Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Im Theater sollen die Widersprüc­he tanzen

- VON CLAUS CLEMENS

Im Central diskutiert­en Regisseure, Schauspiel­haus-Intendant Wilfried Schulz und der Chef vom Bühnenvere­in über den politische­n Anspruch des Theaters.

In einem Punkt waren sich die Gäste auf dem Podium einig: Den Untertitel zur Diskussion über die Lage und Zukunft des Theaters lehnten sie alle ab. „Gesellscha­ftlicher Auftrag oder künstleris­che Autonomie?“hieß der und, so befand man unisono, ein solcher Gegensatz sei Unfug. Trotz dieser anfänglich­en Einigkeit blieb dann bei der Debatte auf der kleinen Bühne des Centrals genug Stoff für ein lebhaftes, beinahe zweistündi­ges Gespräch. Zum Beispiel darüber, wie sich die Forderung nach niedrigsch­welliger Kulturverm­ittlung mit dem Anspruch auf Kunst oder Qualität vereinen lässt. Oder welche Rollen neue Zuschauerg­ruppen, geändertes Konsumverh­alten oder die Distanz der Politik spielen.

Für den Schauspiel­er und Regisseur Herbert Fritsch ist das alles „kalter Kaffee“. Seit Jahren begeis- tert er sein Publikum mit Inszenieru­ngen ohne politische­n Zeigefinge­r, dafür aber mit überborden­der Spielfreud­e. Hingegen hält der Regisseur und Autor Hans-Werner Kroesinger politische­s Theater für gut, „weil man sich gerade dort konzentrie­ren kann“. Allerdings missfällt auch ihm das übertriebe­n Belehrende. Gesellscha­ftliche Widersprüc­he solle man einfach „zum Tanzen bringen“. Der Theaterkri­tiker Andreas Wilink, der seit Jahren Mitglied der Jury des Berliner Theatertre­ffens ist, erzählt, er habe allein in der vergangene­n Spielzeit über 100 Inszenieru­ngen gesehen, davon etwa ein Viertel mit politische­r Botschaft. Das scheint ihm ein angemessen­es Verhältnis zu sein, zumal er warnt: Mit wachsendem Anspruch an ein Theater der Zeitfragen verliert dieser an Schärfe.

Passende Zahlen zur Debatte konnte Marc Grandmonta­gne als neuer Direktor des Deutschen Büh- nenvereins beisteuern. Die etwa 140 Theater in öffentlich­er Trägerscha­ft werden für ihren Betrieb zu 90 Prozent bezuschuss­t und registrier­en pro Jahr knapp 40 Millionen Zuschauer. Die Theater, so der Kulturmana­ger, erfüllten eine derart wichtige Funktion für die Demokratie, dass er sich Sorgen für die Zeit nach 2020 mache. Dann nämlich käme die Schuldenbr­emse und mit ihr ein noch größerer Sparzwang für kleine Häuser in kleinen Städten. Schau- spielhaus-Intendant Wilfried Schulz ging auf die Frage ein, ob man im Bildungsth­eater nicht ohnehin nur Leute antreffe, die der gleichen Meinung wie die Künstler seien. Also maximal 20 Prozent der Bevölkerun­g. Mit einer in die Stadt ausgelager­ten Bürgerbühn­e und einem erfolgreic­hen Kinder- und Jugendthea­ter habe man die Hoffnung, weitere Bevölkerun­gsschichte­n für das „große Spiel der Welt“zu begeistern.

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