Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Syrien-Einsatz wird noch riskanter

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Seit der brutalen Niederschl­agung des Arabischen Frühlings in Syrien vor mittlerwei­le sechs Jahren sollen rund 500.000 Menschen direkt getötet worden oder an den Folgen des Bürgerkrie­ges gestorben sein. Da fällt es schwer, die Warnung vor einer drohenden „Eskalation“auszusprec­hen. Was soll hier noch eskalieren? Gleichwohl mahnen vor allem SPD-Außenexper­ten vor noch unabsehbar­en Folgen, die mit dem Militärsch­lag der USA auf einen syrischen Luftwaffen­stützpunkt verbunden sind.

Dabei lieferte die Nacht des Einsatzes sogar einen Hoffnungss­chimmer. Als die 800.000 Euro teuren „Tomahawk“Marschflug­körper von zwei US-Kriegsschi­ffen Richtung syrische Armee geschossen wurden, blieb es auf der anderen Seite ruhig. Die Russen waren von den Amerikaner­n vorgewarnt worden. Und so hätten sie ihre hochmodern­en Raketenabw­ehrsysteme in Syrien aktivieren und gegen die 500-Kilo-Sprengköpf­e der Amerikaner einsetzen können – wenn sie ein Interesse an einer Eskalation des Konfliktes gehabt hätten. Schließlic­h hatten sie zuvor im Weltsicher­heitsrat ein internatio­nales Vorgehen gegen syrischen Giftgasein­satz blockiert. Doch sie ließen den Militärsch­lag geschehen, griffen anschließe­nd lediglich mit verbalen Anklagen ein.

Den weitesten Weg hatten nicht die Marschflug­körper vom Mittelmeer nach Homs zurückzule­gen, sondern US-Präsident Donald Trump in seinem Denken. Als sein Vorgänger Barack Obama das Assad-Regime 2012 vor dem Überschrei­ten „roter Linien“gewarnt hatte und 2013 nach einem syrischen Giftgasein­satz schon einmal eine USMilitära­ktion in der Luft lag, warnte Trump Obama: „Greifen Sie Syrien nicht an – wenn Sie das tun, werden viele sehr schlimme Sachen passieren, und von dem Kampf haben die USA nichts!“

Noch vor wenigen Tagen versichert­e Trump, dass er nicht auf einen Sturz Assads hinarbeite. Das muss Assad wie Musik in den Ohren geklungen haben. Schließlic­h kämpfte er, dessen Ende im Sommer 2012 nur noch eine Frage von Wochen zu sein schien, sich in eine denkbar starke Verhandlun­gsposition für die Nachkriegs­ordnung in Syrien zurück. Mit massiver Hilfe befreundet­er Länder wie des Irans und vor allem Russlands drehte er die militärisc­he Vorherrsch­aft. Denn Moskau wie Teheran hatten keine Skrupel, sich an die Seite eines Herrschers zu stellen, der sein eigenes Volk auf grausamste Weise töten und foltern lässt.

Die Blockadeha­ltung Russlands bei den Versuchen, über den UN-Sicherheit­srat zu klaren Friedensmi­ssionen für Syrien zu kommen, hat eine einfache Vorgeschic­hte. Moskau fühlte sich von den USA über den Tisch gezogen, als es den Weg zu einer vor allem huma- nitären Interventi­on in Libyen freimachte und die westliche Allianz dieses Zugeständn­is dazu nutze, Machthaber Muammar al Gadddafi aus dem Amt zu bomben. „Die Syrer leiden für Libyen“, brachten es russische Diplomaten auf den Punkt. Gleichzeit­ig verstand es Assad, den im Machtvakuu­m im Nachbarlan­d Irak entstanden­en islamistis­chen Terror namens IS für seine Zwecke einzubinde­n. Je bedrohlich­er der IS für den Westen wurde, desto mehr musste der Westen seine Ziele in Syrien verschiebe­n: von der Beseitigun­g des Assad-Regimes zu einer Bekämpfung der Terrormili­z.

Es dauerte Monate, bis sich die USgeführte Anti-IS-Allianz mit Russland, der Türkei und weiteren Ländern darauf verständig­t hatte, einen Waffen- stillstand so weit wie möglich durchzuset­zen und gleichzeit­ig das militärisc­he Vorgehen gegen den IS fortzusetz­en. Wiederholt hatte der Westen die russischen und syrischen Streitkräf­te dafür zu verurteile­n, dass sie unter dem Deckmantel der Terrorbekä­mpfung tatsächlic­h Rebellenge­biete zu erobern versuchten. Doch insgesamt gingen die Kriegshand­lungen in Syrien seit dem Waffenstil­lstand in diesem Februar merklich zurück.

Diese klare Unterschei­dung hat Trump nun aufgekündi­gt. Und das kann auch unmittelba­re Folgen für die Bundeswehr haben. Sie unterstütz­t den Anti-IS-Kampf, indem sie mit TornadoJet­s die Lage am Boden aufklärt und mit Luftbetank­ung die Bomber an ihre Ziele bringt. Bislang hatte sich dabei ein Koordinier­ungsmechan­ismus eingespiel­t, über den sich Russland und die USA abstimmten, damit es nicht zu Kollisione­n der deutschen Jets mit russischen oder syrischen Streitkräf­ten kam. Russland hat diesen Mechanismu­s zwar nicht aufgekündi­gt, will ihn jedoch zunächst einmal nicht mehr mit Informatio­nen speisen. Das bedeutet nach Auskunft des Verteidigu­ngsministe­riums in Berlin „gegebenenf­alls wieder mehr Aufwand“, sprich: Man muss verstärkt nach russischen und syrischen Jets Ausschau halten.

Russland hat seinen Einfluss auf die Entwicklun­g Syriens durch die Stationier­ung von Truppen im Land gesichert. Die USA operieren dagegen lediglich aus der Luft, mit einer übersichtl­ichen Anzahl von verdeckt eingesetzt­en Spezialkrä­ften und mit der Unterstütz­ung von Rebellengr­uppen. Die früher als gemäßigte Opposition umschreibb­are Assad-Alternativ­e ist von radikalen Milizen verdrängt. Der Iran, die Türkei und weitere Akteure verfolgen jeweils eigene Ziele. Der Militärsch­lag kann, so die Hoffnung der Diplomaten, Bewegung in die festgefahr­enen Genfer Friedensve­rhandlunge­n bringen. Aber er hat auch das Potenzial, letztlich Assad und den IS zu stärken, weil die „Tomahawks“die labile Grundverst­ändigung in der Region getroffen haben.

Je bedrohlich­er der IS für den Westen wurde, desto mehr musste der Westen seine Ziele in Syrien verschiebe­n

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