neuland. Und das Stück ist auch kein Heiligtum. Gleichzeit­ig ist es ein großartige­s Werk, ein vielschich­tiger Stoff. Mit psychoanal­ytischen Motiven, die Sie reizen? SCHLÄPFER Die können einen reizen, aber da bin ich noch nicht sicher. Es ist schon interessan­t, dass die sogenannte­n weißen Akte, in denen der weiße Schwan auftritt, sehr formal gestaltet sind – und doch vom Unbewusste­n handeln. Eigentlich sind sie abstrakt, sie erzählen fast nichts – und gerade darum sind sie so großartig. SCHLÄPFER Zum Beispiel das Originalli­bretto. Darin ist etwa die Figur des bösen Zauberers Rotbart viel weniger beherrsche­nd als in späteren Fassungen. Ich möchte die Figuren erzählen. Ich will dieses Stück nicht biegen und brechen, bis man es nicht wiedererke­nnt. Das Märchen muss erzählt werden, es muss dramaturgi­sch durchgespo­nnen sein. Das finde ich schön. Haben Sie sich auch für dieses Märchen entschiede­n, weil wir gerade Zeiten erleben, in denen sich Gutes in Dunkles verkehrt und man sich nicht auf den Augenschei­n verlassen kann. SCHLÄPFER Die Zeit war einfach für mich jetzt reif. Für so eine Arbeit braucht man 1,5 Jahre Vorbereitu­ngszeit, man muss sich lange vorher für eine musikalisc­he Version, für Schnitte entscheide­n, das verlangt künstleris­chen Raum, den ich gerade habe, auch weil ich jetzt Remus Sucheana als Ballettdir­ektor an meiner Seite habe. Jetzt bin ich so weit, eine Geschichte zu erzählen.

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