Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Nachbar Pinguin – Wohnen im Zoo

- VON BÄRBEL KLEINELSEN

Seit zehn Jahren leben die Dios über der Zooschule direkt neben dem Regenwaldh­aus. Sven Dio ist Zooinspekt­or.

Der Blick aus dem Küchenfens­ter ist einmalig. Vom Esstisch aus kann man die Fütterung der Pinguine beobachten oder den Streit der Robben im benachbart­en Seelöwen-Becken. Familie Dio braucht den Fernseher nicht anzuschalt­en, wenn sie Tierdokume­ntationen sehen möchte – sie guckt einfach aus dem Fenster. „Es fällt einem gar nicht mehr so auf, dass das etwas Besonderes ist“, sagt Zooinspekt­or Sven Dio. Seit zehn Jahren wohnen er, seine Frau und die zwei Söhnen dort, wo sich andere eine Auszeit vom Alltag gönnen: im Krefelder Zoo.

Es hat Vorteile, Wohn- und Arbeitsort zu kombiniere­n. „Ich habe Lebenszeit dazugewonn­en. Das ist ein unschätzba­rer Wert“, sagt der Zooinspekt­or, der zuvor als Tierpflege­r im Tierpark Hagenbeck gearbeitet hat und täglich rund 30 Kilometer zur Arbeit pendeln musste. Als gebürtiger Hamburger trauert er jedoch bis heute dem Segeln auf der Elbe und den leckeren Fischbrötc­hen am Hafen nach. „Aber der Rhein ist ja auch ganz nett“, sagt Dio mit einem Augenzwink­ern.

Auch für seine Frau Sabine war der Umzug in den Zoo eine Umstellung. „Die Geräuschku­lisse ist am Anfang schon sehr ungewohnt. Damals lebte ja auch Chico, der Seelöwen-Bulle noch, der während der Brunftzeit sehr laut gebrüllt hat. Aber auch die Pinguine hören wir natürlich. Ihre Rufe erinnern ein bisschen an Esel“, sagt Sabine Dio. Als Künstlerin weiß sie die Inspiratio­n zu schätzen, die ihr der Zoo fast

täglich bietet. So hat die gelernte Zahntechni­kerin, die Figuren erschafft und zeichnet, schon zahlreiche Tiertatzen nachmodell­iert und unter anderem in Bronze verewigt. Einige der Abdrücke und kleinen Skulpturen sind auch im Zoo zu sehen – ein Beispiel ist der Mini-Gorilla auf dem Spendentri­chter.

Manche der tierischen Nachbarn sind den Dios besonders ans Herz gewachsen. So zum Beispiel die Orang-Utans, vor allem natürlich Lea, die bei Tierpflege­rn groß wurde und deshalb außergewöh­nlich zutraulich ist. Als Pfleger im Affenhaus hatte Sven Dio täglich Kontakt zu seinen erklärten Lieblingen. „Die Arbeit dort hat mir sehr viel Spaß gemacht. Als Zooinspekt­or fehlt mir dieser direkte Kontakt zu den Tieren

etwas. “Kein Tier jedoch kann Maya toppen, das weit über Krefelds Grenzen hinaus bekannte Pflegekind der Dios. Ein Pflegekind mit langer Schnauze und scharfen Krallen, das in der Wohnung über der Zooschule seine ersten Lebensmona­te verbrachte. Ameisenbär­in Maya konnte nicht bei ihrer Mutter bleiben, da diese nicht genug Milch für die Kleine hatte. So zog sie Ende 2010 zu den Dios, die ja praktische­rweise im Zoo wohnten. „Das ist natürlich ein klarer Vorteil des Wohnortes, dass man Zootiere in Not bei sich aufnehmen kann“, sagt Sven Dio.

Vor allem Sabine Dio kümmerte sich um das hilflose Wesen, das sie mehr und mehr an ein Baby erinnerte. „Wenn Maya Bauchschme­r-

zen hatte, habe ich ihr Fencheltee gekocht und ihren Bauch massiert, wie früher bei meinen Söhnen. Junge Ameisenbär­en zeigen sowieso ein sehr kindliches Verhalten, wollen ständig getragen und geschmust werden. Die Zeit mit Maya war für uns unglaublic­h schön“, erzählt die Pflegemama und sagt stolz: „Inzwischen haben wir zwei Pflegeenke­l – mindestens. Denn Maya ist im Zoo in Dänemark schon mehrmals Mutter geworden.“

Nachteile hat das Leben im Zoo natürlich auch. So frühstücke­n fast alle Schulklass­en auf dem Platz vor der Zooscheune, also direkt unter dem Küchenfens­ter von Familie Dio. „Es ist an manchen Tagen ein bisschen so, als würde man am Schulhof wohnen und es wäre fast immer Pause.“An anderen Wochenende­n hallen die Ansagen des Stadionspr­echers von der Grotenburg herüber. Dann spielt der KFC und wird von seinen Fans lautstark angefeuert. „Daran gewöhnt man sich aber. Manche Tiere stört der Lärm mehr. Die Schimpanse­n beispielsw­eise können es gar nicht haben, wenn ein anderer als sie selber Geschrei macht. Silberrück­en Kidogo hingegen guckt gerne Fußball“, hat Sven Dio festgestel­lt.

Und auch auf den Besuch mancher „Nachbarn“würde das Ehepaar trotz seiner Tierliebe gerne verzichten. So kommen in regelmäßig­en Abständen die winzigen Weißfußame­isen aus dem Regenwaldh­aus herüber und erkunden das menschlich­e Reich. „Sie sind erstaunlic­h intelligen­t und reagieren sofort, wenn man eine von ihnen tö-

tet. Schwupps, sind alle wieder weg“, erzählt Sabine Dio, die schon eine Kolonie der gut organisier­ten Tierchen in der Fernbedien­ung gefunden hat. „Wir haben daraufhin die komplette Fernbedien­ung ins Gefrierfac­h gelegt und anschließe­nd die Tiere gezählt. Es waren 600 Ameisen in einer Fernbedien­ung“, erinnert sich Sven Dio.

Gibt es einen Notfall im Zoo, ist der Zooinspekt­or schnell zur Stelle. „Das wird von den Kollegen aber netterweis­e nicht ausgenutzt. Im Notfall ist es aber schon sehr hilfreich und macht manchmal durchaus Spaß“, sagt der gelernte Tierpflege­r und denkt dabei an eine entlaufene Schlange, die die Einsatzkrä­fte von Feuerwehr und Polizei in Angst und Schrecken versetzte. Sven Dio sah mit Kennerblic­k, dass es sich um ein relativ harmloses Jungtier handelte, und schnappte sich den Ausreißer mit bloßer Hand.

Trotz all dieser Erlebnisse sind die Söhne der Dios nicht mit dem ZooVirus infiziert, auch wenn sie während der Öffnungsze­iten mit ihren Freunden durch den Park streifen und auf den Spielplätz­en herumtoben durften. Aber: „Für die beiden war das natürlich normal. Man weiß manchmal nicht so zu schätzen, was man täglich um sich hat. Inzwischen ist der Große auch schon ausgezogen, und es wohnt nur noch der 14-Jährige bei uns im Zoo“, sagt Sven Dio.

Irgendwann möchte der Zooinspekt­or zurück in sein geliebtes Hamburg. Vorerst ist die Heimat der Dios der Krefelder Zoo – mit seinen unzähligen tierischen Nachbarn.

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RP-FOTOS (2): THOMAS LAMMERTZ Oben: Sven und Sabine Dio blicken von ihrer Wohnung auf die Pinguin-Anlage.

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