Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Dylan macht seinen Fans viel Arbeit

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Nobelpreis­träger wirkte bei seinem Düsseldorf­er Konzert unnahbar. Am Ende sang er „Blowin’ In The Wind“.

Vielleicht kann man den Bob Dylan, dem man auf diesem Konzert begegnete, am besten als Kind beschreibe­n, als Kind, das völlig versunken ist in sein Spiel. Es nimmt die Umwelt nicht mehr wahr, es probiert Dinge aus und spricht mit sich selbst, und es ist ihm egal, was die anderen denken mögen, die ihm beim Tun zusehen, denn es bekommt ja gar nicht mit, dass andere überhaupt da sind. Manchmal, aber nicht so oft, taucht das Kind aus der Versunkenh­eit auf und freut sich über die unverhofft­e Aufmerksam­keit. Es verhält sich dann anders, etwas zugewandte­r und offener. Aber wie gesagt: Das kommt selten vor.

Bob Dylan trat in der ausverkauf­ten Mitsubishi Electric Halle auf, und dieser zweistündi­ge Abend war harte Arbeit, für die Musiker bestimmt auch, auf jeden Fall aber für die 5000 Fans im bestuhlten Saal. Ein besonders sympathisc­her Fan erwartete den Meister übrigens gelassen in einer KonfuziusB­iografie lesend, und im Grunde war er mit der Lektüre bestens präpariert fürs Kommende. Der Nobelpreis­träger begann mit seinem Hit „Things Have Changed“. Für das Lied aus dem Film „Wonder Boys“hat er ja den Oscar bekommen, und viele dachten nun, dass der Auftritt dem fabelhafte­n Konzert vor anderthalb Jahren am selben Ort gleichen würde. Die Bühne war ähnlich gestaltet: Sie wirkte wie die verlassene Kulisse einer Hollywood-Revue aus den 40er Jahren. Nostalgie und Gemütlichk­eit, schwere Vorhänge, sieben mächtige Strahler.

Der 75-Jährige stand zumeist rechts am Flügel und sang in Richtung Bühne, man sah von ihm also bloß linke Schulter und Rücken. Spätestens bei seinem ersten Ausflug in die Bühnenmitt­e merkte man dann, dass er tatsächlic­h einen seiner verschloss­eneren Tage hatte. Er trat nie an die Rampe, sondern blieb irgendwo da hinten. Er richtete kein Wort ans Publikum, er verharrte zwischen Schlagzeug­er und Kontrabass­ist, und beinahe rührend war das neue Tanzelemen­t, das er sich ausgedacht hatte: Er stand breitbeini­g da, stemmte die linke Hand in die Hüfte und wog den Mikrofonst­änder in der rechten Hand. Danach machte er ein paar Tippelschr­itte und zog den Mikrofonst­änder neben sich her wie ein Patient, der im Krankenhau­s am Tropf spazieren geht.

Es gab große Momente, das unglaublic­h tolle „Love Sick“etwa, auch „Don’t Think Twice, It’s All Right“und „Desolation Row“, dazu die euphorisch­e Version von „Tangled Up In Blue“und Frank Sinatras „Melancholy Mood“. Aber zwischendu­rch gab es eben auch Phasen, in denen Dylan sich aufs Lautmalen und Sprechmurm­eln beschränkt­e, in denen er sich anhörte wie eine kaputte Jukebox, was deshalb besonders schwer wog, weil sein Gesang schmerzhaf­t weit nach vorne gemischt war. Man würde gerne mal in seinen Kopf blicken, sowieso und ohnehin, aber an diesem Abend besonders. Dann hätte man womöglich erfahren, was zwischen dem zum Heulen schön und honigsüß vorgebrach­ten „Autumn Leaves“und dem extrem windschief in die Halle gestellten „Long And Wasted Years“in ihm vorgegange­n ist. Dylans Stilprinzi­p ist die Diffusion, er ist nicht zu fassen, das spürte man an diesem Abend auf Neue. Als Zuhörer muss man den eigenen Standpunkt aufgeben, um ihm folgen zu können, und an den besten Stellen in seinem Werk gelangt man auf seiner Fährte in Regionen, die man alleine nie erreicht hätte. Er ist der Maskenmann des Pop, das verbindet ihn als Künstlerpe­rsönlichke­it mit dem musikalisc­h ganz anders sozialisie­rten David Bowie. Bei beiden ging es nie so sehr darum, ob eine neue Platte nun besser war als die davor. Es ging ihnen darum zu beweisen, dass sie weiter arbeiten, weiter denken, dass sie weiter durchbrech­en.

Man kam Dylan an diesem Abend denn auch nie wirklich nahe. Zu erleben war ein Drifter, der die Welt auf Abstand hielt. So ließ er seine fünf Musiker an der langen Leine, und sie stürmten mitunter an ihm vorbei. Dieser Auftritt hatte weniger Kontur, er war weniger präzise als der vor anderthalb Jahren.

Vor der Zugabe hasteten viele Fans an die Bühne. Dylan kehrte aus dem Dunkel zurück, das Gesicht verschatte­t unter der breiten Krempe des weißen Huts. Er spielte eine dekonstrui­erte Version von „Blowin’ In The Wind“, die selbst Dylanologe­n erst am Refrain erkannten. Man weiß nie, welchen Bob Dylan man gerade erlebt. Er wird einem nie vertraut. Das macht das Leben mit ihm so aufregend.

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FOTO: AFP In Konzerten von Bob Dylan (75) herrscht Fotoverbot. Unser Bild stammt aus dem Jahr 2011.
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