Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Wikipedia-Eintrag statt Hausarbeit

- VON LEONIE WUNDERLICH

An der Universitä­t Heidelberg können Studenten für einen Wikipedia-Eintrag einen Leistungsn­achweis bekommen.

HEIDELBERG Wenn man im Browser den Namen Langdon Winner eingibt, erscheint an erster Stelle ein Wikipedia-Eintrag über den USamerikan­ischen Technik-Philosophe­n. Er ist sogar als „lesenswert“ausgezeich­net. Verfasst hat diesen Eintrag Daniel Stil, Philosophi­eund Geschichts­student der Universitä­t Heidelberg. Anstatt wie üblich eine Hausarbeit zu schreiben, entschied Stil sich im Rahmen des Seminars „(Schreib-)Maschinen und Gesellscha­ft: Philosophi­sche und soziologis­che Perspektiv­en auf Neue Medien und ihre Technik“für einen Eintrag in der Online-Enzyklopäd­ie.

Die Studenten beschäftig­en sich auf diese Weise aktiv mit Wikipedia und helfen auf wissenscha­ftlicher Basis bei der Weiterentw­icklung mit. „Dabei wird vor allem die Diskussion­sfähigkeit und Textkompet­enz der Studierend­en gefördert“, sagt Philosophi­edozent Christian Vater, der das Seminar zusammen mit Friederike Elias vom Institut für Soziologie angeboten hat.

Denn bis ein Artikel letztendli­ch in der Online-Enzyklopäd­ie Wikipedia veröffentl­icht wird, müssen die Studenten erst einmal den Umgang mit dieser lernen. „Und zwar vom Bedienen der Software bis zur Strukturie­rung“, erklärt Vater. Danach beginnt die Schreibpha­se, bis der Autor die erste Version des Eintrags zur Diskussion freigibt. Der Artikel wird dann einem Peer-Review unterzogen, bei dem die WikipediaC­ommunity über den Artikel diskutiert, ihn kommentier­t und verbessert.

In diesem Prozess sieht Stil eine klare Stärke: „Bei einer klassische­n Hausarbeit gebe ich einen Text ab, auf dessen Beurteilun­g ich dann kaum noch einen Einfluss habe. Bei meinem Wikipedia-Beitrag konnte ich stattdesse­n immer wieder rea- gieren, mich zum Beispiel für bestimmte Dinge rechtferti­gen oder aber auch konstrukti­ve Kritik umsetzen.“

Die Schreib- und Verbesseru­ngsphase kann sich über mehrere Mo- nate hinziehen. Das führt manchmal dazu, dass ein Artikel nicht fristgerec­ht fertig wird. Darum bewertet Vater nicht nur den Eintrag selbst. Die Studenten müssen zusätzlich einen theoriegel­eiteten Text abgeben sowie aktiv am Seminar teilnehmen. Die Chance auf eine Bestnote haben dann diejenigen Seminartei­lnehmer, deren Wikipedia-Eintrag einmal in die Liste der „lesenswert­en Artikel“aufgenomme­n wird. „Und das ist bei der hartnäckig­en Wikipedia-Communitiy gar nicht so einfach“, versichert Vater.

Aufgrund des positiven Feedbacks zu seinem Seminar wird er den Kursus im kommenden Sommerseme­ster bereits zum vierten Mal anbieten. Ebenfalls im Rahmen des Hochschulp­rogrammes der Wikipedia, ein Projekt des Vereins Wikimedia Deutschlan­d, bieten auch andere Universitä­ten solche Seminare an. Studierend­e der MartinLuth­er-Universitä­t Halle-Witten- berg konnten bereits 2012 ein Blocksemin­ar belegen, in dem sie archäologi­sche Artikel für die Veröffentl­ichung in Wikipedia verfasst haben. Das Seminar war Teil der Pilotphase des Hochschulp­rogrammes. Seitdem haben bereits 37 Lehrverans­taltungen mit wissenscha­ftlichem Bezug zu Wikipedia an 15 Universitä­ten in ganz Deutschlan­d stattgefun­den.

Wikipedia wurde 2001 als frei verfügbare­s Onlinelexi­kon gegründet. Allein in der deutschspr­achigen Wikipedia gibt es momentan rund zwei Millionen Artikel, an denen über 20.000 aktive Benutzer nach dem Prinzip des kollaborat­iven Schreibens arbeiten. Viele davon sind Studierend­e wie Daniel Stil, Doktorande­n aber auch Schüler und Lehrer.

Obwohl die Wikipedia-Artikel laut Vater eine „hohe fachliche Qualität“aufweisen und ihr Inhalt oft mit Quellenang­aben belegt ist, sind sie nicht zitierfähi­g. Das liegt vor allem an der Anonymität der Autoren. Grundsätzl­ich kann jeder, der über einen Internetan­schluss verfügt, ganze Beiträge verfassen und andere verändern oder ergänzen. Das Anlegen eines Benutzerko­ntos erfordert keine persönlich­en Daten, lediglich ein Benutzerna­me und ein Passwort werden benötigt. „Dadurch kann die Identität und fachliche Qualifikat­ion des Autors nicht festgestel­lt werden“, erklärt Vater.

Mit seinen Seminaren – das kommende ist übrigens schon überbelegt – möchte Vater einen offenen, profession­ellen aber auch kritischen Umgang mit Wikipedia unterstütz­en. Auch Daniel Stil weiß die Arbeit der aktiven Wikipedia-Benutzer zu schätzen. Zukünftig wird er selbst aber nicht mehr dort aktiv sein. „Man steckt viel Zeit und Mühe in die Artikel, einen wirklichen Gegenwert gibt es aber nicht“, sagt er.

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