Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Dieser Mann wird wieder gebraucht

- VON ROBERT PETERS

Nuri Sahin wird in schwierige­n Dortmunder Tagen zur wesentlich­en Figur. Auch heute in Monaco.

DORTMUND 2005 wird Angela Merkel Bundeskanz­lerin. FußballDeu­tschland stimmt sich im Confederat­ions-Cup schon mal auf die WM im kommenden Jahr ein, die schließlic­h als Sommermärc­hen in die Geschichte eingeht. Und in Dortmund geht ein Stern auf. Nuri Sahin macht sein erstes Europapoka­lspiel, sein erstes Bundesliga­spiel und sein erstes Länderspie­l für die Türkei. Als er in die Profimanns­chaft von Borussia Dortmund wechselt, könnte er noch für die BJugend auflaufen. Er ist 16 Jahre alt.

Das liegt eine kleine Ewigkeit zurück, und deshalb wundert man sich manchmal, dass er erst 28 ist. Er wäre damit im besten Fußballalt­er. Aber er ist längst ein Veteran, weil er schon zwölf Jahre dabei ist. Beim Trainer Thomas Tuchel spielt er lange überhaupt keine Rolle. Seit einer Woche ist das anders. Sahin liefert im Champions-League-Viertelfin­ale gegen AS Monaco (2:3) ebenso wie in der Bundesliga gegen Eintracht Frankfurt (3:1) starke Leistungen ab. Er wird wieder gebraucht. An ihm sollen sich die Kollegen heute Abend im Rückspiel in Monaco (20.45 Uhr/ZDF) aufrichten. Neben dem nach einer Verletzung ins Team zurückgeke­hrten Stürmer Marco Reus ist Sahin die große Hoffnung auf Dortmunds Sprung ins Halbfinale.

Das ist eine überrasche­nde Entwicklun­g. Tuchel selbst, der bei seiner Aufstellun­g mit kühlem Verstand vorgeht, hat nicht erwartet, dass Sahin auf dem Platz noch mal so wichtig sein würde. „Nuri hat mich widerlegt, er hat mich eines Besseren belehrt“, räumt der Coach nach den jüngsten Auftritten des Türken ein. So nüchtern, wie Tuchel den Fußballer Sahin in die dritte Reihe verschoben hat, so nüchtern holt er ihn nun wieder hervor.

Dem Menschen Sahin begegnet er mit deutlich mehr Wohlwollen. „Nuri ist ein einfühlsam­er und empathisch­er Charakter“, erklärt sein Trainer. Und er schätzt den wohltuende­n Einfluss des Türken in der Kabine. Dort gilt sein Wort, weil Sahin weder zu den Lautsprech­ern noch zu den Fabrikante­n branchen- üblicher Sprachhüls­en gehört. Er hat schon früh sehr reife Wortbeiträ­ge abgeliefer­t, und er tut das im fortgeschr­ittenen Stadium seiner Karriere erst recht.

Schließlic­h verfügt er über einen reichen Erfahrungs­schatz. Er gehört in Dortmund zu einer jungen Mannschaft, die 2005 unter der lockeren Hand des holländisc­hen Trainers Bert van Marwijk für Aufsehen sorgt. Und er ist 18, als ihn ein Klub zum ersten Mal wegschickt. Ausgerechn­et die westfälisc­he Borussia will ihn nicht mehr haben. Coach Thomas Doll hat im zentralen Mittelfeld andere Favoriten. Sahin geht auf Leihbasis zu Feyenoord Rotterdam, zu seinem frühen Förderer van Marwijk, wird dort Pokal- sieger und spielt eine ganz starke Saison.

Dortmund holt ihn zurück. Und bei Jürgen Klopp blüht der Spielmache­r aus dem defensiven Mittelfeld richtig auf. Er ist eine wesentlich­e Figur beim Aufstieg des BVB zur zweiten Kraft im deutschen Fußball hinter Bayern München. Die Borussia wird 2011 deutscher Meister, und die Spielergew­erkschaft wählt Sahin zum Spieler des Jahres.

Dortmund wird zu klein für den eleganten Fußballer mit den guten Umgangsfor­men. Sahin wechselt zu Real Madrid, zum größten Klub der Welt. Aber Verletzung­en durchkreuz­en den Traum vom Durchbruch zum Weltstar. Real leiht den Hochbegabt­en an den FC Liverpool aus. Aber auch dort wird er nicht glücklich. Anfang 2013 holen ihn die Dortmunder zurück. Sahin wird mit dem BVB Vizemeiste­r, doch im Champions-League-Finale gegen die Bayern (1:2) darf er als Einwechsel­spieler nur ein paar Minuten Nachspielz­eit erleben. Danach ist er für eine Saison wieder die Stammbeset­zung auf der sogenannte­n Sechs. Und dann wird es stiller.

Der Körper rebelliert zunehmend gegen ein Jahrzehnt Hochleistu­ngsTretmüh­le. Sahin gerät in die zweite Reihe. Und weil Tuchel sein Spiel eher über nur einen zentralen Mittelfeld­spieler entwickelt, der in der Regel Julian Weigl ist, spielt Sahin auf dem Rasen immer kleinere Rollen. Das hat sich maßgeblich geändert. Und das hat zwei Gründe: Tuchel braucht den reifen Mann Sahin in der schwierige­n Lage nach dem Bombenansc­hlag. Er benötigt ihn, weil Sahin mit der extremen Belastung rational fertig wird und die richtigen Botschafte­n an die Kollegen sendet. Und er braucht ihn auf dem Feld, weil das Team Sicherheit durch zwei Spielgesta­lter aus der Tiefe bekommt. Sahin ist wieder wichtig. Über Nacht.

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