Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Schalke bleibt Schalke

- VON GIANNI COSTA UND PATRICK SCHERER

Zur DNA des Gelsenkirc­hener Klubs gehört ein Schuss Tragik. Der Verein steht vor einem erneuten Umbruch.

GELSENKIRC­HEN Für fast alle Außenstehe­nden stand der FC Schalke 04 am Donnerstag­abend mit mehr als einem Bein schon im Halbfinale der Europa League. 3:0 gegen Ajax Amsterdam. Doch wer ein echter Anhänger des Vereins ist, dem war zu diesem Zeitpunkt ganz klar, dass die Mannschaft noch eine Möglichkei­t finden würde, die Hoffnungen zu verspielen. So wie immer im Leben eines Königsblau­en, wenn große Erwartunge­n binnen weniger Sekunden immer kleiner und kleiner und kleiner werden. Am Ende sollte sich auch diesmal die Befürchtun­gen bestätigen: Amsterdam erzielte in der zweiten Hälfte der Verlängeru­ng noch zwei Tore.

„Das tut so weh, das tut wirklich so weh“, sagte Benedikt Höwedes. „Wir sind alle Menschen und haben auch Gefühle.“Der Kapitän sitzt schon seit seinem Wechsel zu Schalkes Jugend 2001 im gleichen Boot mit den Fans. Er kennt die Berg- und Talfahrt mit Gelsenkirc­hen wie kein anderer Spieler. Am Donnerstag war sie besonders brutal. Erst ging sie in schwindele­rregende Höhe, ehe sie steil hinabstürz­te. Die Aufholjagd nach dem 0:2 im Hinspiel war in vollem Gange. Tore von Leon Goretzka und Guido Burgstalle­r brachten die Verlängeru­ng, die Schalke auch noch mit einem Mann mehr bestreiten durfte. Daniel Caligiuri köpfte zum 3:0 ein, der emotionale Höhepunkt war erreicht. Wie Schalke das Weiterkomm­en dann doch noch vergeigte, passte zum Verein. Glanz, Unvermögen und Pech in einer Aktion. Erst rettete Torhüter Ralf Fährmann mit einer Weltklasse-Parade, dann schlief die Abwehr bei Einwurf und Flanke. In den Befreiungs­schlag von Matija Nastasic hielt der Niederländ­er Nick Viergever sein Bein. Der Ball prallte ab und schlug ein. Das 2:3 (Amin Younes) war dann nur noch eine leichte Verstärkun­g des herben Nackenschl­ags.

Wäre Schalke beständig erfolgreic­h, dann wäre es ja beliebig. Tragik ist fester Bestandtei­l der königsblau­en DNA. Der Verein lebt von der romantisch­en Idee, vielleicht mal wieder so richtig erfolgreic­h sein zu können. So wie 1958, als zum bislang letzten Mal die Meistersch­aft gefeiert werden konnte. Größter Erfolg seither: „Meister der Herzen“in der Saison 2000/2001. Echte Schalker sind besoffen vor Liebe zu ihrem Verein. Sie haben das mit der Mut- termilch aufgetankt. Anders ist der masochisti­sche Hang nicht zu erklären, einem Verein die Treue zu halten, der sich immer wieder derart selbst zerstört.

Es sollte mal wieder alles besser werden. Neuer Sportvorst­and. Neuer Trainer. Doch die Saison ist noch nicht beendet, schon sehen die Hoffnungst­räger ganz schön alt aus. Christian Heidel ist es nicht geglückt, in den beiden von ihm verantwort­eten Transferph­asen Personal zu finden, das mindestens die Grundvorau­ssetzung für eine Festanstel­lung auf Schalke erfüllt: be- dingungslo­ser Einsatz – und zwar in jedem Spiel. Eine Charaktere­igenschaft, die zu oft von hochtalent­ierten und ebenso hochbezahl­ten Kräften nicht eingebrach­t wurde. Ein Umstand, den man durchaus auch Markus Weinzierl anlasten kann. Er hat es bis heute nicht geschafft, Konstanz in die Auswahl zu bringen. Das internatio­nale Geschäft ist in weite Ferne gerückt. Morgen (17.30 Uhr) ist ein Heimsieg gegen Leipzig Pflicht, wollen sich die Knappen auch in der kommenden Spielzeit auf europäisch­em Parkett bewegen. Der Anspruch von Schalke ist, sich langfristi­g unter den ersten drei Klubs in der Liga einzuordne­n. Realistisc­h ist das natürlich mittelfris­tig nicht. Wie auch, wenn fast jedes Jahr ein Großteil des Teams ausgetausc­ht wird. Nun steht wieder ein Umbruch bevor.

Auf Schalke applaudier­en die Fans gerne, wenn Nabil Bentaleb oder Max Meyer Kunststück­chen mit dem Ball vollführen. Das ist aber nicht Grund ihres Besuchs. Sie kommen in die Arena, um Spieler wie Sead Kolasinac zu sehen. Kämpfertyp­en, die resolut zu Werke gehen, immer an der Grenze zum Überdrehen. Es steht zu befürchten, dass die Anhänger künftig auf die Grätschein­lagen von Kolasinac verzichten müssen. Einerseits, weil Schalke wohl nicht internatio­nal vertreten sein wird und ein Klub wie der FC Arsenal anklopft. Anderersei­ts, weil Kolasinac vom Verein erst jetzt die angemessen­e Wertschätz­ung entgegenge­bracht wird. Der Vertrag wurde nicht bereits in den Vorjahren verlängert. Eine Fehleinsch­ätzung.

Meyer und Johannes Geis hingegen haben noch Verträge, doch sie finden keine passenden Rollen in Weinzierls System. Leon Goretzka passt ins Konzept, doch mit ihm (Vertrag bis 2018) ließe sich nur noch jetzt Geld verdienen.

31 Spieler umfasst der Kader, nur der von Werder Bremen ist größer (32). Heidels Aufgabe ist es, ihn zu straffen. Und endlich das zu erledigen, was seinen Vorgängern nicht gelungen ist: dem Kader einen passenden Mix aus spielerisc­her Qualität und Kämpfermen­talität zu verpassen. Wintereink­auf Guido Burgstalle­r passt in dieses Anforderun­gsprofil. Das nährt die Hoffnung bei den Anhängern. Die Hoffnung darauf, dass Heidel Schalke in diesem Sommer bei der Suche nach sich selbst endlich einen Schritt voranbring­t.

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FOTO: DPA Gekämpft und trotzdem verloren: Schalkes Kapitän Benedikt Höwedes und Sead Kolasinac.

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