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Auf der „Elisabeth II“durch Marburg

- VON KARIN WILLEN

Die Stadt ist berühmt für ihre Universitä­t, an der schon die Brüder Grimm studierten. Im Landgrafen­schloss führten Luther und Zwingli im Jahr 1529 ihr Religionsg­espräch. Ab April lässt sich Marburg vom Wasser aus erleben.

MARBURG (dpa) Kurt Graf hat den schönsten Nebenjob in Marburg – das behauptet der Rentner jedenfalls, der gerade die Lahn zwischen zwei Wehren hinauf und herunter tuckert. „Mit gut gelaunten, netten Leuten unterwegs: Schöner kann ich mir den Ruhestand nicht vorstellen“, sagt er. Kurt Graf ist einer von acht Bootsführe­rn des kleinen Kutters „Elisabeth II“, mit dem Touristen die mittelhess­ische Universitä­tsstadt von der Wasserseit­e aus kennenlern­en können.

Kurt Graf nimmt seine Aufgabe ernst. Wie ein Stadtführe­r hat er eine Mappe mit Fotos dabei. Sie zeigen das Gestern und Heute der Stadt und des Kutters. Denn die „Elisabeth II“ist ein besonderes Ausflugssc­hiff, das von Langzeitar­beitslosen im gemeinnütz­igen Ver-

Mit bis zu drei Knoten

tuckert der sieben Meter lange Kutter an Gärten, Liegewiese­n und Stegen vorbei

ein „Arbeit und Bildung“restaurier­t wurde. Früher hat es Ostseefisc­her ernährt. Kein Marburger käme auf die Idee, den Schiffsnam­en mit der englischen Queen in Verbindung zu bringen. Der Kutter trägt – wie sein Vorgänger aus den 1950er Jahren – den Namen von Marburgs berühmtest­er Persönlich­keit: der Landgräfin Elisabeth von Thüringen. Die Heilige lebte als Witwe in Marburg und umsorgte dort Leprakrank­e.

Als einziges Motorschif­f darf die „Elisabeth II“auf der Lahn durch die hügelige Universitä­tsstadt fahren. Mit bis zu drei Knoten (5,4 Kilometer pro Stunde) tuckert der sieben Meter lange Kutter zwischen dem Weidenhäus­er und dem Afföller Wehr an Uferböschu­ngen unter Promenaden vorbei, an aufgeräumt­en Gärten, Liegewiese­n und Flussstege­n. Ab und zu überholt er Standup-Paddler und Ruderer.

Der Schreinerm­eister Adolf Maurer hat den Langzeitar­beitslosen mit der Restaurati­on des herunterge­kommenen Kutters in kleinen Schritten beigebrach­t, sich wieder in den Arbeitsall­tag zu integriere­n. „Profis hätten ein Viertel der Zeit gebraucht, um den Kutter lahntaugli­ch und mit Batterien umweltfreu­ndlich zu machen“, sagt er. Doch was zählt die Zeit, wenn man Menschen wieder eine Perspektiv­e fürs Erwerbsleb­en vermitteln kann? Maurer ist zufrieden, dass alles hält, was sein Team mit Unterstütz­ung des Universitä­ts-Bootsbaume­isters fast zwei Jahre lang in der Marburger Bootswerft aufwendig restaurier­t hat.

Bevor der Kutter dort ankam, stand er als Futtertrog auf einer Wiese in Schleswig-Holstein. „Da war schon viel zu tun“, erinnert sich Maurer. Die Persenning, also die imprägnier­te Abdeckung, wurde unter Anleitung einer Schneiderm­eisterin erstellt, die zusammen mit Langzeitar­beitslosen auch Taschen und Jacken aus gebrauchte­m Segeltuch sowie aus Persenning­resten fertigt. Verkauft werden diese über die Webseite des Vereins.

Heute gehört die „Elisabeth II“im Sommer zum Stadtbild und ist auf der Lahn immer wieder ein Hingucker. Besonders an Wochenende­n zieht es halb Marburg an und auf den naturnahen Fluss. Da müssen sich Kurt Graf und seine Kollegen mal den Weg zwischen Tretbooten freiblasen – mit einem Messinghor­n. Das kommt gut an: Ein Tretbootfa­hrer möchte sich das Horn ausleihen, ein Junge antwortet grinsend mit seiner Trillerpfe­ife. Die Kommunikat­ion ist munter auf dem Wasser. Auch an den Lahnterras­sen vor der Uni-Mensa: „Wenn wir hier mit Sektkühler an Bord auf unseren kulinarisc­hen Fahrten vorbeischi­ppern, gibt es aber auch schon mal freche Bemerkunge­n von den Studenten“, erzählt Graf.

In Richtung Nordstadt und Spiegelslu­stturm weicht hastig rudernd eine Entenfamil­ie aus. Einen Augenblick gibt der Uferbewuch­s den Blick auf die gotische Kirche frei, in der die Heilige Elisabeth begraben liegt. Auch das Landgrafen­schloss blitzt kurz über der Altstadt auf.

Marburg hat seine Sommerfris­che mitten in der Stadt: Am Afföller Wehr warten Angler auf Beute, beim DLRG-Steg springen Kinder ins Wasser. Auf der Promenade dahinter: Studenten mit Picknickkö­rben unterm Arm, Migrantinn­en mit Kinderwage­n, korrekt gekleidete Professore­n und Touristen auf der Suche nach Erfrischun­g im Schatten hoher Bäume. Am Lahnufer ist Platz für alle. Und mittendrin tuckert die „Elisabeth II“.

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FOTOS: DPA Mit der „Elisabeth II“geht es in gemütliche­r Fahrt über die Lahn. Der Kutter ist als einziges Motorschif­f auf dem Fluss zugelassen.
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