Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Der Meisterpianist aus Meerbusch
Der 38-jährige Severin von Eckardstein zählt zu den bedeutendsten jüngeren Musikern in Deutschland. Jetzt hat der aus Meerbusch-Büderich stammende Pianist eine großartige neue CD mit Werken von Robert Schumann vorgelegt.
MEERBUSCH Unter den berühmten Pianisten der Welt finden sich vermutlich nur sehr wenige Skifahrer. Die Pisten! Die Gefahren! Die kostbaren Hände!
Auch Severin von Eckardstein schaut den Schneeartisten lieber von der Aussichtsterrasse seines Berghotels zu, in dem er dieser Tage weilt, statt selbst aus 1800 Metern Höhe ins Tal zu wedeln oder zu brettern. Er ist drei Tage hier oben am Arlberg und gönnt sich im frischen Pulverschnee eine Auszeit. Urlaub als Snack zwischendurch: Zuvor hatte er anstrengende Solo-Konzerte in Italien gegeben, jetzt wartet ein Stück auf ihn, das selbst Knochenbrecher-Qualitäten besitzt: das kaum je gespielte „ägyptische“Klavierkonzert Nr. 5 des Franzosen Camille Saint-Saëns. Das führt er im Juni in Düsseldorf auf.
Überhaupt ist Eckardstein keiner dieser Mainstream-Klaviertitanen, deren Horizont nur von Beethoven zu Franz Liszt reicht. Der 1978 in Meerbusch Geborene, der zu den aussichtsreichsten deutschen Pianisten seiner Generation zählt, hat im Werkkatalog seiner Internetseite lauter Raritäten gestapelt. Da stehen Weberns spinnenzarte Variationen op. 27 neben den bizarren „Vertrockneten Embryonen“von Erik Satie; da dampft Teufelszeug von Nikolai Medtner neben den magischen „Fünf rituellen Tänzen“von André Jolivet. Und politische Musik spielt er auch, etwa die Klaviersonate „27. April 1945“von Karl Amadeus Hartmann, die den Überlebenden von Dachau gewidmet ist. Wie der Kanadier Marc-André Hamelin liebt Eckardstein den Overkill der Entdeckung und Bergung verborgener Schätze. Gleichwohl ist die Klassik das Mutterschiff des jungen Deutschen. Beethoven ist sein Anker, Bach sein Hafen und seine Besatzung eine Versammlung aus Romantikern.
Mit dieser Weltordnung hat er in seiner Karriere Begeisterung ausgelöst. Es dürfte nur wenige Pianisten geben, die bei dermaßen vielen Wettbewerben zu den Preisträgern zählten: in Leeds, in Bozen, in München, vor allem – als Sieger – in Brüssel, beim „Grand Prix International Reine Elisabeth“. Dort hatte er das Auditorium schier im Sturm erobert; aus dieser Zeit rührt eine geradezu innige Anhängerschaft in den Beneluxländern. Das Amsterdam Concertgebouw zählt zu Eckardsteins Lieblingssälen, dorthin wird er regelmäßig eingeladen. Dieser Saal ist für ihn eine Art Wohnzimmer.
Jetzt hat er seinen Sextanten auf ein weiteres Zentralgestirn ausgerichtet, es ist Robert Schumann. Auf Eckardsteins neuer CD herrscht indes keine ruhige Fahrt auf spiegel- Was der Osterhase konnte, das kann die Sphinx schon lange. Heute jedoch versteckt sie die Lösung selbst so gut, dass sie die Antwort fast zu vergessen droht. Die griechische Mythologie ist voll Verirrungen und Verschlungenheiten, doch auch in der modernen Situation gibt es wunderbare Geschichten über oberund unterirdische Irrgärten. In einem literarischen Exemplar aus dem 19. Jahrhundert (transatlantisch!) drohen sich junge Leute in einem Höhlensystem zu verirren; dort treffen sie sogar einen Erzbösewicht. Ein unbekannter Ausgang gibt ihnen jedoch die Möglichkeit zu überleben; später finden sie einen Schatz. – Die Sphinx fragt heute: Von welchem Roman ist die Rede, und wie heißt der Erzbösewicht? Lösungen bitte mit Adresse bis 25. April an die Rheinische Post, Ressort Kultur, „Rätsel der Sphinx“, 40196 Düsseldorf. Die Mail-Adresse lautet: sphinx@rheinische-post.de Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir eine CD. w.g. Auflösung vom 5. April: Wir fragten nach dem Jazz-Saxofonisten Archie Shepp. Gewonnen hat Horst Dziabel aus Haan. Herzlichen Glückwunsch. glatter See, sondern ein Sturm, wie ihn nur einer wie Schumann erträumen konnte. Eckardstein spielt die frühen Fantasiestücke op. 12 und jene späten op. 111, die Schumann in seinen Düsseldorfer Jahren wie eine unerwartete Feuergarbe ausstieß. Im Mittelpunkt der CD steht die riesige C-Dur-Fantasie op. 17. Es ist also Musik jenseits aller strengen Ordnung, es ist Musik der Imagination, des Spukhaften und Irrlichternden. Die Stücke tragen Titel wie „Traumes Wirren“oder „In der Nacht“; Robert Schumann gestattet den Gespenstern und Phantomen, die Herrschaft über seine Musik zu übernehmen.
Das klingt nach romantischer Unterwanderung und Kontrollverlust. Eckardstein aber gelingt das Kunststück, diese Musik raffiniert-ausgeklügelt und doch improvisatorisch wirken zu lassen. Dem „Aufschwung“gibt er Kraft und ritterliche Geschmeidigkeit, er lässt uns die Struktur des Stücks spüren; doch betritt man auch eine Sphäre des Unberechenbaren und Gefährlichen; man wähnt sich auf schwan- kendem Boden. Das Grimmige bei Schumann kommt meisterlich heraus, wie überhaupt man in Severin von Eckardsteins Klavierspiel eine famose Abgeklärtheit erlebt. Er steckt mit Händen und Gedanken nicht mehr tief in den Noten, vielmehr herrscht er über die Materie. Er entfesselt die Stürme, wird von den Elementen aber nicht umhergetrieben. Diese pianistische Reife erschließt sich dem Hörer sofort.
Im Gespräch erweist sich Eckardstein, der bei renommierten Lehrern wie Julia Hechtl, Barbara Szczepanska, Karl-Heinz Kämmerling und Klaus Hellwig studierte, als ungemein sympathischer Erzähler. Ohne Frage ist er ein Grübler, der sich in seinen Gedanken auch verlieren kann. Aber sein Text im Booklet der CD zeigt ihn uns als Klugkopf, der bei aller täglichen Praxis die Theorie nicht verloren hat.
Obwohl er als Pianist durch die Welt reist, vergisst er sein Meerbusch nicht. Zwar ist die Familie mehrfach um- und zurückgezogen – Abitur machte er in Siegen –, doch in Büderich kennt er jeden Fahrradweg. Und in seinem alten Kinderzimmer dort steht immer noch sein erster Kawai-Flügel. Heimat ist für ihn auch der Besuch der Bilker Straße in Düsseldorfs Altstadt, in der Schumann wohnte; das schwarzweiße Foto auf dem Cover zeigt uns den Pianisten in der historischen Straßenflucht vor modernen Automobilen. Poetischer kann die Botschaft nicht zum Betrachter kommen: Hier entsteht Farbe einzig beim Hören. Und Schumanns Albträume tönen sowieso derart wüst, als habe der Komponist die Palette gleich über der Partitur ausgekippt.
Unterirdisch verirrt