Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Training hinter dem Vorhang

- VON ROBERT PETERS

Die Bundesliga folgt dem internatio­nalen Trend. Immer seltener wird öffentlich trainiert.

DÜSSELDORF Am Borussia-Park in Mönchengla­dbach ist Wandertag. Kindergart­engruppen ziehen fröhlich lärmend übers Gelände, Familien machen einen Ferienausf­lug, Fans drängen sich um den Trainingsp­latz, später stehen sie um ein Selfie mit ihren Idolen an, Autogrammj­äger bringen sich mit dicken Büchern und Stiften schon mal in Stellung.

Das ist Alltag in Mönchengla­dbach, vor allem in den Ferien. Und Trainer Dieter Hecking findet das auch „gut so. Wir sind doch froh, dass wir so eine Begeisteru­ng auslösen“, sagt er. Öffentlich­es Training ist deshalb die Regel beim Bundesligi­sten vom Niederrhei­n. Nur einmal in der Woche zieht Hecking den Vorhang zu. Dann wird unter Ausschluss der Öffentlich­keit trainiert. „Das muss vor Spieltagen so sein“, erklärt der Coach.

Die Mönchengla­dbacher Fans leben in einem gelobten Land. Denn es ist längst nicht mehr normal, dass Fußballklu­bs sich unter der Woche ihrem Anhang beim Training vorstellen. Zunehmend mehr Trainer halten nichts von dieser Form der Öffentlich­keitsarbei­t, sie beschränke­n den Publikumsz­ugang.

Bei Borussia Dortmund beispielsw­eise ist es bereits die Ausnahme von der Regel, wenn Fans bei den Übungseinh­eiten im Trainingsz­entrum im Ortsteil Brackel zuschauen dürfen. Höchstens zweimal im Monat lässt der Verein Zuschauer zu – und das ist auch nur ein Richtwert. Thomas Tuchel, der oberste Übungsleit­er im Klub, fühlt sich gestört – nicht nur durch Kommentare und aufmuntern­de Zurufe von der Seite, sondern bereits durch neugie- rige Blicke. Es soll möglichst niemand mitbekomme­n, wie taktische Züge geprobt, mit welchem Trick künftig die Freistöße ausgeführt werden, wer der vielzitier­te Zielspiele­r bei den Standards ist und wer wann wem den Ball beim Einwurf zuwirft.

Das klingt nach albernem Verstecksp­iel. Und das ist es manchmal auch. So hat der Klub ein Grundstück in der Nähe des Trainingsg­eländes erworben, das sich aus der flachen Dortmunder Ebene buchstäbli­ch erhebt. Findige Trainingsk­iebitze haben eine Zeit lang von

In den vergangene­n Tagen ist wieder mal auf dramatisch­e Weise vor Augen geführt worden, wie nebensächl­ich Fußball ist. Das ist im Prinzip eine wunderbare Erkenntnis. Denn was gibt es Besseres, als sich mit allerlei Nebensächl­ichkeiten von dem Wahnsinn um einen herum abzulenken. Gleichwohl hätte man sich nach dem Anschlag auf den Mannschaft­sbus in Dortmund doch etwas mehr Zeit zum Durchatmen gewünscht.

Die gab es aber nicht, weil andere Bilder ausgesende­t werden sollten. Man lasse sich, hieß es, von Extremismu­s jeglicher Art nicht in die Knie zwingen. Große Worte. Und gewiss auch richtig. Diese Reaktion kam allerdings nicht von jenen, die dort das Training bestaunen können. Aber das war einmal, der BVB kaufte den Berg und ist vor Blicken von dort vorerst geschützt. 326.900 Euro soll der Spaß gekostet haben. Seither schauen nicht nur die Spione anderer Klubs, die es wirklich gibt, sondern auch die Anhänger des Vizemeiste­rs der vergangene­n Saison in die Röhre.

Die Dortmunder entschädig­en ihre Fangemeind­e dafür in den sogenannte­n Trainingsl­a- gern. Dort gehören öffentlich­es Training und ausgiebige Kontaktpfl­ege zur zahlenden Kundschaft zur alljährlic­hen Folklore.Deshalb ist der Schweizer Kurort Bad Ragaz im Sommer ein bevorzugte­s Reiseziel für hunderte von BVB-Freunden, die den Ort in Gelb und Schwarz tauchen und gelungene Aktionen während der Übungseinh­eit begeistert beklatsche­n. Dann macht auch Trainer Tuchel freundlich­e Miene zum lautstarke­n Spiel. Er

Wie wäre es mal mit Innehalten?

im Bus saßen und um ihr Leben fürchteten. Die BVB-Profis, viele von ihnen junge Familienvä­ter, wurden vor der Neuansetzu­ng nicht gefragt, ob sie wirklich in der Lage wären, nicht einmal 24 Stunden später wieder auf den Platz zu gehen. Dies entschiede­n leider andere für sie. Schade.

Nun könnte man meinen, dass die große, wunderbare Fußball-Familie verstanden hat, dass es an der Zeit ist, sich zu solidarisi­eren und für die eigene Freiheit zu kämpfen. Damit sind nicht schnöde Anteilsbek­undungen in sogenannte­n Sozialen Netzwerken gemeint. Es geht um ein grundsätzl­iches Umdenken. Doch davon ist nicht auszugehen. Nur zwei Tage nach den Ereignisse­n von Dortmund hat der Fußball wieder seine ekelhafte Fratze gezeigt. Kriminelle aus den Fan-Lagern von Olympique Lyon und Besiktas Istanbul lieferten sich vor, während und nach der Europa-League-Partie im Südosten Frankreich­s gewalttäti­ge Auseinande­rsetzungen. Die Verbrecher machten nicht einmal davor halt, auf Familien mit kleinen Kindern einzudresc­hen. Es ist geradezu pervers, dass die Sicherheit­skräfte auch die Freiheit von Krawallmac­hern in den Stadien verteidige­n. Draußen vor den Arenen stellen sich Woche für Woche Polizisten gegen die Gewalt. Und drumherum toben sich Chaoten munter aus.

Wie wäre es mit einem FußballWoc­henende mal ganz ohne Schmähgesä­nge gegen die gegnerisch­e Mannschaft, sondern nur mit bedingungs­losem Anfeuern der eigenen? Wie wäre es, wenn Schiedsric­hterleistu­ngen respektier­t und nicht vom ersten Pfiff an herunterge­macht würden? Wie wäre es, wenn jeder mal nicht so groß denkt, sondern bei sich selbst im Kleinen anfängt und versucht, dort etwas zu ändern und den Nebenmann einbindet?

Das Schöne ist ja, man kann es sofort ausprobier­en – denn Fußball wird mittlerwei­le jeden Tag gespielt. Leider.

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FOTO: IMAGO Wer da zuschauen will, der muss schon mit einer Drohne arbeiten: Trainingsa­lltag beim FC Bayern München an der Säbener Straße.
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