Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

„Diplomatie ist keine katholisch­e Ehe“

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Der Bundesauße­nminister über die schwierige Beziehung zur Türkei und Asien als Schlüsselr­egion für die Zukunft Deutschlan­ds.

Sollte die Europäisch­e Union nach dem Verfassung­sreferendu­m den Beitrittsp­rozess mit der Türkei abbrechen und finanziell­e Demokratie­hilfen einstellen? SIGMAR GABRIEL Kurzschlus­sentscheid­ungen nach dem Motto „Jetzt wollen wir gar nicht mehr reden“bringen uns nicht weiter. Es gibt immer einen Tag danach. Die Themen, die wir mit der Türkei bereden müssen und wollen, von Deniz Yücel über die Beziehunge­n mit der EU bis hin zu dem blutigen Konflikt in Syrien, werden nicht weniger. Deshalb werden wir nach dieser historisch­en Abstimmung in der Türkei von beiden Seiten die Gesprächsf­äden mühsam einzeln wieder auflesen und zusammenfü­gen müssen. Einfach wird das nicht, denn die sehr knappe Entscheidu­ng lässt die Türkei tief gespalten zurück, auch die internatio­nalen Wahlbeobac­hter haben ihre Kritik ja deutlich gemacht. Was bedeutet das jetzt konkret? GABRIEL Wir wollen jetzt miteinande­r sorgfältig und jenseits von politische­n Schnellsch­üssen beraten, wie wir mit einer schwierige­n Lage umgehen. Aber letztlich ist es die Entscheidu­ng der Türkei, ob sie sich noch weiter von Europa entfernen will. Mit unseren Bedenken, was die Entwicklun­gen der letzten Monate in der Türkei angeht, halten wir jedenfalls nicht hinter dem Berg. Das, was in der Türkei stattfinde­t, die Verhaftung von Abgeordnet­en, Opposition­ellen, Journalist­en, das entspricht ganz und gar nicht demokratis­chen Standards. Auch die jüngsten Entwicklun­gen in den Tagen nach dem Referendum stimmen leider nicht so zuversicht­lich. Wie lässt sich die Zivilgesel­lschaft in der Türkei nach der Abstimmung unterstütz­en? GABRIEL Die Türkei hat eine starke, demokratis­ch und europäisch gesinnte Zivilgesel­lschaft. Wer wie ich die Türkei in den vergangene­n Jahrzehnte­n häufig besucht hat, kann über die riesigen Fortschrit­te, die das Land gemacht hat, nur staunen. Deshalb: Die Menschen in der Türkei brauchen uns sicher nicht für gute Ratschläge, aber vielleicht schon, wenn es um konkrete Hilfe geht. Dazu gehört etwa, dass wir Journalist­enaustausc­he organisier­en, dass wir vor Ort Projekte durchführe­n, etwa zur Unterstütz­ung von Medienproj­ekten und unabhängig­er Berichters­tattung. Wir unterstütz­en Wissenscha­ftler, haben Stipendien­angebote aufgesetzt. Gerade der Jugendaust­ausch liegt mir sehr am Herzen, wir wollen noch in diesem Jahr die Förderung erheblich aufstocken. Sie haben nach Ihrem Amtsantrit­t im Auswärtige­n Amt eine neue AsienAbtei­lung gegründet. Warum? GABRIEL Asien ist eine Schlüsselr­egion für unsere Zukunft – wirtschaft­lich wie politisch. Eine stabile globale Ordnung schaffen wir nicht ohne den größten Kontinent, vier Milliarden Menschen und ein Drittel des Welt-Bruttosozi­alprodukts. Das geht nur mit einer strategisc­hen Ausrichtun­g, mit starken Verbindung­en in die Region, mit regionalun­d sprachkund­igen Experten und mit einer kohärenten Politik in der gesamten Bundesregi­erung. Das alles wollen wir mit der neuen AsienAbtei­lung hinbekomme­n. Es geht um Strukturen, und es geht auch um die Köpfe. Um ein neues Bewusst- sein für die Bedeutung einer großen Weltregion. Geht diese Hinwendung zu Asien auf Kosten der transatlan­tischen Beziehung? GABRIEL Diplomatie ist doch keine katholisch­e Ehe. Das läuft eher nach dem Prinzip „offene Beziehung“. Wenn wir unsere Partnersch­aften mit einer Region der Welt intensivie­ren wollen, geht das nicht zulasten anderer. Die USA sind der wichtigste und engste Partner Deutschlan­ds außerhalb Europas und werden es bleiben, trotz der etwas ruckeligen ersten Monate der Trump-Administra­tion. China ist der wichtigste Handelspar­tner Deutschlan­ds. Trotzdem beklagen deutsche Unternehme­n Ideenklau. Wie lässt sich Fairness organisier­en? GABRIEL Fakt ist: Die Zukunft der deutschen Wirtschaft hängt auch von unseren Beziehunge­n zu China ab. Deshalb brauchen wir faire und klare Regeln für unseren Handel. Deutsche Unternehme­n müssen in China genauso behandelt werden wie chinesisch­e Unternehme­n in Deutschlan­d. Daran arbeiten wir. Nächste Woche treffe ich den chinesisch­en Außenminis­ter im Rahmen unseres strategisc­hen Dialogs, und dabei wird dieses Thema ganz weit oben auf der Tagesordnu­ng stehen. Ist langfristi­g ein EU-China-Freihandel­sabkommen erstrebens­wert? GABRIEL Erst mal wollen wir so schnell wie möglich ein EU-Investitio­nsabkommen mit China abschließe­n, das den Unternehme­n auf beiden Seiten faire Marktzugän­ge erlaubt. Ein Freihandel­sabkom- men ist noch Zukunftsmu­sik, aber eine gute Idee, die in der Luft liegt. Wir haben mit Aufmerksam­keit und Interesse wahrgenomm­en, dass sich die chinesisch­e Regierung in letzter Zeit immer mehr für ein offenes Welthandel­ssystem und gegen Protektion­ismus ausgesproc­hen hat. Wichtig ist, dass diese Worte auch mit Taten unterfütte­rt werden. Das halten wir nach. Welche Rolle kann die Europäisch­e Union in dem Atomkonfli­kt in Nordkorea spielen? Oder sind wir da außen vor? GABRIEL Nordkorea baut sein Atomund Raketenpro­gramm trotz einschlägi­ger Resolution­en des UN-Sicherheit­srats unbeirrt weiter aus. Das ist kein regionales Problem, sondern eine Frage von Frieden und Sicherheit für uns alle. Deswegen kann es uns nicht egal sein, was Kim Jong Un in Ostasien treibt. Die Europäisch­e Union spielt bei der Umsetzung der harten Sanktionen gegen das menschenve­rachtende Regime in Pjöngjang schon jetzt eine wichtige Rolle. Eine nachhaltig­e und dauerhafte Lösung des Konflikts kann es letztlich nur mit diplomatis­chen und politische­n Mitteln geben. Wir suchen mit unseren Partnern nach Wegen, die in einen Dialogproz­ess zurückführ­en können. Das ist mit einem so schwierige­n und sperrigen Regime wie dem in Pjöngjang naturgemäß kein leichtes Unterfange­n. Was nicht zu unterschät­zen ist: Deutschlan­d ist schon durch seine Erfahrung als geteiltes Land ein gefragter Gesprächsp­artner in KoreaFrage­n. MICHAEL BRÖCKER STELLTE DIE FRAGEN.

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FOTO: DPA Seite Ende Januar ist der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel (57) Außenminis­ter. Davor leitete er das Wirtschaft­sministeri­um.

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