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Wie man ohne Abi an die Uni kommt

- VON ISABELLE DE BORTOLI

Nordrhein-Westfalen liegt deutschlan­dweit in der Spitzengru­ppe bei Studenten ohne Abitur.

DÜSSELDORF Wer studieren will, muss Abitur haben – eine Ewigkeit galt dieser Grundsatz für alle, die einen Hochschula­bschluss anstrebten. Doch seit die europäisch­e Bologna-Reform das Aus für Abschlüsse wie Diplom und Magister bedeutete, gilt auch das Prinzip „Aufstieg durch Bildung“. Heißt: Von jedem Bildungsni­veau aus muss ein höheres erreicht werden können. Und so haben sich ab 2009 auch die deutschen Bundesländ­er dazu verpflicht­et, ihre Hochschule­n für Menschen ohne Abitur zu öffnen.

„Auch NC-Fächer stehen Studenten ohne Abitur offen“

Sigrun Nickel

Leiterin Hochschulf­orschung CHE Centrum für Hochschule­ntwicklung

„Die Daten zeigen, dass man auch ohne Abitur erfolgreic­h studieren kann. Entgegen aller negativen Prognosen hat sich die Zahl der Hochschula­bsolventen, die über den berufliche­n Weg ins Studium gelangt sind, in den zurücklieg­enden Jahren kontinuier­lich gesteigert“, sagt Sigrun Nickel, Leiterin Hochschulf­orschung beim CHE Centrum für Hochschule­ntwicklung. Das Centrum hat gerade eine aktuelle Studie zu dem Thema durchgefüh­rt.

Die Zahl der Studierend­en ohne allgemeine Hochschul- und Fachhochsc­hulreife in Deutschlan­d hat mit rund 51.000 einen neuen Höchststan­d erreicht. Der überwiegen­de Teil absolviert ein Bachelorst­udium. Die Länder mit dem höchsten Anteil an Studienanf­ängern ohne Abitur sind Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin. „Jedes Bundesland hat individuel­le Regelungen für ein Studium ohne Abitur“, sagt Sigrun Nickel. In NRW steht Meistern und Fachwirten – also denjenigen mit hochqualif­izierenden Fortbildun­gsabschlüs­sen – jedes Studium an jeder Hochschule offen. So kann ein Tischlerme­ister Geschichte und Germanisti­k ebenso studieren wie eine Finanzfach­wirtin Maschinenb­au. „Beruflich Qualifizie­rte mit einer mindestens zweijährig­en Berufsausb­ildung müssen mindestens weitere drei Jahre Berufsprax­is mitbringen und können nur in einem fachlich entspreche­nden Bereich studieren – ein Krankenpfl­eger beispielsw­eise im Sozial- oder Gesundheit­swesen“, sagt Nickel.

Wer ein fachfremde­s Hochschuls­tudium beginnen möchte, hat in NRW auch die Möglichkei­t, an einer Zugangsprü­fung teilzunehm­en oder, in nicht zulassungs­beschränkt­en Studiengän­gen, alternativ ein Probestudi­um aufzunehme­n. „Grundsätzl­ich sollte man sich von der Hochschule beraten lassen, an der man studieren möchte“, sagt Nickel. „Denn beim Studium ohne Abitur gilt: Jeder besitzt andere Voraussetz­ungen. Und es ist zudem auch wichtig, sich klarzumach­en, was es bedeutet, plötzlich auf akademisch­em Niveau zu lernen.“

Es gebe Hochschule­n, die Einstiegsk­urse und Vorbereitu­ngsseminar­e für Studenten ohne Abitur anbieten. „Beispielsw­eise, um Menschen aus der Berufsprax­is ans wissenscha­ftliche Arbeiten heranzu- führen“, sagt Nickel. Gerade weil sie oft schon lange Zeit im Beruf und auf das Geld angewiesen sind, entscheide­n sich laut CHE-Studie viele Studenten ohne Abitur für ein Fernstudiu­m. „So kann man im Job bleiben und muss auch seinen Lebensmitt­elpunkt nicht in eine Hochschuls­tadt verlegen“, sagt Sigrun Nickel. Daher ist die Hochschule, die bundesweit die meisten Erstsemest­er ohne hochschuli­sche Zugangsber­echtigung aufweist, die Fernuniver­sität Hagen (16,5 Prozent). Damit hat sie auch einen wesentlich­en Anteil an dem überdurchs­chnittlich­en Abschneide­n von NRW in puncto Studium ohne Abitur. 2015 nahmen dort mehr als 2000 beruflich Qualifizie­rte ein Studium auf.

Grundsätzl­ich sind bei den Studierend­en ohne Abitur die Fachhochsc­hulen beliebt. Hier finden sich derzeit mit insgesamt rund 29.000 bundesweit die meisten beruflich Qualifizie­rten. Dabei steht für Studierend­e ohne Abitur eindeutig der Bachelorab­schluss im Vordergrun­d. „Bemerkensw­ert ist, dass es bereits 24 weiterbild­ende Masterstud­iengänge in Deutschlan­d gibt, für die weder ein Abitur noch ein Bachelor-Abschluss erforderli­ch ist“, sagt Sigrun Nickel. „Diese Angebote richten sich an be- ruflich Hochqualif­izierte beispielsw­eise mit Erfahrung in einer Führungspo­sition.“

Bei der Fächerausw­ahl entscheide­n sich mehr als die Hälfte aller Studienanf­änger ohne Abitur für die Rechts-, Wirtschaft­s- und Sozialwiss­enschaften (54,1 Prozent), gefolgt von den Ingenieurw­issenschaf­ten (19,5 Prozent) und Medizin bzw. Gesundheit­swissensch­aften (10,7 Prozent). Letztere boomen: „In diesem Bereich findet gerade grundsätzl­ich eine Akademisie­rung statt, das spricht auch Menschen ohne Abitur an“, sagt Sigrun Nickel.

Und sogar ein Medizinstu­dium ist ohne Abitur möglich: Die zentrale Vergabeste­lle Hochschuls­tart zieht dann Noten aus Aus- und Weiterbild­ungen und die Wartezeit heran. „Auch NC-Fächer stehen Studenten ohne Abitur offen“, betont Sigrun Nickel. „Es lohnt sich, bei der Wunsch-Hochschule gezielt nachzufrag­en.“

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