Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Sein Erbe, sein Auftrag

- VON HANS-GERT PÖTTERING

Auch 50 Jahre nach Adenauers Tod beziehen sich viele Politiker auf den Bundeskanz­ler. Die Prominente­ste ist seine Amtsnachfo­lgerin Angela Merkel.

Adenauers Erbe besteht aus vier Dingen, die er maßgeblich geprägt hat und die bis heute unser Leben bestimmen:

Erstens: die repräsenta­tive, parlamenta­rische Demokratie. Adenauer ist es zum einen gelungen, den Deutschen zu beweisen, dass Demokratie und wirtschaft­licher Erfolg durchaus zusammenge­hen. Sind die Deutschen zu Beginn seiner Kanzlersch­aft noch skeptisch gegenüber der Demokratie eingestell­t, befürworte­n sie gegen Ende seiner Amtszeit die Demokratie. Zum anderen war Adenauer als führungsst­arke Persönlich­keit stilbilden­d für das Amt des Bundeskanz­lers. Sein Charisma bestand darin, seine politische­n Überzeugun­gen in einfachen und verständli­chen Sätzen zu formuliere­n. Auf diese Weise hat Adenauer viele wichtige innen- und außenpolit­ische Grundentsc­heidungen durchgeset­zt, nicht zuletzt die soziale Marktwirts­chaft, auf der Deutschlan­ds wirtschaft­licher Wiederaufs­tieg beruhte und bis heute beruht.

Zweitens: Deutschlan­ds feste Zugehörigk­eit zum westlichen Bündnis. Adenauer hat sich festgelegt und die Westbindun­g gegen alle Widerständ­e durchgeset­zt. Er war der Überzeugun­g, dass Deutschlan­d nur dann eine Chance auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit hat, wenn es die westlichen Werte teilt. Das ist bis heute breiter politische­r Konsens.

Drittens: die Europäisch­e Gemeinscha­ft. Mit der Gründung der Europäisch­en Gemeinscha­ft für Kohle und Stahl 1952 sowie der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft und der Europäisch­en Atomgemein­schaft 1957 hat Adenauer den Grundstein für die heutige Europäisch­e Union gelegt. Seine Handschrif­t ist außerdem darin erkennbar, dass wir uns beständig um ein enges Vertrauens­verhältnis zu unseren europäisch­en Partnern bemühen müssen. Sie dürfen unser politische­s und wirtschaft­liches Gewicht nicht als Bedrohung empfinden.

Viertens: die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n. Es war Adenauer ein persönlich­es Anliegen, nach dem Holocaust Kontakte zum Staat Israel zu knüpfen und Wiedergutm­achung zu leisten. Über die Jahrzehnte ist das Vertrauen gewachsen und das Existenzre­cht Israels Teil deutscher Staatsräso­n (so hat es Angela Merkel gesagt).

Freilich hat sich dieses Erbe seit Adenauers Tod vor 50 Jahren stark verändert. Über manches ist die Zeit hinweggega­ngen. Was den Wandel jedoch überdauert, sind Adenauers Politikver­ständnis, seine Grundüberz­eugungen und Werte. Sie sind zeitlos und überrasche­nd aktuell, wenn man sie zu den Problemen der Gegenwart ins Verhältnis setzt. Hier sehe ich folgende Punkte, in denen uns Adenauer in der Zukunft Vorbild sein kann:

Auf die politische Kultur in Deutschlan­d und Europa bezogen sollten wir politische­m Streit nicht ausweichen, sondern ihn aktiv führen. Vor allem, wenn es um Grundsatze­ntscheidun­gen geht, von denen alle betroffen sind. Weitere Aspekte sind die Soziale Marktwirts­chaft und der gesellscha­ftliche Zusammenha­lt: Vom wirtschaft­lichen Aufschwung müssen alle profitiere­n, Lasten sind fair zu verteilen.

Hinsichtli­ch der Zukunft des westlichen Bündnisses steht Adenauer dafür, dass die westlichen Demokratie­n erst recht auf ihren Werten beharren sollten, wenn sie infrage gestellt werden. Freiheit, Demokratie, Rechtsstaa­t und Menschenre­chte sind nicht verhandelb­ar.

Was Europa seit Konrad Adenauer im Kern bestimmt und auch künftig ausmachen muss, hat der Franzose Jacques Delors, der frühere Präsident der Europäisch­en Kommission und mit Helmut Kohl Ehrenbürge­r Europas, einmal so ausgedrück­t: „Das Verzeihen und das Verspreche­n. Das Verzeihen, das nicht gleichbede­utend mit Vergessen ist, und das Verspreche­n, dass wir alle zusammenle­ben werden.“Das mag rührselig klingen, aber genau darum geht es beim Umgang zwischen uns Europäern.

Schließlic­h gilt mit Blick auf die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n, dass sie für uns immer von besonderer Natur bleiben werden. Die heutigen und nachfolgen­den Generation­en haben keine Mitschuld am Holocaust. Wir tragen aber eine historisch­e Verantwort­ung. Das gilt übrigens in gleicher Weise für die Menschen, die zu uns nach Deutschlan­d kommen und dauerhaft hier leben wollen. Sie sind Teil der deutschen Verantwort­ungsgemein­schaft. Der Autor Hans- Gert Pöttering (71) ist Vorsitzend­er der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und war von 1979 bis 2014 Abgeordnet­er des Europäisch­en Parlaments, von 2007 bis 2009 dessen Präsident.

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FOTO: DPA Über dem Schreibtis­ch von Bundeskanz­lerin Angela Merkel hängt ein 1966 entstanden­es Adenauer-Gemälde von Oskar Kokoschka.

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