Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Leichtes Leben in der Weißen Stadt

- VON PHILIPP LAAGE

Das schöne Leben in Zeiten des Terrors – wie das geht? Die Menschen in Tel Aviv machen es vor. Die Lifestyle-Metropole ist liberal, leichtlebi­g, ausgelasse­n – ob das gut ist, darüber gehen die Meinungen auseinande­r.

Wenn Küchenchef Tomer Agai an das Tel Aviv vor gut zehn Jahren denkt, zieht er ein trostloses Fazit. „Es gab nur Falafel und Schawarma oder Michelin-Restaurant­s“, sagt der Besitzer des „Santa Katarina“. Das Lokal liegt eine Minute entfernt vom Rothschild-Boulevard, der repräsenta­tiven Prachtmeil­e. Die Luft weht lau an diesem frühen Abend. Obwohl Mittwoch ist, sind die Straßen voll mit Menschen, ebenso wie die zahlreiche­n Restaurant­s. Die Gastronomi­eSzene hat sich gewandelt. Die Zeiten, in denen es nur Fast Food oder Fine Dining gab, sind vorbei.

Im angesagten „Santa Katarina“bekommt man draußen keinen Tisch mehr. „Alles soll lässig und offen sein, nicht elitär und fein“, sagt Agai, 42, ein orientalis­cher Jude. Er hat sich hingesetzt, das Haar ist nach oben gewachst, der Vollbart angegraut, was ihm ausgezeich­net steht. Gleich geht es zurück in die Küche.

Als Kind liebte Agai das arabische Essen seiner Oma. Die Großeltern kamen aus Syrien, Ägypten, Marokko und dem Irak. Später kochte er in London und Paris für angesehene Chefs, dann kehrte er nach Israel zurück und eröffnete 2014 sein eigenes Restaurant. Agai verkörpert das kosmopolit­ische Tel Aviv, er hat es mitgeprägt.

Wenn man Israelis nach Tel Aviv fragt, sind sich fast alle einig. Die Stadt sei nicht Israel, sondern ein Land für sich, eine Blase. Ob dies nun gut oder verwerflic­h ist, darüber gehen die Meinungen weit auseinande­r. Tel Aviv steht für Zerstreuun­g und Lebenslust, für unpolitisc­hen Hedonismus. Man trifft seine Bewohner eher am Strand als in der Synagoge, Fragen der Mode sind den meisten wichtiger als die Auslegung der Thora. Womöglich ist genau das der Grund, warum Tel Aviv bei Europäern eine solche Trendstadt geworden ist.

Vor sieben Jahren kamen 60 Prozent aller Touristen mit organisier­ten Gruppenrei­sen nach Tel Aviv. Heute sind es nur noch 20 Prozent. Die Sicherheit­slage in Israel gilt als latent fragil, das schreckt die oft ältere Klientel der Kulturreis­enden ab. Doch insgesamt ist die Zahl der Besucher in Tel Aviv ziemlich konstant geblieben.

Heute zieht es vor allem junge Individual­reisende in die Mittelmeer­stadt, die Generation Billigflie­ger, die private Apartments auf Airbnb so selbstvers­tändlich bucht wie Hotelzimme­r und stets auf der Suche ist – nach den neuesten hippen Shops, Cafés und Bars.

Tel Aviv heißt auf Hebräisch „Hügel des Frühlings“. Korrekt ist aber Tel Aviv-Jaffa, beide Orte wuchsen zusammen, und somit ist Stadt quasi alt und jung zugleich. Alt, weil Jaffa im Süden eine der ältesten Siedlungen des Nahen Ostens ist. Neu, weil das eigentlich­e Tel Aviv erst 1909 gegründet wurde. Damals gehörte Palästina zum Osmanische­n Reich. Erst am 14. Mai 1948 – nach zwei Weltkriege­n, britischer Mandatsher­rschaft und dem Holocaust – rief der spätere Premiermin­ister David Ben-Gurion in der Independen­ce Hall den Staat Israel aus. Die arabischen Nachbarn erklärten sofort den Krieg.

Marwan Hashaw, 27, verdreht die Augen, wenn man

Doch natürlich gibt es religiöse Bruchlinie­n. Im Tel-AvivTeil der Stadt wohnen hauptsächl­ich Juden. Was diesen Teil der Stadt ästhetisch prägt, entstand in den 1930er Jahren. Geflohene jüdische Architekte­n aus dem Deutschen Reich errichtete­n ein Viertel mit 4000 Häusern im Bauhaus-Stil: die Weiße Stadt, Unesco-Weltkultur­erbe.

Jaffa ist anders, orientalis­ch. Die prächtige Muhammadiy­aMoschee erhebt sich unweit des Wassers. Die Altstadt mit ihren verwinkelt­en Gassen sieht aus wie das Klischee einer arabischen Medina, wenngleich alles sehr museal erscheint.

Unten am Hafen in Old-Jaffa, wo im 18. Jahrhunder­t die ersten Pilger im Heiligen Land von Bord gingen, sitzen die Menschen draußen. Noch geschäftig­er geht es aber jenseits der Stadtmauer­n zu, etwa auf dem stadtbekan­nten Flohmarkt. In den umliegende­n Gassen haben arabische Antiquität­enhändler genauso ihre Geschäfte wie die aufstreben­de Fashionsze­ne der Stadt. In Jaffa gibt es kleine feine Boutiquen, konvention­elle Mode eher in der Shenkin-Straße.

Manchmal wird das leichte, schöne Leben aber kurz vom Nahostkonf­likt unterbroch­en. 2014 flogen zuletzt Raketen aus dem Gazastreif­en auf die Stadt. Wenn der Alarm ertönt, bleiben den Menschen 60 Sekunden, um sich in Sicherheit zu bringen. Auch sonst wird Tel Aviv vom Konflikt nicht verschont. Erst im Sommer 2016 erschossen zwei Palästinen­ser im Viertel Sarona vier Israelis. Sie trugen Anzüge, bevor sie töteten, nahmen sie einen Drink. Einige Monate später wirkt der Ort so unschuldig und heiter, als wäre nie etwas passiert.

Die Strahlkraf­t Tel Avivs ist groß, gerade weil es von den Sorgen des übrigen Landes wie entkoppelt wirkt. Deshalb spotten viele Juden über Tel Aviv. „Sie sagen, Raketen fliegen auf uns, und ihr esst Suhsi“, erzählt Yael Schapira, 33, die Street-Art-Touren anbietet. Die Menschen feiern das Leben, obwohl sie das Chaos umgibt. Eine Haltung, an die man sich in Europa erst gewöhnen muss.

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FOTOS (3): PHILIPP LAAGE Tel Aviv ist für seinen Strand und seine Promenade berühmt – besonders im Sommer kommen hier Bewohner und Touristen zusammen, um zu schauen und gesehen zu werden.

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