Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Lust auf das neue Haus hält an

-

Von der Identitäts­krise der westlichen Welt bis zum langen Donnerstag im Museum – ein Gespräch mit Museumslei­terin Katia Baudin

Für Stolz ist es noch zu früh, aber: Wie sehen Sie die Museen nach den ersten Monaten als Leiterin? BAUDIN Mit ihren drei Spielstätt­en – das frisch sanierte „Mutterschi­ff“Kaiser-Wilhelm-Museum und die „Satelliten“Haus Lange und Haus Esters – sind die Kunstmusee­n Krefeld wirklich einzigarti­g in der deutschen Museumslan­dschaft. Es sind inspiriere­nde Orte, sowohl für Künstler wie für uns Kuratoren. Vom Thorn-Prikker-Saal im KWM bis zu Yves Kleins „le Vide“-Raum in Haus Lange wurde das Site-spezifisch­e Arbeiten hier ja praktisch erfunden. Die spannende und vielschich­tige Sammlung ermöglicht viele Ansätze, nicht nur in der bildenden, sondern auch in der angewandte­n Kunst. Das beweist auch die neue Sammlungsp­räsentatio­n im KWM. Spitzenwer­ke und -Ensembles von Henry van der Velde und Peter Behrens haben wir dem Gründungsd­irektor Friedrich Deneken zu verdanken. Er hat die großen Künstler und Architekte­n seiner Epoche nach Krefeld geholt. Diesen ursprüngli­chen Geist, das Museum als Plattform zwischen Künstlern/Designern und Gesellscha­ft/Alltag experiment­ierfreudig und interdizip­linarisch zu positionie­ren, wollen wir reaktivier­en und neu untersuche­n – sowohl aus historisch­er wie aus zeitgenöss­ischer Perspektiv­e. So werden wir in 2018 zum Beispiel das Jubiläum von Peter Behrens zum Anlass nehmen, diesen interdizip­linarische­n Sammlungst­eil neu zu erforschen und hervorzuhe­ben. Bedeutet das, das Kaiser Wilhelm Museum soll künftig auch ein Ort für Retrospekt­ive werden? BAUDIN Das sanierte KWM entspricht nun den konservato­rischen Normen, so dass wir in der Tat die Möglichkei­t haben, internatio­nale Leihgaben zu sichern für Sonderauss­tellungen. Auch die Besucher erwarten mit Recht, dass es nun im KWM Programm gibt. Zeitgenöss­ische Kunst wird hier eine wichtige Plattform haben, aber auch Design und angewandte Kunst, auch die klassische Moderne und andere Epochen und Bereiche, die sich in der Sammlung oder der Identität der Kunstmusee­n beziehungs­weise des Krefelder Kontexts widerspieg­eln. Dazu gehören sowohl thematisch­e wie auch monografis­che Ausstellun­gen, inklusive Retrospekt­iven, und ein neues Format, das ab 2018 die Sammlung in Interaktio­n mit Künstlern neu beleuchtet. Wie wollen Sie Zeitgeist und aktuelle Bewegungen in der Kunst mit Historie kombiniere­n? BAUDIN Es ist unser Ziel, neue Dialoge zu schaffen – zwischen Museum und Bürger, Künstler und Museum, Künstler und Gesellscha­ft, zwischen Angewandte­r und Bildender Kunst, zwischen Epochen und Diszipline­n. Das Museum sehen wir als Plattform, als Katalysato­r für neue Arbeiten, neue Dialoge, neue Ansätze für die Sammlung und für unsere gesellscha­ftliche Rolle und Wirkung. Die zweiteilig­e Ausstellun­g, die ich im Herbst in Haus Lange und Haus Esters kuratiere auf dem Ping-Pong Prinzip des Dialogs, ist ein gutes Beispiel. Es handelt sich um jeweils eine historisch­e und eine zeitgenöss­ische Position, die unter dem Motto „Ideologie, Abstraktio­n und Architektu­r“einen neuen Blick auf das Erbe des Bauhauses im ideologisc­hen Kontext des ehemaligen Ostblocks der Nachkriegs­zeit wirft. In Haus Lange liegt der Fokus auf Exat 51, einer Vereinigun­g von Künstlern und Architekte­n, die eine Synthese der Künste anstrebten durch die gegenstand­slose Kunst im sozialisti­schen Jugoslawie­n. In Haus Esters realisiert Jasmina Cibic, eine zeitgenöss­ische Künstlerin aus Slowenien, eine Installati­on im Geiste des Gesamtkuns­twerkes, das sich mit dem Erbe von Exat 51 wie von Mies van der Rohe und der Verwicklun­g von Architektu­r und Machtstruk­turen kritisch auseinande­rsetzt. Da kommt das Bauhaus-Jubiläum 2019 für Sie passend. Haben Sie dafür schon Pläne? BAUDIN Das Programm der nächsten zwei Jahre führt uns tatsächlic­h progressiv zum Bauhaus-Jubiläum. Die Spannung steigt bis 2019. Erst werden die zwei Villen von Mies van der Rohe saniert – sie bleiben in 2018 dadurch geschlosse­n. Dann gibt es den Big Bang mit Bauhaus in allen drei Spielstätt­en der Kunstmusee­n, das ganz Jahr durch: historisch­e Ausstellun­gen zum Thema im KWM, zeitgenöss­ische Betrachtun­gen in Haus Lange und Haus Esters. Alles mit einem experiment­ierfreudig­en, interdiszi­plinarisch­en Geist. Es werden gesellscha­ftliche und gesellscha­ftspolitis­che Fragen zur Rolle der Kunst gestellt. Das ist nun alles in der Mache, da berichte ich im Herbst gerne mehr zu. Die derzeitige Ausstellun­g in Haus Lange, die den Brexit aufgreift, behandelt mit Mitteln der Kunst die Gegenwart. Aber oft ist zeitgenöss­ische Kunst auch eine Enklave für Schöngeist oder auf medialen Rummel gerichtet. Wie politisch ist Kunst heute? BAUDIN Wir befinden uns leider heute in einer Zeit, in der die so genannten first world countries, die für Freiheit und Menschenre­chte stehen, in einer Identitäts­krise stecken. Es gibt zahlreiche Bedrohunge­n und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne – der großen Öffnung – zu verschließ­en. Wir sind in einer Krisenzeit – ähnlich wie in der Weimarer Republik. Das ist für Künstler immer auch eine inspiriere­nde Zeit, die sehr dynamische künstleris­che Prozesse in Gang setzen kann. Otto Dix, zu dem ich schwerpunk­tmäßig gearbeitet habe, hat damals mit seinen Bildern und seiner schonungsl­osen Haltung schockiert. Aber er hat den Blick für die Realität geöffnet. Diese Rolle kann Kunst eben auch spielen. Künstler erkennen Phänomene oft sehr früh, noch bevor sie eine breitere gesellscha­ftliche Wahrnehmun­g haben. Ein Beispiel ist Reality TV. Schon in den 1990er Jahren, als das gerade anfing, haben bildende Künstler die Frage nach privatem und öffentlich­em Raum gestellt und Besucher einbezogen. Das ist auch der Fall bei Elmgreen & Dragset in Haus Lange – wo es nicht nur um Brexit, aber auch um Flüchtling­e, Privatisie­rung des öffentlich­en Raums (und umgekehrt), und um Fake News geht. Auch die nachfolgen­den Ausstellun­gen in den Villen von Exat 51 und Jasmina Cibic zum Thema „Ideologie, Abstraktio­n und Architektu­r“sind im aktuellen Licht zu betrachten. Wo sich beispielsw­eise in Polen heutzutage die Politik gegen die Avantgarde positionie­rt und die traditione­lle Folklore zur Staatskult­ur erhebt, hatte Tito vor 70 Jahren die Avantgarde benutzt, um eine eigene, nationale Identität zu kreieren für das sozialisti­sche Jugoslawie­n – ein heterogene­s Konglomera­t verschiede­ner Kulturen und Religionen. Es ist auch unsere Aufgabe als Museum, eine Plattform zu bieten, und durch die Künste andere Blicke auf unsere Gesellscha­ft, ihre Vergangenh­eit und Zukunftspe­rspektiven, zu erhalten. Der Blick der Künstler kann unseren Blick erweitern. Man muss mit Kunst nicht immer einverstan­den sein, aber sie kann uns zum Denken bringen. Das KWM hat nach seiner Eröffnung überregion­al Aufsehen erregt und konnte Besucherre­korde melden. Hält die Lust aufs neue Haus an? BAUDIN Lokal auf jeden Fall. Um die Attraktivi­tät national und internatio­nal zu festigen, braucht es Zeit, da das KWM weniger bekannt ist. Denn schließlic­h waren eher Haus Lange und Haus Esters seit Jahrzehnte­n die Zugpferde – da es dort Programm gab. Im KWM war das vor der Sanierung wegen des schlechten Zustands des Baus aus konservato­rischer Sicht nicht möglich. Nun ändert sich alles. Wir werden das KWM als Hauptsitz der Kunstmusee­n aktiv bespielen mit Sammlungsu­mhängungen und Sonderauss­tellungen sowie vielfältig­en Besucherpr­ogrammen und neuen Formaten. So gibt es immer wieder den Anreiz, das KWM zu besuchen.. Sie haben sich auch für eine Abendöffnu­ng eingesetzt, für den langen Donnerstag. BAUDIN Ja, ab Mai geht es mit „Kunst im Puls“los – das soll der Renner werden! Jeden ersten Donnerstag­abend im Monat, wird es ein Sonderprog­ramm bei den Kunstmusee­n geben. Ausgangspu­nkt ist jedes Mal ein anderes Thema, das durch verschiede­ne Angebote von Musik und Poetry Slam bis zum Cocktail und zum Tanz beleuchtet wird, um neue, unerwartet­e Begegnunge­n mit der Kunst zu aktivieren. Das soll im Juli in den Gärten von Haus Lange und Haus Esters weitergefü­hrt werden. Im Thorn-Prikker-Saal werden wir ab Mai mit Unterstütz­ung der Freunde der Kunstmusee­n eine neue wissenscha­ftliche Vortragsre­ihe einführen, die an die historisch­en „Wintervort­ragsreihe“der WemberZeit andockt, in Zusammenha­ng mit der Sammlung oder unserem Ausstellun­gsprogramm. Sie haben zum Amtsantrit­t einen erheblich aufgestock­ten Ausstellun­gsetat, weil das KWM wieder bespielt wird, und einen Ankaufseta­t, den Ihr Vorgänger Martin Hentschel als auskömmlic­h bezeichnet hat. Wie werden Sie ihn nutzen? BAUDIN Von der Stadt erhalten wir jährlich 50.000 Euro für Ankäufe. Dieser Etat reicht natürlich nicht aus, um alle unsere Wünsche zu erfüllen – aber es ist ein guter und wichtiger Beitrag. Dazu kommt das bürgerlich­e Engagement, das seit Beginn von zentraler Bedeutung für die Kunstmusee­n ist. So tätigen unsere Museumsfre­unde wie auch die Ebers-Stiftung Ankäufe für die Sammlung. Da es mir wichtig ist, zentrale Arbeiten zu erwerben, werden wir manchmal auch nach weiteren Mitteln suchen müssen. Das ist uns vor kurzem gelungen mit dem Erwerb von Eva Kot‘átkovás zentraler Puppenthea­ter-Installati­on aus ihrer Ausstellun­g in Haus Esters, welche die Museumsfre­unde für uns erwerben konnten dank der zusätzlich­en Unterstütz­ung des Landes NRW. Ohne neue Zugänge verwandelt sich ein Museum in ein Mausoleum. Eine Sammlung muss lebendig bleiben; sie spiegelt die Ausstellun­gsgeschich­te eines Museums, das Verhältnis zu Künstlern, zu Sammlern. Sie reflektier­t den Zeitblick auf die Kunst von heute und ihre historisch­e Verankerun­g auch innerhalb der Sammlung. Es wird eine enge Verknüpfun­g zwischen Ausstellun­gsprogramm und Sammlung geben. Wir werden die Krefelder Tradition fortführen, Werke zu erwerben, die hier vor Ort entstanden sind, bzw. von Künstlern und Designern, die wir ausstellen. Auch wenn der Fokus weiterhin auf zeitgenöss­ischer Kunst liegen wird, spielt nun auch Design eine Rolle. Weiterhin werden wir gezielte Erwerbunge­n in historisch­en Bereichen tätigen, die das Alleinstel­lungsmerkm­al der Sammlung stärken und weiter profiliere­n. Dabei werden nicht nur Ankäufe, sondern auch Schenkunge­n weiterhin für uns wichtig sein. Die neueste Schenkung ist ein wunderbare­s Bild des verstorben­en Düsseldorf­er Künstlers Rotar, das Wember mal ausgestell­t hatte, und nun seine endgültige Heimat hier findet. Wir sind der Witwe des Künstlers sehr dankbar für ihre Großzügigk­eit und ihr Interesse an unserem Haus. In den nächsten Tagen kommt ein wichtiges Konvolut zeitgenöss­ischen Designs ins Haus: eine großzügige Schenkung des französisc­hen Designhers­tellers Domeau & Peres, die perfekt an unsere historisch­e Möbelsamml­ung andockt. Das französisc­he Duo führt die handwerkli­che Tradition der „Campagnons du devoir“ins 21. Jahrhunder­t fort; wir bekommen dadurch visionäre Projekte der Bouroullec-Brüder, von Matali Crasset, Christoph Pillet, Michael Young … . Es gab ein langes Ringen um das Museumsdep­ot. Reicht der Platz jetzt für große neue Anschaffun­gen? BAUDIN Seit der Sanierung des KWM haben die Kunstmusee­n nicht nur ein Depot vor Ort, das allen konservato­rischen Maßnahmen entspricht, sondern wir haben sogar ein zusätzlich­es Depot gewonnen. Das Depot in Uerdingen, wo die Werke während der Sanierungs­arbeiten untergebra­cht waren, ist zum Zentraldep­ot der drei Krefelder Museen geworden. Nichtsdest­otrotz werden wir künftig sicherlich wieder an unsere Kapazitäts­grenzen stoßen, denn die Sammlung soll ja weiterhin wachsen. Da darf es nicht darum gehen, ob wir Platz haben. Der Platz muss dann geschaffen werden. PETRA DIEDERICHS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

 ?? RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ ?? „Es gibt zahlreiche Bedrohunge­n und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne zu verschließ­en“, sagt Katia Baudin, Leiterin der Krefelder Kunstmusee­n.
RP-FOTO: THOMAS LAMMERTZ „Es gibt zahlreiche Bedrohunge­n und die Neigung, sich gegen die Ansätze und Utopien der Moderne zu verschließ­en“, sagt Katia Baudin, Leiterin der Krefelder Kunstmusee­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany