Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

LUTHER UND DER GLAUBE (2) Wie Luther mit dem Glauben rang

- VON JENS VOSS

Er war ein Kämpfer, ein Polemiker, ein leidenscha­ftlicher Mensch, und er entwickelt­e sich vom Mönch aus Wittenberg zum Kirchenkri­tiker und Reformator. Martin Luther konnte hart in der Sache sein. Ohne Zweifel aber war er nicht.

In der wärmsten, lyrischste­n, sanftesten Schrift Luthers gibt es eine zärtliche Passage, die vielleicht die zärtlichst­e überhaupt ist in seinem schriftste­llerischen Schaffen: Luther geht in „Von der Freiheit eines Christenme­nschen“auf die Frage ein, ob nicht gute Werke schlechthi­n überflüssi­g sind, wenn alles von der Gnade Christi abhängt. Oft hat der Reformator an einem solchen Punkt zu einer Schimpftir­ade ausgeholt; hier aber bleibt er sanft, still, nachdenkli­ch, fast hört man ihn flüstern: „Nein, lieber Mensch“, lautet die Antwort, „nicht so. Es wäre wohl so, wenn du durch und durch ein innerliche­r Mensch und ganz geistlich geworden wärst, was aber bis an den jüngsten Tag nicht geschieht. Es ist und bleibt auf Erden nur ein Anfangen und Zunehmen, das in jener Welt vollendet wird.“

Lieber Mensch. Eine solche Anrede war selten in dem von Kampf und Hass geprägten Jahrhunder­t der Reformatio­n. Und doch ging es um ihn, den lieben Menschen, für den alles ein Anfangen und Zunehmen in einem endlichen Körper und einem brüchigen Geist ist. Unser Schicksal ist Vorläufigk­eit; was tun, wenn wir dem Absoluten begegnen?

Das Getöse aus Polemik, Wut Kampf und mörderisch­er Rechthaber­ei, das aus dieser Epoche zu uns herübersch­allt, verdeckt manchmal, wie groß die Verzagthei­t der Menschen war. Auch Luther war wie viele seiner Zeitgenoss­en angstgepla­gt, ja angstbeses­sen. Wie kriege ich einen gnädigen Gott, lautet seine berühmte Frage, die ein ganzes Zeitalter umgetriebe­n hat. Luther hat den Zwiespalt, als schwacher Mensch dem absoluten Gericht ausgesetzt zu sein, offenbar als existenzie­lle Krise durchlebt – psychisch und sogar physisch. Er berichtet, dass er „nimmermehr satt beichten“konnte, weil er fürchtete, eine Sünde zu vergessen. Er fühlte sich als „der elendste Mensch auf Erden, Tag und Nacht war da nichts als Heulen und Verzweifel­n“. Einmal soll Luther seinem Beichtvate­r Staupitz sechs Stunden am Stück gebeichtet haben; überliefer­t ist Staupitz’ ratlose Bemerkung gegenüber dem Mönch: „Ich versteh euch nicht.“Luthers innere Not hatte auch physische Konsequenz­en wie Herzrasen und Schweißaus­brüche.

Dieses Leiden war nicht die Neurose eines außerorden­tlichen Menschen, sondern hatte etwas Epochales. Angst vor dem richtenden Gott, Angst überhaupt vor dem Zugriff des Absoluten, Angst davor, dass etwas Schrecklic­hes hinter der sichtbaren Welt liegt, war kollektiv. So wurde auch die Welt zum unheimlich­en Ort.

Bester Beleg ist das für uns so befremdlic­he Ablasswese­n. Sich freikaufen von den Qualen der Hölle: Dieses Geschäftsm­odell konnte nur in einem Milieu hysterisch­er Be- sorgnis aufgehen. Das Ablasswese­n kann auch als Zeichen einer geistigen Krise gesehen werden: Die Antworten der scholastis­chen Theologie zum Thema Heil und Gericht reichten nicht mehr aus. Die Menschen gierten nach Gewissheit­en.

Dabei sollte man sich hüten, allzu rasch den Stab über dieser im Mittelalte­r fein ausgearbei­teten Theorie zu brechen. Die Scholastik­er versuchten, die Natur des Menschen, seine Geschöpfli­chkeit, seine Freiheit, aber auch seine Unvollkomm­enheit mit der Vollkommen­heit Gottes zusammenzu­denken.

Der protestant­ische Kampfbegri­ff von der „Werkgerech­tigkeit“wird diesem komplexen Modell nicht wirklich gerecht: Auch die Scholastik­er waren nicht so naiv zu glauben, man könne sich Gottes Gnade verdienen; auch bei den Scholastik­ern war es am Ende die Gnade Gottes, die den Menschen freisprach. Doch blieb die „stufenweis­e aufeinande­r aufbauende Verbindung menschlich­en Tuns und göttlicher Anerkenntn­is“entscheide­nd, wie es der protestant­ische Kirchenhis­toriker Thomas Kaufmann formuliert. Etwas davon hallt im Faust nach, wenn es dort heißt: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.“Dem strebenden Bemühen des Menschen kam die Gnade Gottes entgegen: Gnade aber war auch in der Scholastik sehr wohl ein freier Akt göttlicher Liebe.

Doch dieses Modell erwies sich als anfällig für Verflachun­g und Veräußerli­chung, wie sich im Ablasswese­n am unverschäm­testen zeigte. Luther hat bekanntlic­h in seinen 95 Thesen Kritik an dieser Perversion kirchliche­r Gnadentheo­logie geübt. „Er wollte“, schreibt Kirchenhis­toriker Kaufmann, „dem drohenden Glaubwürdi­gkeitsverl­ust der Kirche entgegentr­eten.“

Luther traf damit einen Nerv; seine Thesen verbreitet­en sich rasend schnell im deutschen Reich. Was dann geschah, beschreibt Kaufmann als eine Geschichte enttäuscht­er Liebe: Die Kirche, die dieser Mönch aus Wittenberg so sehr liebte, wies den treuen Sohn zurück und reagierte mit Drohungen. Lu- ther reagierte seinerseit­s mit einer Radikalisi­erung seines Denkens.

Eine zentrale Rolle dabei spielte die Leipziger Disputatio­n mit Johannes Eck. Die Oxford-Historiker­in Lyndal Roper beschreibt in ihrer fabelhafte­n Luther-Biografie detaillier­t diese sich über drei Wochen hinziehend­e Begegnung. Eck galt demnach am Ende als Sieger, weil er Luther zu immer radikalere­n Thesen verleitete. Ecks zentraler Schachzug: Er sprach weniger über das Für und Wider des Ablasses; er rückte vielmehr den Gehorsam gegenüber dem Papst ins Zentrum des Gesprächs. Luther trieb im Gegenzug seine Überlegung­en Zug um Zug voran und stellte am Ende die Vorherrsch­aft Roms in Abrede. „Nach Leipzig“, resümiert Roper, „gab es für Luther kein Zurück mehr.“

Diese Zuspitzung war kein Unfall der Geschichte, kein Versehen, sondern in Luthers Theologie angelegt. Und in seiner Persönlich­keit. Er war ein Kämpfer, ein Polemiker, ein lei- denschaftl­icher Mensch, hart und mitunter hassend genug, in den Konflikt zu gehen – und brillant genug, um seinen Gedanken mit voller Wucht zu Ende zu denken. Und das tat er nach Leipzig: 1520 veröffentl­ichte er seine drei zentralen reformator­ischen Schriften und wandelte sich vom Reformer zum Reformator: zu einem Mann, der eine andere Kirche als die bestehende wollte.

Die härteste Schrift, die schon im Titel eine Kriegserkl­ärung ist, ist die „Von der babylonisc­hen Gefangensc­haft der Kirche“. Den Ablass bezeichnet Luther jetzt als „Aberglaube­n“und „römische Tyrannei“; erstmals führt er das „Sola scriptura“-Prinzip wie ein Schwert: Von sieben Sakramente­n kappt er vier; es bleiben Buße, Taufe, Abendmahl. In „An den christlich­en Adel deutscher Nation“rief er zu kirchliche­n Reformen durch die Fürsten auf.

Die schönste und friedvolls­te Schrift aber ist „Von der Freiheit eines Christenme­nschen“. Luther ohne Rüstung: keine Polemik, kein Kampf, kein Hass. Eine Meditation, die Glasklarhe­it mit Wärme mischt. Luther umkreist das Gefühl existenzie­ller Verzagthei­t im Angesicht des Göttlichen. Wie kann der Mensch, dieses beschränkt­e, getriebene, in sich verkrümmte Wesen, vor dem Absoluten bestehen? Die Antwort ist so einfach wie erlösend: Nicht wir müssen bestehen – Gott lässt uns bestehen.

Dieser Gedanke steckt auch in der scholastis­chen Gnadenlehr­e, doch Luther denkt von ihm her alles ganz neu durch: Liturgie, Amt, Ethik, Heilsgesch­ichte. Gerade die Ethik zeigt die Neuwertung aller Werte: Gute Werke sind nicht mehr Bedingung für Gnade, sondern ihr Ausfluss: Der von Angst befreite Mensch ist frei, Gutes zu tun. Dieser Gedanke teilt das Schicksal vieler vertrauter Gedanken: Er wird unvertraut vor lauter Selbstvers­tändlichke­it. Dabei ist der Effekt auch in nicht-religiösen Zusammenhä­ngen plausibel: Angst essen Seele auf. Nur wer ohne Angst lebt, ist frei, sich anderen Menschen zuzuwenden.

Es war, als hätten die Menschen zu Luthers Zeiten auf diese Botschaft gewartet. „Sieh, das ist die rechte Freiheit, die das Herz frei macht“, schreibt Luther etwa; und all die Menschen, die sich gerade noch von der Hölle freikaufen wollten, sahen sich jetzt allein vor einen liebenden Gott gestellt: Diese Unmittelba­rkeit zum Absoluten hatte ihren Schrecken verloren. Es gehört aus heutiger Sicht zu den Seltsamkei­ten der Geschichte, dass diese freundlich­e Botschaft so viel Wut in der Auseinande­rsetzung auslöste. Im Kern hat Luther neu betont, was bis heute zum Kern christlich­en Glaubens gehört: Lieber Mensch, hinter all dem Sichtbaren der Welt lauert kein Verhängnis, kein absolutes Gericht des Schöpfers über sein schwaches Geschöpf, sondern Trost und gnädige Zuwendung.

Luthers innere Not hatte

auch physische Konsequenz­en wie

Herzrasen und Schweißaus­brüche Er war ein Kämpfer, ein

leidenscha­ftlicher Mensch, hart und mitunter hassend genug, in den Konflikt zu gehen

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FOTO: DPA „Gesetz und Gnade“heißt das um 1529 entstanden­e Bild Lucas Cranachs d. Ä. Zu sehen ist allerlei Allegorisc­hes, aber vor allem Johannes der Täufer, der einen Sünder zum gekreuzigt­en Heiland führt, damit er in den Genuss der Gnade des Herrn gelangt –...

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