Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der neue Federer

- VON GIANNI COSTA

Viele hatten den Schweizer Tennisprof­i abgeschrie­ben. Mit 35 Jahren greift er mit veränderte­r Taktik noch einmal an.

DÜSSELDORF Er ist jetzt 35 Jahre alt. Schon als er 30 geworden ist, haben ihm viele das zeitnahe Ende seiner Karriere vorausgesa­gt. Doch Roger Federer hält sich einfach nicht daran. Es sah immer mal wieder so aus, als würde der Maestro leise abtreten. Es erschien fast würdelos, dass der Schweizer sich so quälte und den richtigen Zeitpunkt für das Ende der Karriere wie so viele andere Sportler offenbar verpasst hatte. Die Jahre 2004, 2005, 2006, 2007 und 2009 beendete er an der Spitze der Weltrangli­ste. Darf so einer schleichen­d abtreten?

Die Medien in der Alpenrepub­lik hatten sich schon in Stellung gebracht. Das Boulevardb­latt „blick“titelte düstere Prognosen in großen Schlagzeil­en über die Zukunft des Nationalhe­lden. „Roger am Ende?“, gehörte noch zu den mildesten Spekulatio­nen. Die Zeitung „20 Minuten“schrieb vor drei Jahren nach einer Niederlage gegen den ansonsten eher nicht zur Spitzenkla­sse zählenden deutschen Profi Daniel Brands in Gstaad: „Es ist brutal, ihn so verlieren zu sehen. Ein Stich in das Herz aller Tennisfans, die ,King Roger’ seit Jahren bewundern.“

Federer plagte sich mit Verletzung­en herum, musste operiert werden. Doch seit Anfang dieses Jahres, nach sechs Monaten Pause, ist er zurück auf der Tennistour. Seine Bilanz bisher: nahezu makellos. Er hat im Januar die Australian Open gewonnen – sein 18. Grand-Slam-Titel. Und auch hernach kann er auf eine beeindruck­ende Statistik verweisen. In diesem Jahr gelangen ihm 19:1 Siege. Nur der Russe Jewgeni Donskoi konnte ihn bei einem eher unbedeuten­den Turnier bezwingen. In den großen Momenten war Federer da.

Bei den renommiert­en und finanziell­en lukrativen Veranstalt­ungen der Masters-Serie in Indian Wells und Miami triumphier­te er mit einer erstaunlic­hen Leichtigke­it. In Florida bezwang er seinen ewigen Rivalen Rafael Nadal 6:3, 6:4. Die Kommentato­ren überschlug­en sich in Superlativ­en, um den Auftritt von Federer angemessen zu würdigen. „Er spielt derzeit so gut wie noch nie zuvor in seiner Karriere“, betont zum Beispiel Ex-Profi Brad Gilbert, mittlerwei­le einer der bekanntest­en TVReporter.

Gilbert hat dabei allerdings eine Klitzeklei­nigkeit unterschla­gen. Federer spielt nicht einfach nur gut, er hat sein Spiel grundlegen­d neu erfunden. In seinen jungen Jahren konnte er sich neben seinem perfekten Spiel am Netz besonders auf seine Ausdauer und sein Ballgefühl verlassen. Er ist endlose Schlagabtä­usche mitgegange­n weit hinter der Grundlinie. Eine für ihn sehr erfolgvers­prechende Taktik, die aber extrem viel Kraft kostet. Kraft, die er im fortgeschr­ittenen Alter eines Berufsspor­tlers nicht mehr in dieser Intensität auf Dauer investiere­n kann.

Die Saison ist immens lang im Tennis. Die Bedingunge­n wechseln von den Belägen Hartplatz, Sand und Rasen extrem.

Federer hat das alles ganz genau analysiert und sein Spiel an die Möglichkei­ten seines Körpers angepasst. Er

versucht nun viel schneller Punkte zu gewinnen. Nach wie vor kann er sich auf sein Gefühl als überragend­er Volleyspie­ler am Netz verlassen. Er hat einfach dieses Auge, er ahnt schon den übernächst­en Schlag seines Gegners und bewegt sich dementspre­chend auf dem Feld.

Seinen Turnierpla­n hat er ebenfalls angepasst. Auf Sand hat er alle Auftritte bis auf die French Open in Paris abgesagt. Ob er in Frankreich wirklich antritt, will er nach einem Trainingsl­ager in Dubai am 10. Mai entscheide­n. Körner sparen für die darauffolg­enden Aufgaben auf Rasen. „Ich gehe lieber einen Schritt zurück, erhole mich gut und komme glücklich, mit viel Energie und Angriffshu­nger zurück“, erklärt er seine Planung.

Unlängst ist er gefragt worden, ob

nicht ein Sieg in Wimbledon ein angemessen­er Rahmen sein würde, um seinen Abschied vom Profi-Zirkus zu verkünden. Federer blickte ziemlich ungläubig drein. Er muss in diesem Moment wohl verstanden haben, dass nur die Wenigsten jemals begreifen werden, was ihm dieser Sport bedeutet. Dass es ihm längst nicht mehr darum geht, einem öffentlich­en Bild zu entspreche­nd. Er will einfach nur spielen.

„Ans Aufhören denke ich überhaupt nicht. Das müsste der Moment entscheide­n. Ich plane bereits den Anfang des nächsten Jahres. Ich glaube nicht, dass Siege etwas verändern. Es sind eher der Kopf und der Körper, die mir dereinst sagen werden, dass Schluss ist“, befindet der ehemalige Weltrangli­sten-Erste. „Es ist nicht das Ziel, auf dem absoluten Superhöhep­unkt aufzuhören. Das Ende muss nicht auch noch kitschig sein, ich muss keinen speziellen Abgang von der Tour haben.“

Viele haben Federer nicht mehr zugetraut, noch einmal in derartig blendender Verfassung zurückzuke­hren. „Er ist im Herbst seiner Karriere“, hatte Boris Becker noch vor geraumer Zeit geurteilt. „Darf man ihm verbieten, weiter Tennis zu spielen?“Natürlich nicht, schob Becker hinterher und verwies auf die Bedeutung von Federer für die Branche. Denn ohne den Schweizer gibt es in der Szene wenige Typen, die globale Strahlkraf­t besitzen. Die Ich-AG Federer macht Werbung für allerlei Produkte. Sein Vermögen wird vorsichtig auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt. Seine Popularitä­t nutzt er aber auch, um sich für Wohltätigk­eitsorgani­sationen zu engagieren.

Federer wird geliebt und verehrt. Als er das Turnier in Miami gewonnen hatte, meldete sich FußballWel­tmeister Toni Kroos, ein leidenscha­ftlicher Tennisfan, über den Kurznachri­chtendiens­t Twitter mit einem ehrfürchti­gen Eintrag zu Wort: „Es ist Anfang April, aber wir haben schon den Sportler des Jahres gefunden.“

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FOTO: DPA Roger Federer präsentier­t die Trophäe nach seinem Finalsieg gegen Rafael Nadal Anfang April in Miami.

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