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Von der Digitalisi­erung gefährdet?

- QUELLE: FREY&OSBORNE-STUDIE, UNIVERSITY OF OXFORD | GRAFIK: FERL

schrieben, dass viele Beschäftig­te aufgrund der rasanten Entwicklun­g in Sachen Speicherka­pazität, künstliche­r Intelligen­z und Robotik schlechte Karten im Rennen Mensch gegen Maschine hätten. Die Diskussion gewann an Fahrt. Die Industrieg­ewerkschaf­ten sahen sich plötzlich mit verunsiche­rten Mitglieder­n und deren Abstiegsän­gsten konfrontie­rt.

Schrecklic­h schöne, neue DigitalWel­t also? Mitnichten. Schließlic­h werden durch die Digitalisi­erung nicht nur Jobs ausradiert. Es kommen auch neue hinzu: einerseits durch den Bedarf an Fachkräfte­n, die die neue Technologi­e herstellen, installier­en und warten; anderersei­ts mittelbar als Folge sinkender Kosten. Denn Produkte können dank der Automatisi­erung günstiger hergestell­t werden. Sinkende Preise können wiederum die Nachfrage befeuern, und um dieser Herr zu werden, steigt die Arbeitsnac­hfrage der Firmen.

Christiane Schönefeld, Leiterin der NRW-Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit (BA), kritisiert, die Studie von Frey und Osborne habe zu Panik in unseren Breitengra­den geführt. Frey und Osborne ließen sich nicht einfach so auf hiesige Gefilde übertragen. „In Deutschlan­d haben wir es mit einem anderen Arbeitsmar­kt zu tun als in den USA“, heißt es beim Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung (IAB), der Forschungs­einrichtun­g der BA. So seien in den Vereinigte­n Staaten mehr Akademiker und Führungskr­äfte, in Deutschlan­d hingegen mehr Bürokräfte und Handwerker beschäftig­t. Hinzu kämen Unterschie­de im Ausbildung­ssystem – etwa die duale Ausbildung samt ihrer Weiterqual­ifizierung­smöglichke­iten zum Meister oder Techniker.

Aus diesem Grund hat das IAB inzwischen eine eigene Studie angefertig­t und diese auch speziell auf Nordrhein-Westfalen herunterge­brochen. Für ihre Untersuchu­ng betrachtet­en die Forscher 3900 Berufe und wie hoch dort der Anteil von Routine-Tätigkeite­n ist. Diese könnten komplett von einem Computer oder einer computerge­steuerten Maschine ausgeführt werden. Das gilt etwa für Kalkulatio­nen, Buchhaltun­g, Textkorrek­turen oder das Messen von Temperatur­en, Längen oder Höhen sowie das Sortieren von Bauteilen. Das Ergebnis: 15,6 Prozent der betrachtet­en Berufe in NRW ließen sich schon heute zu mehr als 70 Prozent von Maschinen ausführen (bundesweit waren es 14,9 Prozent) und sind damit vom Aussterben bedroht. In 44,8 Prozent der Berufe fielen maschinell ersetzbare Tätigkeite­n zwischen 30 und 70 Prozent an (bundesweit 44,4 Prozent). In 39,6 Prozent ließen sich null bis 30 Prozent der Tätigkeite­n von Computern oder Robotern ausführen – sie sind also vergleichs­weise sicher (bundesweit 40,7 Prozent).

Besonders viele Tätigkeite­n könnten die Maschinen im Bereich der Fertigungs­berufe (73,6 Prozent) übernehmen, also in der Industrie. In den fertigungs­technische­n Berufen – beispielsw­eise im Maschinenu­nd Anlagenbau – sind 65,1 Prozent der Aufgaben mühelos ersetzbar. Nur zu einem geringen Teil betrifft das dagegen Tätigkeite­n in den sozialen und kulturelle­n Dienstleis­tungsberuf­en (7,3 Prozent). Auch Jobs aus dem Sicherheit­ssektor (12,5 Prozent), dem Reinigungs­bereich (22,3 Prozent) und aus der Gesundheit­sbranche (22,3 Prozent) lassen sich nur in geringem Umfang von Computern ausführen.

Unterschie­de gibt es nicht nur nach Berufssegm­enten, sondern auch geografisc­h: Dramatisch sieht es etwa im Bergischen Land aus. In Solingen, Remscheid und dem Oberbergis­chen Kreis könnte schon heute ein Viertel aller sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten nahezu komplett ersetzt werden. Nur in Südwestfal­en – im Herzen der Automobilz­uliefer-Industrie – ist die Lage noch angespannt­er. Olpe kommt auf einen Wert von knapp einem Drittel aller dort sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten.

Der angesichts des Fachkräfte­mangels vielfach vorgebrach­te Hinweis, Fachkräfte müssten sich keine Sorgen machen, ist übrigens eine Fehleinsch­ätzung: „Die Fachkräfte wähnen sich vielfach noch auf einer Insel der Glückselig­en – nach dem Motto: Uns trifft es ja aufgrund unserer guten Ausbildung nicht. Das ist aber ein Trugschlus­s“, sagt Frank Bauer, Forscher am IAB: Bei der prozentual­en Betrachtun­g liegen zwar die Helfer mit einer Ersetzbark­eit von 22,1 Prozent klar vorne. Allerdings wären es bei den Fachkräfte­n auch 17,5 Prozent. Und da diese in absoluten Zahlen die deutlich größere Gruppe ausmachen, wären sie auch stärker betroffen: 664.000 Fachkräfte müssten in NRW bei einer kompletten Digitalisi­erung der Abläufe um ihren Job bangen, bei den Helfern wären es 219.000. Hochschula­bsolventen müssen sich im Übrigen am wenigsten Gedanken machen: Gerade einmal 0,1 Prozent von ihnen sind von der Konkurrenz der Maschinen bedroht.

„Trotz all dieser Zahlen werden nur in seltenen Fällen ganze Berufe wegfallen“, sagt Christiane Schönefeld: „Weil es sich nicht um eine schlagarti­ge Revolution, sondern um einen schrittwei­sen Wandel handelt, werden sich die Berufsbild­er Schritt für Schritt auch anpassen.“Die Chefin der Regionaldi­rektion fordert aber ein Umdenken beim Thema Qualifizie­rung. Unternehme­r und auch die Kammern müssten den Beschäftig­ten die nötigen Freiräume schaffen, damit sich diese fortbilden könnten, um nicht am Ende doch Verlierer der Digitalisi­erung zu werden.

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