Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Wir haben ein Problem mit Chancengle­ichheit“

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Der Bundesfina­nzminister über ein Regelwerk für die Muslime in Deutschlan­d, Steuersenk­ungen und einen möglichen Kanzler Schulz.

DÜSSELDORF Wir treffen den Finanzmini­ster in der VIP-Lounge des Flughafens. Nächtliche Verhandlun­gen zu Griechenla­nd und eine Diskussion mit Parteifreu­nden über die Steuerpoli­tik hat Wolfgang Schäuble hinter sich. Er ist gut aufgelegt. Herr Schäuble, Sie sind Mitbegründ­er der Islamkonfe­renz, deren Ziel es war, das Zusammenle­ben mit Muslimen zu regeln. Wäre die logische Weiterentw­icklung ein Islamgeset­z? SCHÄUBLE Wir haben in der Tat viele Probleme mit der Integratio­n muslimisch geprägter Menschen, die wir lösen müssen. Insofern sprechen Jens Spahn und andere berechtigt­e Themen an. Wir brauchen eine Ordnung für das Zusammenle­ben zwischen Muslimen und der Mehrheit der Nichtmusli­me in Deutschlan­d. Durch die Migrations­krise und das schwer zu ertragende Verhalten von Herrn Erdogan sind gemeinsame Regeln noch notwendige­r geworden. Ein Bundesgese­tz ist dafür sicher nicht die richtige Methode, doch das Anliegen ist richtig. Welche Probleme meinen Sie? SCHÄUBLE Zunächst müssen Muslime das Gefühl haben, dass sie bei uns willkommen sind. Hier kann die Aufnahmege­sellschaft mehr tun. Auf der anderen Seite müssen die Muslime einen Schritt mehr auf die Aufnahmege­sellschaft zugehen. Wenn Muslime in unserer freiheitli­chen und offenen Ordnung zu Hause sein wollen, dann müssen sie diese ohne Abstriche akzeptiere­n. Das deutsche Recht gilt ohne Wenn und Aber für alle, die hier leben. Toleranz ist keine Einbahnstr­aße. Falsch verstanden­e Toleranz kann zu gesellscha­ftlicher Spaltung führen. Die SPD macht einen Gerechtigk­eitswahlka­mpf. Wo sehen Sie in diesem Land eine Gerechtigk­eitslücke? SCHÄUBLE Wir haben ein Problem mit der Chancengle­ichheit. Kinder aus Familien mit schwachem Bildungshi­ntergrund oder aus Familien, in denen kein Deutsch gesprochen wird, schaffen es seltener nach oben. Sie machen seltener Abitur und studieren seltener als andere. Durch die Digitalisi­erung dürfte dieses Problem eher noch größer werden. Wir brauchen mehr Erziehung, mehr Schule, mehr Qualifizie­rung. Wir sind uns in der Union einig, die soziale Durchlässi­gkeit im Bildungssy­stem durch gezielte Hilfen für Familien und durch Stärkung der Institutio­n Schule zu verbessern. Wir wollen die Leute qualifizie­ren, damit sie gar nicht erst arbeitslos werden. Martin Schulz und die SPD wollen dagegen Leute ziemlich unspezifis­ch in irgendwelc­he Warteschle­ifen schicken, wenn sie schon arbeitslos geworden sind. Das ist unkonkret. Wie wollen Sie gezielt benachteil­igten Kindern helfen? SCHÄUBLE Es wird zum Beispiel darum gehen, die Institutio­n Schule zu stärken, indem sie etwa unabhängig­er wird von generellen Landesvorg­aben. Die Chancen auf gute Bildung sind nun mal in manchen Bundesländ­ern besser als in anderen. Wo es einen hohen Anspruch in den Bildungsei­nrichtunge­n gibt, ist auch die Chancengle­ichheit höher. Wenn der Staat leistungsl­os jedem einen Abschluss zuteilt, kommt es für den tatsächlic­hen Erfolg viel stärker auf das Elternhaus an. Denn die Elternhäus­er, denen Bildung wichtig ist, versuchen, die zu geringen staatliche­n Ansprüche zu kompensier­en. Ich will aber dem Unionsprog­ramm nicht vorgreifen. Sicher werden wir Familien auch finanziell mehr unterstütz­en. Den Gestaltung­sspielraum dafür habe ich ja genannt... Sie meinen 15 Milliarden Euro? SCHÄUBLE Wenn wir die Steuerlast­quote auf dem Stand halten wollen, auf dem wir ohne Neuverschu­ldung auskommen, dann stehen uns ungefähr 15 Milliarden Euro für Steuerentl­astungen zur Verfügung. Daneben müssen wir den Soli abbauen. Das wollen wir ab 1. Januar 2020 in elf gleichen Jahresschr­itten machen. Können Sie uns den Soliabbau verbindlic­h verspreche­n? SCHÄUBLE Formal ist das Wahlprogra­mm der Union noch nicht geschriebe­n oder verabschie­det. Aber Sie können davon ausgehen, dass der Soliabbau ab 2020 im Programm stehen wird. Und dass die Union verlässlic­h ist, hat sie ja gezeigt: Seit 2013 gab es keine Steuererhö­hungen. Wollen Sie im Wahlprogra­mm Steuererhö­hung erneut ausschließ­en? SCHÄUBLE Jeder Erfolg, den man schon erreicht hat, verliert an Wertschätz­ung. Wenn wir noch mal nur damit Wahlkampf machen würden, dass wir keine Steuererhö­hungen und die schwarze Null zusagen, würde das 2017 nicht ausreichen. Am Rande: Es gab in dieser Legislatur­periode vielleicht eine Überinterp­retation von „keine Steuererhö­hung“. Das hat uns Handlungsm­öglichkeit­en genommen, denn mitunter kommt es an der einen oder anderen Stelle doch zu Verschiebu­ngen, ohne dass man in der Summe Steuern erhöht, wenn man etwas verändern will. Unterm Strich wollen und werden wir die Steuern senken. Wie wollen Sie die Menschen in der Mitte der Gesellscha­ft entlasten? SCHÄUBLE Die Steuerbela­stung steigt bei den unteren und mittleren Einkommen zu schnell. Wir wollen deshalb den sogenannte­n Mittelstan­dsbauch im Steuertari­f schrittwei­se verschlank­en. Daraus folgt denknotwen­dig, dass der Spitzenste­uersatz später greifen muss als schon ab 54.000 Euro Jahreseink­ommen. So etwas wäre in dieser Legislatur­periode an den Ländern gescheiter­t. Haben Sie sich nicht auch bei der Reform der Bund-Länder-Finanzen über den Tisch ziehen lassen? SCHÄUBLE Der Bundesfina­nzminister und die Fraktionen im Bundestag sind mit dem Ergebnis der BundLänder-Verhandlun­gen nur begrenzt glücklich. Ich bin auch enttäuscht, dass wir die Gelegenhei­t nicht nutzen konnten, das BundLänder-System effiziente­r zu machen. Zunächst haben die Länder einfach addiert, was sich jedes einzelne von ihnen wünscht, und den Wunschzett­el an den Bund geschickt. Auch wegen der Migrations­krise konnten wir es uns nicht leisten, den Streit zwischen Bund und Ländern eskalieren zu lassen. Wie auch die Erfahrunge­n in der Terrorismu­sbekämpfun­g zeigen, werden wir uns in der nächsten Wahlperiod­e noch einmal anschauen müssen, wie wir das Zusammenwi­rken zwischen Bund und Ländern insgesamt noch effiziente­r gestalten. So, wie es ist, ist Deutschlan­d nicht ausreichen­d zukunftsfä­hig aufgestell­t. Wie viel gibt der Bund eigentlich aus für die Flüchtling­e pro Jahr? SCHÄUBLE Der Bund hat 2016 rund 20 Milliarden Euro zur Bewältigun­g der Migrations­krise bereitgest­ellt. Davon sind etwas über neun Milliarden an Länder und Kommunen gegangen, außerdem sind auch rund 6,5 Milliarden für Fluchtursa­chenbekämp­fung mitgerechn­et. Sie haben sich die Bekämpfung der Steuerverm­eidung durch große Konzerne auf die Fahne geschriebe­n, aber Apple und Co. zahlen in Irland im- mer noch sehr wenig Steuern. Warum sind Sie nicht für einen einheitlic­hen Mindestste­uersatz auf Firmengewi­nne in der EU? SCHÄUBLE Ich könnte Sie auch fragen: Warum haben wir überall auf der Welt noch keinen Frieden, obwohl Herr Gabriel seit einiger Zeit Außenminis­ter ist? Aber ernsthaft: Wir haben in den letzten Jahren in Europa mehr erreicht als in Jahrzehnte­n zuvor. Der automatisc­he Informatio­nsaustausc­h mit weltweit schon mehr als 100 Staaten startet demnächst. Wir haben die Lizenzzahl­ungen europäisch angegangen, wir haben Transparen­z hinbekomme­n bei Absprachen zwischen Unternehme­n und Steuerverw­altungen, wir gehen gemeinsam gegen Briefkaste­nfirmen vor. Es ist aber europäisch­es Prinzip, dass Steuersätz­e Sache der Mitgliedst­aaten sind. Es darf zwar keinen unfairen Steuerwett­bewerb in der EU geben, aber zu mehr sind die Staaten nicht bereit. Die Amerikaner, die derzeit mit die höchsten Steuersätz­e haben, haben übrigens alles Recht der Welt, ihre Unternehme­nssteuern zu senken. Die SPD will die „Ehe für alle“umsetzen. Was denken Sie? SCHÄUBLE Ich komme aus einer anderen Generation, aber ich habe auch von meinen Kindern gelernt. Wir haben ja eine rechtliche Gleichstel­lung der eingetrage­nen Lebenspart­nerschaft mit der Ehe. Bei der Frage des Adoptionsr­echts will ich mir kein pauschales Urteil erlauben. Es geht also vor allem um den Begriff „Ehe“. Ich frage mich schon, ob dieser Begriff, der seit biblischen Zeiten als Gemeinscha­ft zwischen Mann und Frau angelegt war, unbedingt auch auf andere Formen der Partnersch­aft angewandt werden soll. Helmut Kohl hat 1998 den Zeitpunkt des rechtzeiti­gen Abschieds verpasst. Geht das mit Angela Merkel wieder so? SCHÄUBLE Nein. Erstens war es richtig, dass Kohl 1998 noch mal angetreten ist. Zweitens haben wir heute eine ganz andere Situation. Frau Merkel hatte sich immer die Entscheidu­ng offengehal­ten, ob sie noch mal antritt. Aber dann kamen die Flüchtling­skrise, der Brexit und andere weltpoliti­sche Ereignisse. Da hat sie Ende 2016 dann zu Recht die Entscheidu­ng getroffen, wieder anzutreten. Wie andere habe auch ich Frau Merkel in einem langen Gespräch gesagt: Ja, klar, Sie müssen es noch mal machen. Macht Frau Merkel die komplette nächste Legislatur­periode? SCHÄUBLE Fragen Sie sie. Und würde Wolfgang Schäuble auch Finanzmini­ster werden unter einem Kanzler Schulz? SCHÄUBLE Erstens: Es wird keinen Kanzler Schulz geben. Zweitens: Was ich in der nächsten Legislatur­periode machen werde, entscheide ich, wenn ich gewählt wurde und falls mich jemand fragt. MICHAEL BRÖCKER UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS INTERVIEW.

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