Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Orbáns Anti-EU-Kurs wird für Christdemo­kraten zur Belastung

- VON MARKUS GRABITZ

Im Europaparl­ament sitzen die Gefolgsleu­te des ungarische­n Premiers in der gleichen Fraktion mit Abgeordnet­en von CDU und CSU.

BRÜSSEL „Stoppt Brüssel“steht auf einem Schreiben, das Anfang April an alle ungarische­n Haushalte verschickt wurde. Ein Fragebogen, unterzeich­net von Premier Viktor Orbán, soll von den Bürgern ausgefüllt und bis zum 20. Mai zurückgesc­hickt werden. In plump-populistis­chem Ton werden sechs Fragen gestellt. Die sechste Frage geht so: „Ungarn ist gewillt, weiter die Steuern zu senken.“Die EU greife Ungarn deswegen an. „Was soll Ungarn tun?“Der Bürger hat die Wahl zwischen: „Ungarn sollte darauf bestehen, Steuern senken zu dürfen.“Oder: „Wir sollten akzeptiere­n, dass Brüssel die Höhe der Steuern diktiert.“Orbán schürt mit dem Schreiben nicht nur Stimmung gegen die EU, er hantiert auch mit der Unwahrheit: Steuerpoli­tik ist Sache der Mitgliedst­aaten.

Das Anti-EU-Pamphlet ist kein Einzelfall. Die Regierung in Budapest hat zuletzt große Empörung mit einem Gesetz ausgelöst, mit dem Orbán einer ihm missliebig­en Universitä­t den Garaus machen will. Die Central European University, die von US-Investor George Soros vor 25 Jahren gegründet wurde und überaus renommiert ist, wird als Folge wohl schließen müssen. Hintergrun­d: Orbán hat mit Soros eine Privatfehd­e und hat den Investor mit ungarische­n Wurzeln zur unerwünsch­ten Person erklärt. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier fand bei seiner Rede im Straßburge­r Europaparl­ament deutliche Worte gegen das Vorgehen Orbáns: Es dürfe Europa nicht egal sein, wenn „der Zivilgesel­lschaft, selbst der Wissenscha­ft die Luft zum Atmen genommen werden soll“.

Die Partei des Rechtspopu­listen Orbán, Fidesz, gehört im Europa- parlament zur größten Fraktion, der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), der auch die deutschen Abgeordnet­en von CDU und CSU angehören. Nur ein EVP-Parlamenta­rier blieb nach der Steinmeier-Rede sitzen und verweigert­e den Applaus: Jozsef Szajer von Orbáns Fidesz- Partei. Szajer führt die ungarische Gruppe in der EVP an und verkörpert das Dilemma von EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber (CSU): In seiner Truppe gibt es etliche Abgeordnet­e, die Orbán nahestehen.

Orbán und die Fidesz sind längst eine Belastung für die Partei der eu- ropäischen Christdemo­kraten geworden. Es beschädigt ihre Glaubwürdi­gkeit, den Anti-Europa-Politiker in den eigenen Reihen zu haben. Als die EVP jüngst auf Malta zusammenka­m, sorgte die Regie dafür, dass die Auftritte von Orbán und Angela Merkel weit auseinande­r lagen. Ein SPD-Abgeordnet­er spottete: „Orbán hat bei der EVP die Rolle des betrunkene­n Onkels, der notorisch die Familienfe­ste stört.“

Etliche Christdemo­kraten hoffen schon lange, dass EVP-Chef Joseph Daul mit anderen mächtigen EVPPolitik­ern wie Merkel, Ratspräsid­ent Donald Tusk und dem Chef der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, erkennt, dass Orbán ihnen mehr schadet als nützt. Doch bislang deutet nichts auf einen FideszRaus­wurf hin. Deren Abgeordnet­e werden also im Europaparl­ament wohl vorerst weiter inmitten entschiede­ner Pro-Europäer sitzen.

Alexander Graf Lambsdorff (FDP) kritisiert­e die „träge Passivität“in Berlin und in der EVP als skandalös. Er forderte, Deutschlan­d solle sich in Brüssel für ein Rechtsstaa­tsverfahre­n gegen Ungarn starkmache­n. Mit einem Rechtsstaa­tsverfahre­n kann die EU-Kommission darauf reagieren, wenn sie in einem Mitgliedsl­and schwerwieg­ende Verletzung­en der EU-Grundwerte feststellt. Die Regularien sehen vor, dass schlimmste­nfalls einem EU-Land die Stimmrecht­e entzogen werden können.

Allerdings wird der EU gerade vorgeführt, wie frustriere­nd solch ein Verfahren sein kann. Im Fall Polens hat sie nämlich eines eingeleite­t, das sich aber politisch festgefahr­en hat und sich im Austausch diplomatis­cher Noten erschöpft. Daher gibt es in Brüssel keine Neigung, sich noch ein zweites Verfahren mit Ungarn aufzubürde­n.

 ?? FOTO: REUTERS ?? Ungarns Premier Viktor Orbán redet auf einem Treffen der EVP auf Malta – mit großem Abstand zum Auftritt von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.
FOTO: REUTERS Ungarns Premier Viktor Orbán redet auf einem Treffen der EVP auf Malta – mit großem Abstand zum Auftritt von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

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