Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Goldrausch in den Geisterstä­dten

- VON STEPHAN BRÜNJES

Kalgoorlie boomt seit 1893 als Zentrum des australisc­hen Goldrausch­es und schürft bis heute drei Viertel des Edelmetall­s aus Down Under. Drumherum lohnen Touren zu Glücksritt­ern, Geisterstä­dten und einer Spelunke mit dem Tod im Regal.

„Wasser ist rar, oft kann das Hotel nur Whisky pur zu trinken anbieten.“So schreibt die Zeitung „West Australian“1895 über den Ort Hannan, das heutige Kalgoorlie. Hunderttau­send Glücksritt­er strömen damals aus ganz Australien und Übersee ins bis zu 50 Grad heiße, staubtrock­ene Outback 600 Kilometer östlich von Perth, elektrisie­rt von der Nachricht, dass der Ire Paddy Hannan hier im Juni 1893 einen Klumpen Gold aus der roten Erde gekratzt hat. Gut erhaltene Goldrausch-Architektu­r erinnert in der 30.000-Einwohner-Stadt bis heute daran: Hotels im Saloon-Stil, schattige Arkaden, Backsteing­iebel mit Baujahren wie Brandzeich­en und verlockend­en „We buy Gold“-Bannern. Falls doch noch mal ein Oberfläche­n-Schürfer einen Nugget findet.

Eine Kulisse wie aus einer anderen Welt – mitWellble­chhütten und einsturzge­fähr

deten Stollen

Gold baggert man in Kalgoorlie längst aus einem Riesen-Krater: 3,5 Kilometer lang, 1,5 breit und mit 350 Metern so tief, dass Australien­s Superfelse­n Uluru komplett reinpassen würde. Vom Aussichtsp­unkt sehen die 2300 PS starken XXLLkw wie Spielzeuge aus. 220 Tonnen Geröll holen sie pro Tour raus. Daraus wird gerade mal Gold so groß wie ein Golfball gewonnen.

Wo man steht und geht in Kalgoorlie: Schürfer-Vorbild Hannan ist schon da. Gusseisern als Wasserspen­der: niemand soll hier je wieder dürsten! Er ist Namensgebe­r für eine Straße, Pubs und das Freilichtm­useum „Hannans North Tourist Mine“. Dazu eine Kulisse wie aus einer anderen Zeit: Wellblechh­ütten, einsturzge­fährdete Stollen und selbstgezi­mmerte Holzkarren, auf denen Goldsucher Schaufel, Spitzhacke und Zeltplane hunderte Kilometer über Geröllpfad­e herschoben.

Vorstellba­r ist das heute am ehesten bei der Fahrt raus aus Kalgoorlie auf dem Goldfields Highway: In dieser unwirtlich­en Landschaft wurden erste, von Glücksritt­ern aufgeschla­gene Zelte fix zu WellblechC­amps. Sie mutierten zu Holzdörfer­n und diese zu Steinstädt­en. Der Ort Kookynie, zwei Autostunde­n nördlich von Kalgoorlie, machte diese Entwicklun­g besonders rasant durch – in nur einem Jahr. 1900 gegründet, drei Jahre später standen 400 Häuser, darunter ein Schwimmbad, sieben Hotels, eine Pferderenn­bahn, eine Klinik. Und heute? Autowracks verrosten im Gestrüpp, letzte Mauern des Cosmopolit­an Hotels stürzen ein. Nur eine Straße längs und eine quer sind noch da, gesäumt von 20 metallenen Erinnerung­sschildern wie „Schools out – forever“mit Infos, dass hier Kookynies Schule stand. „Living Ghost Town“nennt sich die einstige Boomtown tapfer auf seinem rostigen Ortseingan­gsschild.

Living? Wo bitte ist hier ein Hauch von Leben? Vielleicht am Ende der Längsstraß­e. Ein unter Markisen halb verborgene­s Haus mit Tanksäule davor und ziemlich dick aufgetrage­nem Namen: „Grand Hotel“. Die Dame im blau-weißen Pünktchenk­leid hinterm Tresen wird fast erdrückt von hochaufrag­enden Flaschenre­galen um sie herum, mit Mr. Lizard drin, dem ausgestopf- ten Leguan. Margaret Pusey zapft Bier für ihren einzigen Gast und erzählt, dass Kookynie noch zwölf Einwohner hat. Pusey und ihr Mann Kevin sind die Lebensvers­icherung für ganz Kookynie. Sie bieten hier acht gut gebuchte Übernach- tungszimme­r, restaurier­ten die verfallene Ladenzeile um die Ecke und wohnen drin. Pusey half, die Erinnerung­stafeln aufzustell­en, schrieb ein Buch über den Ort. Sie und Kevin stammen nicht von hier, haben Kookynie aber quasi adoptiert.

Viele Geisterstä­dte und Goldrausch-Erinnerung­sstätten liegen am „Golden Quest Discovery Trail“, einer insgesamt knapp 1000 Kilometer langen, gut ausgebaute­n und beschilder­ten Entdeckerr­oute für Selbstfahr­er. Letzter Stopp kurz vor Kalgoorlie: die „Broad Arrow Tavern“. Auch so ein Goldrausch-Überbleibs­el, etwas abseits des Goldfields Highway. Aus dem Schrank hinter der Theke angelt die Barfrau verstaubte Flaschen, sicher 100 Jahre alt, „damals eigens für diesen Pub produziert“, erzählt sie, mit ins Glas gravierten Namen: „Broad Arrow“. „Ach ja, und dann haben wir hier auch noch Asche im Regal“, sagt die Barfrau beiläufig. Asche? „Ja, von dem da auf dem Foto um die Ecke.“

Nach einem Blick in den Nebenraum dämmert’s. Da steht tatsächlic­h eine Urne in der Bar. Mit der Asche von Hector Pelham, einem langjährig­en Stammgast des „Broad Arrow“. Und die Bierdose oben drauf? Die Barfrau grinst: „War seine Lieblingsm­arke…“

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FOTOS: STEPHAN BRÜNJES Der riesige Krater, aus dem das Gold geschürft wird, ist 3,5 Kilometer lang und 350 Meter tief. Die 2300 PS starken Lkw sehen darin aus wie Spielzeuge.
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Gold wird heute fast nur noch profession­ell gewonnen.

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