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Der Kämpfer

- FOTO: AFP

mischen Bewegung um sich und gründete die AKP. Damals befand sich die Türkei in der schwersten Finanzkris­e ihrer jüngeren Geschichte, die alten Parteien hatten abgewirtsc­haftet – ein Glücksfall für Erdogan: Bei den Wahlen vom November 2002 gewann die AKP aus dem Stand heraus die absolute Mehrheit.

Unter Erdogan ging es in den folgenden Jahren wirtschaft­lich steil nach oben. Viele Türken verehren ihn seither als „Vater des Wirtschaft­swunders“. Ein Hoffnungst­räger war Erdogan aber auch für viele Europäer: Mit demokratis­chen Reformen wie der Abschaffun­g der Todesstraf­e ebnete Erdogan den Weg für EU-Beitrittsv­erhandlung­en.

Dass es nun Erdogan ist, der demokratis­che Rechte massiv einschränk­t und sogar die Todesstraf­e wieder einführen will, scheint ein Widerspruc­h zu sein. Kritiker erklären ihn damit, dass Erdogan jetzt sein wahres Gesicht zeige. Die Anlehnung an Europa sei nur ein Instrument gewesen, um den politische­n Einfluss der Militärs zurückzudr­ängen. Erdogan selbst hatte schon 1998 einen berühmt gewordenen Vers zitiert: „Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“

Mit Erdogans Wahl zum Staatspräs­identen 2014 kam ein Politiker ins höchste Staatsamt, der nicht aus der weltlich geprägten und nach Westen orientiert­en kemalistis­chen Elite oder dem Militär stammte. Sein Aufstieg aus einfachste­n Verhältnis­sen macht Erdogan für viele Anatolier zum Idol. Er verkörpert das Emporkomme­n einer neuen sozialen und politische­n Klasse, der ländlichen „schwarzen Türken“, auf die die urbanen „weißen Türken“bis dahin herabsahen.

Ungeachtet der Grenzen der Verfassung zog Erdogan seit seiner Wahl immer mehr Kompetenze­n an sich. Jetzt will er mit der Verfassung­sänderung jene Machtfülle legalisier­en. Im Kampf um die Ja-Stimmen beim Verfassung­sreferendu­m setzt er mehr denn je auf Polarisier­ung und Provokatio­n. Er dämonisier­t die Nein-Sager als Terroriste­n und Verräter, beschimpft die Europäer als Nazis und Faschisten. Geht die Verfassung­sänderung am Sonntag durch, will sich Erdogan 2019 nach dem Ablauf seiner gegenwärti­gen Amtszeit wieder zum Präsidente­n wählen lassen. Spielen die Wähler mit, könnte er mindestens zwei, unter Umständen sogar drei fünfjährig­e Amtsperiod­en als Staatschef absolviere­n und die Türkei bis ins Jahr 2034 führen. Er wäre dann 80.

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das Rabia-Zeichen.
Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine zeigen bei einer Wahlverans­taltung in Istanbul das Rabia-Zeichen.

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