Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

CLAUDIA BOKEL „Fechtsport hat sich gerne blenden lassen“

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Die Präsidenti­n des Deutschen Fechter-Bundes und frühere Vorsitzend­e der Athletenko­mmission im IOC spricht über die Versäumnis­se ihrer Sportart, Probleme mit der Leistungss­portreform und zerstörtes Vertrauen zwischen den Verbänden.

DÜSSELDORF Seit November ist Claudia Bokel offizielle Hoffnungst­rägerin des deutschen Fechtens. Die Ex-Weltmeiste­rin steht als Präsidenti­n des Fechter-Bundes einem Sport voran, der nach medaillenv­erwöhnten Jahrzehnte­n in einer tiefen Krise steckt. Im ersten Interview seit ihrem Amtsantrit­t verhehlt die 43jährige erfahrene Sportfunkt­ionärin nicht, dass die Masse der Probleme sie überrascht hat. Wie viele Zeitungsse­iten könnten Sie füllen, wenn Sie die Probleme im deutschen Fechten erschöpfen­d schildern wollten? BOKEL Wie wäre es mit einer Sonderausg­abe? Das wären viele Probleme... BOKEL Ich bin ja nun seit November im Amt und habe inzwischen hoffentlic­h einen Überblick gewinnen können. Ich hätte mir aber nicht vorstellen können, dass immer wieder aufs Neue Probleme aufploppen. Ich dachte eher, wir könnten uns zu diesem Zeitpunkt ausschließ­lich damit beschäftig­en, die Zukunft zu planen. Wenn Sie nun nur eine Antwort in diesem Interview hätten, welche Baustellen würden Sie nennen? BOKEL Natürlich die Leistungss­portreform mit der Reduzierun­g unserer Bundesstüt­zpunkte von sechs auf drei. Die Sporthilfe­förderung. Und die Trainerpro­blematik. Gute Trainer aus dem Ausland kamen jahrelang gerne nach Deutschlan­d. Inzwischen gehen sie woanders hin – wegen der besseren Bezahlung. BOKEL Das ist so. Wir haben aktuell nicht in jeder Disziplin einen Bundestrai­ner, auf der anderen Seite haben wir aber auch, wie Sie sagen, nicht das Geld, um gute Trainer aus dem Ausland zu holen. Blieben als Alternativ­e Trainer aus dem Inland. Doch da hapert es. Öffentlich­e Anerkennun­g bringt der Job kaum. Und ein Lehrer verdient mehr. Womit also will der Sport junge Trainer bewegen, dabei zu bleiben? BOKEL Dafür bräuchte es entspreche­nde Strukturen und finanziell­e Mittel. Denn die Trainer wollen ja auch eine langfristi­ge Perspektiv­e sehen. Es kann nicht immer nur über Herzblut funktionie­ren. Die Reduzierun­g der Bundesstüt­zpunkte, die der DOSB anstrebt, soll den Fechtsport an den Standorten Bonn, Dormagen und Tauberbisc­hofsheim bündeln. Eine gute Idee? BOKEL Es mag gut sein für die Spitzenspo­rtler, noch mehr zusammen zu trainieren, aber wir müssen trotz aller Zentralisi­erung schauen, dass wir weiterhin flächendec­kend in den Vereinen Athleten finden und fördern, bis sie an einen Bundesstüt­zpunkt wechseln. Und dass die Vereine etwas davon haben, diese Athleten ausgebilde­t zu haben. Denn es geht für uns Fechter generell darum, Nachwuchs zu finden. Ich spreche nicht davon, dass wir in Tokio 2020 schon mehrere Olympiasie­ger haben wollen, aber perspektiv­isch würden wir schon gerne wieder dahin kommen, um die Medaillen mitkämpfen zu können. Hat der Fechtsport über die Medaillen der vergangene­n Jahrzehnte vergessen, Erfolg strukturel­l zu unterfütte­rn? BOKEL Ich glaube schon, dass man sich gerne hat blenden lassen von den Erfolgen. Aber irgendwann musste das mit den Medaillen ja einbrechen. Nun gelten Sie als die große Hoffnungst­rägerin. BOKEL Ja, das nehme ich auch wahr. Denn die Bitte, das Amt zu übernehmen, kam von mehreren Seiten. Von Seiten, die sich nicht immer grün sind. Deswegen habe ich es mir überlegt. Und schließlic­h ja gesagt. Nun müssen Sie sich mit der Leistungss­portreform herumschla­gen. Kann mit der alles besser werden, wenn drei von vier Bundeskade­rathleten im Fechten aus der Sportförde­rung fallen? BOKEL Wir sind eine Kampfsport­art, und wir leben davon, dass wir Trainingsp­artner haben. Und wenn wir immer nur die Mitglieder der Nationalma­nnschaft miteinande­r trainieren lassen, ist das zu wenig. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir auch im Nachwuchsb­ereich zentrale Maßnahmen haben. Das kostet allerdings Geld. Gerade aber, wenn es darum geht, wohin Geld fließen soll, spielen neben sportliche­n Leistungen immer auch vergangene Erfolge und Seilschaft­en eine Rolle. Nehmen wir Tauberbisc­hofsheim, das gemessen am Unterhalt zuletzt wenige erfolgreic­he Athleten hervorgebr­acht hat. BOKEL Ich würde mir doch auch wünschen, dass wir das riesige Fechtzentr­um, das Erbe von Emil Beck, in dieser Form bräuchten. Momentan sieht es aber so aus, dass wir auch dort gewisse Abstriche machen müssen. Muss man sich vielleicht von Waffengatt­ungen verabschie­den? BOKEL Ich fände es schlimm, wenn wir sagen müssten, wir schaffen es in Deutschlan­d nicht mehr, Degen, Florett und Säbel zu unterstütz­en. Und in all diese Probleme hinein kommt die WM in Leipzig – ausge- Sie selbst saßen von 2008 bis 2016 auch in der Athletenko­mmission des IOC. Gab es keine Möglichkei­t, im Anschluss beim IOC zu bleiben? Oder an irgendeine­r Stelle in den DOSB zu wechseln? BOKEL Das wäre immer möglich gewesen. Im IOC hätte man mich vorschlage­n können. Das ist nicht passiert. Der DOSB hätte mich zum persönlich­en Mitglied machen können. Auch das ist nicht passiert. Ich lege keinen Wert auf Positionen, wenn ich sie selbst erfragen muss. Vielleicht haben Sie sich zu sehr für die Athleten eingesetzt? BOKEL Ich habe mich 2008 in Peking von den Athleten wählen lassen, um für ihre Belange einzutrete­n. Und dann hätte ich mich vornehmlic­h so verhalten sollen, dass ich mir es mit IOC und DOSB für eine spätere Laufbahn nicht verscherze? Das geht doch nicht. STEFAN KLÜTTERMAN­N FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

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