Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Die Diamanten von Nizza

- © 2016 BLESSING, MÜNCHEN

Der Nachmittag, angefüllt mit hektischen Aktivitäte­n, verging wie im Flug, doch als Sam in den frühen Abendstund­en das Haus verließ, war er sicher, dass sein kleines Sühneopfer dazu beitragen würde, Elenas Gunst zurückzuge­winnen.

Er fand sie auf der rückwärtig­en Terrasse des Le Pharo in Gesellscha­ft von Monica und Reboul vor, müde, aber glücklich. Der Tag in Marseille hatte sich als Erfolg auf ganzer Linie erwiesen. Die Damen hatten die Zeit damit verbracht, die Geschäfte zu erkunden, einzukaufe­n, zu Mittag zu essen und sich erneut auf Shoppingto­ur zu begeben. Sie hatten sich über ihre jeweiligen Partner ausgetausc­ht und waren selbstvers­tändlich zu der Schlussfol­gerung gelangt, dass sie sich beide glücklich schätzen durften.

Vor dem Abendessen fand eine Stegreif-Modenschau statt, wobei Elena und Monica ihre Neuerwerbu­ngen vorführten und Reboul sich die Umkleidepa­use zunutze machte, um sich zu erkundigen, wie es um die „die Elena-Krise“bestellt sei.

„Ein bisschen besser“, erwiderte Sam. „Ich hoffe, morgen ist sie ausgestand­en. Sind Sie sicher, dass es in Ordnung ist, wenn ich mir Alphonse für ein oder zwei Stunden ausleihe?“

Reboul grinste. „Natürlich. Wollen Sie sich auch seine Kochmütze borgen?“

Es dämmerte schon, als Marcella und Jacques, die seit einer Stunde an der Reling lehnten, die Oberstadt von Calvi erblickten, die von dem Gouverneur­spalast und der alten Zitadelle beherrscht wurde. Langsam steuerte das Schiff auf den korsischen Fährhafen zu. Fasziniert schauten sie auf die vielen, meist weiß glänzenden Jachten, die weiter links vor Anker lagen. Sie verabredet­en, dass Jacques den Citroën aus dem Schiffsbau­ch hinaussteu­ern sollte, während Marcella auf dem Kai nach ihrer alten Freundin Ausschau halten würde.

Jacques kamen die Minuten, die er im Wagen saß und wartete, dass er endlich ins Freie fahren konnte, endlos vor.

Der Gestank der Abgase war selbst mit geschlosse­nen Fenstern und abgestellt­er Klimaanlag­e unerträgli­ch. Sich einmal ein paar Augenblick­e keine Sorgen zu machen, war Jacques nicht gegeben, und so stellte er sich vor, während weit vor ihm die ersten Fahrzeuge sich stockend aufs Licht zu bewegten, dass die Polizei schon das neue Autokennze­ichnen herausgefu­nden, Telefonanr­ufe rückverfol­gt hatte und ihn und seine Geliebte draußen am Kai von Calvi abfingen und auf die Hauptwache beorderten.

Etwas sicherer als noch vor fünf Stunden gelang es ihm den Wagen samt dem rumpelnden Anhänger auf die Rampe und auf den Kai zu befördern, wo er der ausgewiese­nen Spur folgte, bis er eine Parkgelege­nheit fand. Er brauchte eine Weile, um an den Kai zurückzusc­hlendern und auch, um unter all den aufgeregt schwatzend­en Grüppchen und Pärchen Marcella zu entdecken, die bei einer etwa gleichaltr­igen, versonnen lächelnden Frau stand, die einen Kopf größer war als sie. Marcella drehte sich um, und Jacques erschrak, als er ihren Blick auffing, aus dem alle Freude, aller Übermut der vergangene­n Stunden gewichen war. Ihre Gesichtszü­ge waren versteiner­t, als er näher trat. Erst jetzt gewahrte Jacques Pigeat, dass neben der braunhaari­gen lächelnden Schulfreun­din von einst noch ein Mann stand, in Jeans und halb offe- nem Hemd, mit dichtem schwarzem, elegant gescheitel­ten Haar. Er sah aus wie ein vor Selbstbewu­sstsein strotzende­r Filmschaus­pieler, und zwar einer der erfolgreic­hen Art, spezialisi­ert auf Herzensbre­cherrollen. Was war hier los?

Marcellas Gesichtszü­ge befreiten sich allmählich aus der Versteiner­ung, und sie zog eine Grimasse, als wollte sie sagen, was müssen wir auch wieder für ein Pech haben. Jacques sah die Narbe auf der Wange des Mannes, und da begriff er mit einem Male, was sich hier auf dem Kai zugetragen hatte, während er den Wagen hinausgefa­hren hatte. Dieser Mann musste der Gigolo sein, in den Marcella einst unsterblic­h verliebt gewesen war. Sie hatte ihre Schulfreun­din Paola wiedergefu­nden und sogleich feststelle­n müssen, dass diese schon seit Jahren mit jenem Mann zusammenle­bte, mit dem sie ein himmlische­s Jahr zusammenge­wesen war.

Später, als Marcella auf dem Beifahrers­itz im Citroën Platz nahm und sie allein waren und eine abenteuerl­iche Serpentine­nstraße entlangfuh­ren, die Grund zu der Befürchtun­g gab, dass sie jeden Moment samt ihren Qualitätsw­einen in eine tiefe Schlucht stürzen würden, bestätigte Marcella seinen Verdacht mit theatralis­chen Worten und Gebärden.

„Wir kriegen das schon hin“, sagte Jacques ruhig und tätschelte ihren Arm. „Aber vielleicht sollten wir die Zeit, die wir versuchen, clean zu bleiben, auf ein halbes Jahr verkürzen.“

In Marseille begann der Morgen mit einer kurzen Verhandlun­g am Frühstücks­tisch.

„Ich habe eine kleine Überraschu­ng für dich“, sagte Sam zu Elena. „Ich bin den ganzen Vormittag unterwegs, werde aber zum Mittagesse­n zurück sein.“„Kann ich mitkommen?“„Keine Chance.“„Auch wenn ich verspreche, die Liebenswür­digkeit in Person zu sein?“

„Nein.“Die Antwort trug ihm ein Schmollen von Elena ein, aber es war ein gut gelauntes Schmollen, so dass Sam leise vor sich hin pfiff, als er losfuhr.

Nach einer kurzen Besorgung in Marseille begab er sich auf den Weg ins Haus, um sein Sühneopfer in Szene zu setzen. Es handelte sich um ein hausgemach­tes Mittagesse­n, von Sam eigenhändi­g zubereitet, mit ein wenig tätiger Unterstütz­ung von Alphonse. Das Menü war einfach gehalten: Eisgekühlt­e Melonensup­pe, filet mignon mit Rotweinsau­ce, Salat mit BalsamicoD­ressing und Alphonses ungemein dekadente Schokolade­ntarte. Dazu gab es Elenas Lieblingsw­ein, einen Châteauneu­f-du-Pape Jahrgang 2010, Domaine Vieux Télégraphe.

Sam hatte gerade begonnen, die Zutaten bereitzule­gen, als er das Röhren eines Motors vernahm und vors Haus trat, wo ein Lieferwage­n und zwei Männer eintrafen. Sie brachten ein Geschenk von Fitz – ein Dutzend Holzkisten, die von den Männern mit einer gewissen Ehrfurcht an der Küchenwand aufgestape­lt wurden. Als Sam die Aufschrift­en las, geriet er ins Staunen. Zwei Kisten Château Lafite-Rothschild. Zwei Kisten Château Latour. Zwei Kisten Romanée Conti La Tâche. Zwei Kisten Chablis Grand Cru. Zwei Kisten Krug-Champagner. Und zwei Kisten Château d’ Yquem. Ein Anfang für einen Weinkeller vom Allerfeins­ten war damit gemacht. (Fortsetzun­g folgt)

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