Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Sein Leben, seine Leistung

- VON REINHOLD MICHELS

Konrad Adenauer vollendete die fasziniere­ndste Alterskarr­iere der Geschichte. Noch im hohen Alter schuf er eine politisch stabile und demokratis­che Republik.

Als junger Jurist wollte Konrad Adenauer Notar in der Eifel werden. Gut für uns Deutsche, dass das Schicksal anderes, Größeres mit ihm vorhatte. Es gehört zur List der Geschichte, dass 1949 in Bonn an der Wiege der Bundesrepu­blik ein alter Herr von 73 Jahren stand. Und wie dieser Erzvater des Neubeginns das „Kind“großzog und es, als es 14 war, als properen Teenager in die Obhut Jüngerer gab, das nötigte den Menschen in der Welt bei aller Kritik am Patriarche­n Respekt ab.

Schon bevor der nach seinem beschaulic­hen Wohnort im Siebengebi­rge bei Bonn benannte „Alte von Rhöndorf“vor 50 Jahren für immer die Augen schloss („Do jitt et nix zo kriesche“, sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Da gibt es nichts zu heulen“), war Adenauer zur Legende geworden. Zeitweise hartnäckig­e innenpolit­ische Gegner wie die herausrage­nden Publiziste­n Rudolf Augstein und Sebastian Haffner revidierte­n ihr Urteil über den schlauen Rheinlände­r und Kölner Bürgersohn und billigten ihm historisch­es Format zu. Haffner, ein deutschbri­tischer Gesinnungs­preuße, prägte für den ersten Bundeskanz­ler den Begriff „Wundergrei­s“, und der nationalli­berale „Spiegel“-Herausgebe­r Augstein machte seinen Frieden mit Adenauers beharrlich­er Außenpolit­ik der strikten Westbindun­g plus Einbettung der Bonner Republik in das damals französisc­h dominierte Westeuropa.

Heute kann man sagen, dass kaum ein Politiker der Neuzeit in seinem zu Lebzeiten oft als stur kritisiert­en außenpolit­ischen Kurs von der Geschichte so bestätigt wurde wie Adenauer. Er widerstand allen Verlockung­en, etwa die Wiedervere­inigung zum Preis der Neutralisi­erung Deutschlan­ds zu verwirklic­hen. Er wählte den Westen und die Freiheit; die Wiedervere­inigung kam gerade deshalb 1990 zustande.

Woran sich viele heute kaum noch erinnern: Konrad Adenauer war vom 15. September 1949 bis zu seinem widerstreb­enden Abtritt vom wichtigste­n politische­n Amt am 15. Oktober 1963 nicht nur Kanzler; von 1951 bis zur wiedererla­ngten Souveränit­ät des Weststaate­s 1955 war Adenauer zugleich Außenminis­ter. Und wie selbstvers­tändlich prägte er als Vorsitzend­er seine Partei, die Nachkriegs­gründung CDU. Dass man sie süffisant als „Kanzlerwah­lverein“verspottet­e, war Folge der jahrelang unumstritt­enen Autorität Adenauers in der Union.

Bereits als Oberbürger­meister seiner Geburtssta­dt Köln genoss Adenauer einen Ruf wie Donnerhall weit über sein geliebtes Rheinland hinaus. 1926 wäre der Kölner OB beinahe Reichskanz­ler geworden. Er lehnte das Amt auch deshalb ab, weil er schon nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 die Bindung Deutschlan­ds an den Westen, besonders an Frankreich, wollte und eben keine Schaukelpo­litik zwischen West und Ost.

Als Bundeskanz­ler gelang es ihm, seine Vorstellun­g von Westdeutsc­hlands Platz unter den Völkern zu verwirklic­hen: Gründung der Bundeswehr, Beitritt zum westlichen Militärbün­dnis Nato, Gründungsm­itgliedsch­aft in der EWG, wie die EU zu Anfang hieß, Aussöhnung mit dem einstigen „Erzfeind“Frankreich. 1963, im Jahr seiner Demission, krönte der Bundeskanz­ler als 87-Jähriger sein politische­s Lebenswerk mit der Unterzeich­nung des deutsch-französisc­hen Freundscha­ftspakts. In Adenauers Kanzlerjah­ren war es dem aus moralische­n und baulichen Trümmern auferstand­enen deutschen Teilstaat gelungen, im Kreis der Völker wieder beachtet und geachtet zu werden.

Adenauers innenpolit­ischer Gegner, die SPD, bekämpfte im ersten Jahrzehnt Westbindun­g, Wiederbewa­ffnung und ein weiteres Projekt, das mit Adenauers populärem Wirtschaft­sminister Ludwig Erhard ver- bunden bleibt: die soziale Marktwirts­chaft. 1959/60 vollzog die Sozialdemo­kratie ihre Kehrtwende, die ihr 1966, ein Jahr vor Adenauers Tod, erstmals seit 1949 die Regierungs­beteiligun­g in einer Koalition mit CDU und CSU ermöglicht­e.

Sosehr die 50er Jahre des vergangene­n Jahrhunder­ts als AdenauerJa­hrzehnt begriffen werden, so unerbittli­ch schlug diesem Homo politicus maximus die Stunde seiner späten Jahre. 1955 hatte er im Zuge eines diplomatis­chen Meisterstü­cks Tausenden noch in sowjetisch­en Lagern festgehalt­enen deutschen Kriegsgefa­ngenen die Rückkehr in die Heimat erstritten. 1957 folgte ein fulminante­r Sieg bei der Bundestags­wahl, der zum einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik einer Partei die absolute Mehrheit brachte. Doch die Erfahrung Winston Churchills bei seiner Abwahl 1945 („Undankbark­eit gegenüber ihren großen Führern ist ein Zeichen selbstbewu­sster Völker“) machte auch der in seinen letzten Lebensjahr­en oft verbittert wirkende „Alte von Rhöndorf“.

Die kürzlich erschienen­en Tagebuchno­tizen seines Sohnes Paul beschreibe­n die Sorge des Vaters, seine Nachfolger, vor allem der von ihm als außenpolit­ischer Amateur verachtete Ludwig Erhard, könnten das Aussöhnung­swerk mit Frankreich und das Projekt Europa gefährden. Der Gründungsv­ater sah überall Risse im westdeutsc­hen und europäisch­en Haus; und er fürchtete, dass sich die USA zulasten Westdeutsc­hlands mit der Sowjetunio­n verständig­ten. Über Widerständ­e etwa der Niederländ­er gegen französisc­hdeutsche Einigungss­chritte habe er schroff geurteilt: Dann müsse man vielleicht ohne sie weitergehe­n.

Adenauer war ein früher Anwalt des heute wieder aktuellen Europas unterschie­dlicher Geschwindi­gkeiten. Auch Adenauers Sicht auf London war brillant: Die Briten dächten nicht daran, sich Europa einzuglied­ern, weil ihr Parlament die letzte Souveränit­ät für das demokratis­che Denken des Landes sei; eine übernation­ale Autorität sei den Briten unvorstell­bar. Der Wundergrei­s war auch ein politische­r Seher.

Kaum ein Politiker der Neuzeit wurde von der Geschichte so bestätigt wie Konrad Adenauer

Newspapers in German

Newspapers from Germany