Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
WOCHENENDE 8./9. APRIL 2017
Auf der ganzen Welt ist die Jugendbuchliteratur etwa der Schweden populär. Natürlich ist das Bullerbü, von dem Astrid Lindgren erzählt, eine idealisierte Landschaft, eine Utopie. Aber man findet doch Spuren davon in der Wirklichkeit. Da ist zum Beispiel dieses Urvertrauen, die Gewissheit, dass einem der Andere nichts Böses will. Angst davor, etwa beim Kauf eines gebrauchten Autos oder Handys übers Ohr gehauen zu werden, hat man kaum. So ist die Kinderfreundlichkeit nicht nur ein Mythos. Deutsche Einwanderer schwärmen oft davon, wie einfach es Arbeitnehmern gemacht wird, Kinder zu haben. Das System kümmert sich um vieles. Es gibt genügend Kindergärten und Ganztagsschulen. Nachhilfe wird staatlich finanziert, auch wird etwa in Schweden darauf geachtet, dass Kinder nicht gemobbt werden. Eine glückliche Kindheit ist schließlich der Schlüssel zum glücklichen Erwachsenen, wissen die Skandinavier. Großeltern müssen nur selten als Ersatzeltern einspringen, weil das Betreuungssystem lückenlos ist. Auch um die alten Menschen kümmert sich der Staat flächendeckend.
Vielleicht hat das grundsätzliche Einverständnis mit dem Anderen, das also, was man durchaus als Nächstenliebe bezeichnen könnte, dazu geführt, dass die Skandinavier weniger stark in Unterschieden denken. So ist die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern so weit fortgeschritten, dass sich viele Schwedinnen gar nicht vorstellen können, im zumeist viel patriarchalischer geprägten Ausland zu arbeiten. Frauen fühlen sich weniger diskriminiert. Es ist nur eine Empfindung, aber sie wird von vielen bestätigt: Skandinavische Männer treten deutlich weicher auf als Männer andernorts in Europa – gerade, weil von ihnen nicht erwartet wird, männlich aufzutreten. Der skandinavische Mann definiert sich weniger stark über die klassischen Attribute des Männlichen. Laut internationalen Marketingrankings sind skandinavische Gesellschaften „feminin“, während etwa Deutschland und Italien „maskulin“sind. Die Menschen sind freier in der Gestaltung ihrer Identität.
Die Skandinavier haben großes Vertrauen in die Gerechtigkeit ihrer Gesellschaften. Sie sind zudem sehr wohlhabend – statistisch gesehen. Sie haben diesen Reichtum aber im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA gerecht verteilt. Das stimmt die Menschen milde und sorgt für weniger Kriminalität. Der Neid hält sich in Grenzen, wenn die Einkommensunterschiede nicht hanebüchen sind. Zudem liegt etwa in Schweden das letzte Kriegserlebnis 200 Jahre zurück. Kriege verhär- ten Völker. Die Folgen von Kriegen verändern ein Volk über Generationen.
Die Skandinavier leben gesund. Im Straßenbild sieht man viel weniger Raucher als in Deutschland, Fitness-Studios und Yoga-Kurse sind schon viel länger Mode als in Deutschland. Im chancengleich geprägten Sozial- und Bildungsstaat führen im Gegensatz etwa zu den USA auch die unteren Schichten ein gesundheitsbewusstes Leben. Unglücklichen „White Trash“gibt es kaum noch.
Die einst überdurchschnittlich großen Probleme mit Alkoholismus und hohen Selbstmordraten haben die Skandinavier so gut in den Griff bekommen, dass sie auch in diesen Bereichen heute als Vorbilder dienen können.
Zudem könnte das Glücklichsein auch in den Genen der Skandinavier liegen. Eine in der Fachwelt durchaus anerkannte wissenschaftliche Studie aus Großbritannien kommt zum Ergebnis, dass die Dänen trotz ausführlicher Berücksichtigung soziokultureller Faktoren vor allem wegen ihrer Gene glücklicher sind als andere Menschen. Die Forscher der Universität Warwick glauben demnach, dass eine bestimmte Genstruktur, die gerade in Dänemark verbreitet ist, der Produktion des Glücklichkeitshormons Serotonin zuträglich ist. Es geht dabei um die polymorphe 5-HTT-Region.
Die dänische Glücklichkeit ist somit eine Art natürliches, genetisches Antidepressivum. Anders gesagt: Im Norden wird man geboren, um glücklich zu sein. Alle anderen müssen es erst noch werden. Info Unser Autor ist seit 2003 Nordeuropa-Korrespondent. Er lebt in Stockholm.
Das Urvertrauen, das man aus Bullerbü kennt, findet man
hier wirklich