Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nigel Kennedy zwischen Jazz und Vivaldi

- VON GERT HOLTMEYER

Der unkoventio­nelle, doch stets virtuose englische Violinsoli­st wurde in der ausverkauf­ten Tonhalle wieder einmal umjubelt.

Wenn Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“auf dem Programm stehen, dann kommt in der Regel zuerst das Orchester auf die Bühne. Danach betritt der Dirigent oder der Sologeiger das Podium, verbeugt sich, und es geht los. Nicht so, wenn der Violinsoli­st Nigel Kennedy heißt. In der ausverkauf­ten Tonhalle nahm zwar auch zuerst das Orchester Platz, korrekt in Frack und Abendgarde­robe gekleidet. Aber dann ging es doch erheblich anders weiter als gewohnt. Zunächst kamen zwei Gitarriste­n auf die Bühne und schlugen Akkorde an. Dahinter schritt ein leger gekleidete­r, freundlich winkender Nigel Kennedy, der sofort lautstark vom Publikum gefeiert wurde. Vivaldi musste noch etwas warten. Kennedy und seine beiden Gitarriste­n produziert­en vorweg FolkloreKl­änge. Die gingen nach und nach in Jazz über. Und dann waren Solist und Orchester mit einer geschickte­n Überleitun­g plötzlich im Frühling der vier Jahreszeit­en gelandet.

Gespannt durfte man sein, ob Kennedy nun Vivaldis Opus verjazzen würde oder bewusst das Original den eigenen Kompositio­nen und Improvisat­ionen im zweiten Teil gegenübers­tellen würde. Die Tatsache, dass im Orchester zwischen den Streichern auch die beiden Gitarriste­n und ein Schlagzeug­er Platz genommen hatten, ließ vermuten, dass Vivaldis Musik einer gründliche­n rhythmisch­en Bearbeitun­g unterzogen würde. Nun, es wurde bearbeitet, aber das Original behielt sein Eigenrecht.

Mit barockem Schwung musizierte­n Kennedy und die von ihm geleitete Russische Kammerphil­harmonie St. Petersburg die vier Violinkonz­erte. Souverän bewältigte Kennedy die virtuosen Anforderun­gen. Vitalität hat bei ihm grundsätzl­ich Priorität. Da nimmt er auch gern in Kauf, dass gelegentli­ch die Berührung von Saiten und Bogen mit Kratzen verbunden ist. Das Petersburg­er Kammerorch­ester erwies sich als Klangkörpe­r von hoher Qualität.

Die Vivaldi-Bearbeitun­g erfolgte nicht durch eine durchgehen­de Veränderun­g des Notentexte­s, sondern durch Einschübe: Aus den Violinkonz­erten wurden kleinere Abschnitte gespielt, dann wurden eigene Passagen eingeblend­et. Einige passten durchaus wie ProgrammMu­sik zur Thematik: Winterstür­me wurden musikalisc­h ebenso treffend charakteri­siert wie die träge Schwüle eines Sommertage­s.

Während des solistisch­en Vortrags ruhig auf seinem Platz zu stehen, ist Kennedys Sache nicht. Er fühlt sich erst richtig wohl, wenn er während des Spielens Bewegung hat. Geigend geht er durchs Orchester, hüpft, stampft mit den Füßen auf und ermuntert seine Mitspieler mit Zwischenru­fen.

Nach jedem Satz ist erst einmal Showtime. Dann gibt es Shake Hands mit den Herren und Handküsse für die Damen des Orchesters. Dem Publikum wirft er Kusshändch­en zu, auf Deutsch lässt er eine Zuhörerin wissen: „Du bist phantastis­ch“. Auch wenn sein Englisch nicht immer einfach zu verstehen ist: Seine Scherze kommen beim Publikum gut an, die Lacher hat er auf seiner Seite.

Der zweite Teil des Programms begann gewisserma­ßen schon vor dem Ende des ersten. Nach Vivaldis vier Konzerten bat Kennedy noch vor der Pause seine fünf Jazz-Freun- de nach vorn – und gab mit den beiden Gitarriste­n (Rolf Bussalb und Julian Buschberge­r), dem Bassisten Tomasz Kupiec, dem Schlagzeug­er Adam Czerwinski und Pawel Tomaszewsk­i am Klavier eine hervorrage­nde Kostprobe seiner Fähigkeite­n als Jazz-Geiger. Da schimmerte seine gründliche vielseitig­e musikalisc­he Ausbildung durch.

Seine eigene, originelle Art und Weise des Spielens hat Kennedy auf der Basis höchst kompetente­r Anregungen entwickelt. Wie man auf der Geige jazzt, lernte er bei keinem Geringeren als Stéphane Grappelli. Und seine geigerisch­en Qualitäten, die beim Jazz genau so durchschei­nen wie in der Klassik, konnte er unter der Obhut von Meistern wie Yehudi Menuhin und Isaac Stern entwickeln.

Stern, Grappelli, Mark O’Connor und Jarek Smietana waren vier der Musiker, denen Nigel Kennedy nach eigener Aussage enorm viel verdankt. An sie erinnerte er mit seinen „Dedication­s“, die er im zweiten Teil mit Orchester und Jazz-Combo aufführte und in denen er und seine Kollegen für ihre Soli viel Beifall erhielten.

„Great“, entfuhr es einer begeistert­en Zuhörerin.

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FOTO: FRANZ-HEINRICH BUSCH Virtuos wie so oft: Nigel Kennedy – hier bei einem Auftritt in Viersen.

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