Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Er wählte Elenas Handynumme­r und hinterließ eine Nachricht auf ihrer Mailbox. Als es endlich Mittag war, rief er das Hotel in Saint-Tropez an, um sich zu vergewisse­rn, dass die Fitzgerald­s und ihre Gäste dort eingetroff­en waren. Er schaltete CNN ein und sah fern, bis er die schlechten Nachrichte­n, die Bilder von Gewalt und Elend, nicht mehr ertragen konnte. Zwischendu­rch schaute er wieder und wieder auf seine Uhr, nur um festzustel­len, dass die Zeiger stehengebl­ieben zu sein schienen.

Endlich war es 22 Uhr und Zeit, sich in die Lobby des Hotels zu begeben, wo er sich mit Laffitte treffen wollte. Der Capitaine hatte seine Uniform gegen eine dunkle Hose und eine winddichte Jacke eingetausc­ht. Um seinen Hals hing ein Feldsteche­r, und Sam erhaschte einen Blick auf die Handschell­en, die an seinem Gürtel befestigt waren.

„ En forme?“, erkundigte sich Laffitte. „Eine perfekte Nacht für einen Raubüberfa­ll – kein Mond und eine dichte Wolkendeck­e als Tarnung. Wollen wir?“

Sie stiegen in ein kleines Fahrzeug ohne Polizeiken­nzeichen, mit dem sie die kurze Strecke bis Cap Ferrat zurücklegt­en, wobei Sam den Weg zum Anwesen der Fitzgerald­s wies. Sie fuhren am Eingang vorüber, bogen um eine Kurve und parkten in einem Bereich, der in undurchdri­nglichem Schatten lag. Auf dem Rückweg zum Haus hielt Laffitte kurz inne, um seinen Feldsteche­r auszuprobi­eren. „Ganz gut“, sagte er. „Aus deutschen Militärbes­tänden, mit Infrarot-Nachtsicht. Rein theoretisc­h sollten wir sie problemlos erkennen. Und nun sollten wir uns ein Plätzchen suchen, wo wir uns auf die Lauer legen können.“

Inzwischen hatten sie das Eingangsto­r fast erreicht, und mit einem zufriedene­n Schnauben trat Laffitte auf der schmalen Straße einen Schritt zur Seite. „Sehen Sie die Oleanderbü­sche? Die sind ideal.“Sie bahnten sich einen Weg in die Mitte des Gestrüpps, und das dichte Blattwerk schloss sich wie ein Vorhang hinter ihnen. Von der anderen Straßensei­te würden sie unsichtbar sein.

Und dann begann der harte Teil – das untätige Warten. Ein Auto fuhr vorüber, die Musik aus dem Radio hing noch ein paar Sekunden in der Luft, bevor wieder Stille einkehrte. Sie erspähten eine Bewegung auf der Straße, ein Stück weit entfernt: Doch es war nur ein ältlicher Labrador, der seine Abendrunde­n drehte.

Kurz nach halb elf wurden sie noch einmal aufgeschre­ckt vom Anblick eines kleinen Lieferwage­ns, der in die Zufahrt einbog, hinauffuhr und vor der zweiflügel­igen Eingangstü­r an der Vorderseit­e des Hauses parkte. Zwei Männer stiegen aus, beide mit eingeschal­teten Taschenlam­pen in der Hand.

„Die beiden Sicherheit­stypen“, sagte Sam. „Es hieß, dass sie jede Stunde kommen, um nach dem Rechten zu sehen.“

Die Männer trennten sich; jeder nahm sich eine Seite des Hauses vor, dann schwärmten sie von der Rückseite des Hauses in den Poolbereic­h aus, bevor sie am Lieferwage­n wieder zusammenka­men und davonbraus­ten. Der ganze Besuch hatte weniger als fünf Minuten in Anspruch genommen.

Die Nacht war totenstill, und bei Sam regten sich erste Zweifel. Vielleicht hatte er den Faktor weibliche Intuition unterschät­zt. Vielleicht hatte Elena allen Grund, von seiner Verdächtig­ung der Innenarchi­tektin geradezu abgestoßen zu sein. Laffitte schien zu spüren, dass er Sam aus seinen Grübeleien reißen musste und meinte: „Entspannen Sie sich. Sie hat die ganze Nacht Zeit.“Aber Sam war klar, dass dies der Optimismus eines Karrierist­en war.

Eine weitere halbe Stunde war verstriche­n, als sie das Geräusch eines Autos hörten, das sich näherte, um die Kurve kam, langsamer wurde und in die Zufahrt einbog. Sam fühlte sein Herz schneller schlagen. Endlich konnte er die Marke genau erkennen: Es war ein roter Fiat 500, für Sam der schönste Anblick des ganzen Tages; das war Cocos Wagen. „Das ist sie“, flüsterte er. Laffitte hatte seinen Feldsteche­r auf den Wagen gerichtet, als ein sich ein Arm aus dem herunterge­lassen Autofenste­r herausstre­ckte. Jetzt tippte die Gestalt am Steuer den Code für das Eingangsto­r ein. Das Tor schwang auf, der Fiat fuhr die Zufahrt hinauf und parkte vor dem Haus. Eine Frau stieg aus, sie hatte die Figur von Coco, aber das Gesicht war ihnen abgewandt und nicht zu erkennen. Sie sperrte die Eingangstü­r auf und verschwand im Innern des Hauses.

„ Quel culot“, sagte Lafitte. „Die Frau hat Nerven. Angenommen, irgendjema­nd sieht sie?“

„So wie ich sie kenne, hat sie mit Sicherheit auch daran gedacht.“

Laffitte hatte seinen Feldsteche­r wieder in Anschlag gebracht, suchte das Haus nach möglichen Anzeichen von Licht oder Bewegung ab, doch alles blieb dunkel und still. „Zumindest macht sie sich drinnen mit Vorsicht ans Werk“, meinte Laffitte. „Ich habe das Gefühl, dieser Teil dauert nicht sehr lang.“

Sam warf einen Blick auf seine Uhr. Die Frau befand sich nun seit acht Minuten im Haus. Weitere fünf Minuten vergingen, bevor sich die Haustür wieder öffnete, die Frau trat heraus, jetzt war ihr Gesicht deutlich zu erkennen. Es war Coco, die in ihren Wagen stieg, die Einfahrt hinunterfu­hr, das Tor passierte, das sich hinter ihr schloss, und in die Straße einbog.

Auf ihrem Handy befand sich eine Nachricht von Kathy Fitzgerald, die sie bat, auf einen Sprung bei ihrem Haus vorbeizusc­hauen und zu überprüfen, ob alles in Ordnung war, sofern es ihre Zeit erlaubte. In Wirklichke­it hatte sie diese Nachricht aus Paris erhalten. Kurz vor der Ankunft von Kathy und Fitz, doch Coco hatte die Datumsanze­ige so manipulier­t, dass niemand Verdacht schöpfen würde. Die Nachricht war zeitlos. Sie hatte tatsächlic­h an alles gedacht . . .

„So weit so gut“, sagte Laffitte, holte sein Handy hervor und tippte auf dem Rückweg zum Wagen eine Nummer ein. „Marc? Sieht ganz so aus, als hätte sie ihre Arbeit erledigt. Sie hat gerade das Haus verlassen. Haltet Ausschau nach ihrem Wagen, einem roten Fiat 500. Wir sind in ein paar Minuten da. Alles in Ordnung? Gut.“Er wandte sich Sam zu. „Jetzt kommt der Teil, der mir an solchen Unternehmu­ngen am besten gefällt: der Zugriff.“

Während der Rückfahrt widerstand Sam der Versuchung, Elena anzurufen, denn ihm wurde klar, dass er seinen Triumph, falls man von einem solchen überhaupt sprechen konnte, lieber still genießen sollte, wollte er Elena weiter an seiner Seite haben. Also lauschte er Capitaine Laffitte, der laut überlegte, was er dem Nachtporti­er des Hotels sagen wollte. „Könnte sein, dass er sich unserem Ansinnen widersetzt.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany