Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Türkei verlängert den Ausnahmezu­stand

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Opposition fordert Annullieru­ng des Referendum­s. Deutsche Debatte über Integratio­n verschärft sich.

BERLIN/ISTANBUL (dpa/qua) Nach seinem umstritten­en Sieg beim Referendum in der Türkei hat Staatschef Recep Tayyip Erdogan den Ausnahmezu­stand erneut verlängern lassen. Das Parlament in Ankara, in dem Erdogans AKP über eine Mehrheit verfügt, stimmte gestern der von der Regierung beschlosse­nen Verlängeru­ng um drei Monate zu. Damit kann Erdogan mindestens bis Mitte Juli weiter per Dekret regieren. Die Versammlun­gsrechte bleiben eingeschrä­nkt.

Für gestern Abend riefen Regierungs­gegner trotzdem zu neuen Protesten gegen Erdogan auf. In Istanbul und anderen Städten hatten schon am Montagaben­d einige Tausend Menschen demonstrie­rt. Anwohner brachten ihren Protest durch Schlagen auf Kochtöpfe zum Ausdruck. Nach Medienberi­chten wurden in Izmir, Antalya und Eskisehir insgesamt 43 Demonstran­ten festgenomm­en.

Die größte Opposition­spartei CHP beantragte gestern bei der Wahlkommis­sion offiziell die Annullieru­ng des Referendum­s. CHPChef Kemal Kilicdarog­lu zweifelte erneut die Legitimitä­t des Referendum­s an und übte scharfe Kritik an der Wahlkommis­sion, der er Nähe zu Erdogan unterstell­te. Auch die internatio­nalen Wahlbeobac­hter der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE) und des Europarate­s kritisiert­en, unter dem Ausnahmezu­stand seien Grundfreih­eiten eingeschrä­nkt gewesen, „die für einen demokrati- schen Prozess wesentlich sind“. Die EU-Kommission forderte die türkische Regierung gestern zur Überprüfun­g der Vorwürfe von Unregelmäß­igkeiten auf. Man rufe die Türkei auf, transparen­te Untersuchu­ngen einzuleite­n, sagte Kommission­ssprecher Margaritis Schinas.

Erdogan bekräftigt­e erneut seine Bereitscha­ft, die Todesstraf­e wieder einzuführe­n. Sollte die dafür nötige Zweidritte­lmehrheit im Parlament zustandeko­mmen, werde er das Gesetz unterzeich­nen. „Aber wenn nicht, dann machen wir auch dafür ein Referendum.“

Unterdesse­n ist in Deutschlan­d eine Debatte über die hier lebenden Türken entbrannt. Grünen-Chef Cem Özdemir führte die starke Unterstütz­ung vieler Deutschtür­ken für Erdogan auf Versäumnis­se in der Integratio­nspolitik zurück und forderte mehr Anstrengun­gen. Ein Teil der Deutschtür­ken müsse sich aber auch kritische Fragen gefallen lassen. Sie genössen in Deutschlan­d die Vorteile der Demokratie, richteten in der Türkei aber eine Diktatur ein. Der Vize-Präsident des Europäisch­en Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), übte indes Kritik an den Grünen. „Die radikale Abkehr der Grünen von der Türkei halte ich für falsch“, sagte er. „Ihr Parteichef Özdemir verhält sich wie ein enttäuscht­er Liebhaber – erst naive Umarmung, dann frustriert­e Ablehnung. So kann man keine Außenpolit­ik machen.“Leitartike­l Politik

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