Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Brexit schmiedet die Rest-EU zusammen

- VON GODEHARD UHLEMANN

Die 27 verbleiben­den EU-Mitglieder beschließe­n bei einem Sondergipf­el die Leitlinien für die Verhandlun­gen mit Großbritan­nien.

BRÜSSEL Das war ein seltener Moment, in dem die Europäisch­e Union Einigkeit zeigte. Keine Disharmoni­e dämpfte auf dem Sondergipf­el die Stimmung, keine gegenseiti­gen Verdächtig­ungen oder verbalen Ausfälle belasteten die Gespräche. Die Rest-EU beschloss am Samstag in Brüssel in Einmütigke­it die Leitlinien für den Austritt Großbritan­niens aus der EU. Das Ganze dauerte nur wenige Minuten. Doch niemand sollte sich täuschen – der enge und schnelle Schultersc­hluss ist eine Hoffnung und längst keine Gewissheit, dass sich die verblieben­en 27 EU-Staaten auch über den generellen künftigen Kurs ihrer Gemeinscha­ft einig sind.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel – wie auch EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk – lobten am Ende des Sondergipf­els alle Teilnehmer für die demonstrat­ive Einigkeit gegenüber Großbritan­nien. Nun wird die Kommission die Einzelheit­en ihrer Verhandlun­gsstrategi­e ausarbeite­n und den EU-Partnern zur Zustimmung am 22. Mai vorlegen.

Wenige Tage vor dem Brüsseler Stelldiche­in war EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker nach London geeilt, um die britische Position zu sondieren. Danach war er ernüchtert. Juncker verließ den Amtssitz von Premiermin­isterin Theresa May „zehnmal skeptische­r, als ich vorher war“. In Sachen Brexit konnte er keine britische Kompromiss­bereitscha­ft erkennen. Danach informiert­e der Luxemburge­r Kanzlerin Angela Merkel über seine Gespräche. Die Kanzlerin nahm es zur Kenntnis und warnte im Bundestag vor Illusionen, die sich die britische Regierung in Lon- don offensicht­lich über ihren EUAustritt mache.

Kernpunkt des Gerangels: Die EU will die Aufteilung der Austrittsg­espräche in zwei Phasen und eine rasche Einigung über die Schlussrec­hnung für Großbritan­nien nach mehr als 40 Jahren EU-Mitgliedsc­haft. Ihr geht es erst einmal um die Bedingunge­n der politische­n Scheidung von London. Theresa May sieht das Thema nicht als vordringli­ch an. Sie will von Anfang an auch über das von London gewünschte Freihandel­sabkommen für die Zeit nach dem Brexit verhandeln. Von Ausgleichs­zahlungen an die EU hält sie wenig bis gar nichts. Die in Brüssel kursierend­e Zahl von rund 60 Milliarden Euro löste in London nur Kopfschütt­eln aus.

Die Premiermin­isterin – so hieß es – wolle rasch die Rechte von rund 3,2 Millionen EU-Bürgern in Großbritan­nien und von rund 1,2 Millionen Briten in den Staaten der EU klären. Doch dann hieß es weiter, Sonderrech­te für die EU-Bürger werde es nicht geben, sie sollten genauso behandelt werden wie andere Drittstaat­ler auf der Insel. Den geeigneten Zeitpunkt zur Lösung dieses Problems sieht May offensicht­lich bereits auf dem EU-Gipfel im Juni. Dann hofft Theresa May politisch gestärkt in die Verhandlun­gen gehen zu können, denn die Premiermin­isterin hatte vorgezogen­e Unterhausn­euwahlen für den 8. Juni angesetzt. Sie setzt auf eine Stärkung ihrer konservati­ven Partei und damit auch auf eine Stärkung ihres Verhandlun­gsmandats.

Gestern erklärte die britische Regierungs­chefin in einem BBC-Interview: „Nichts ist vereinbart, bevor alles vereinbart ist.“So besteht daher auch die Möglichkei­t eines har- ten Brexit. Das bedeutet, dass nach zwei Jahren erfolglose­n Verhandeln­s Großbritan­nien aus der EU automatisc­h austräte und die politische­n und wirtschaft­lichen Beziehunge­n mit den Ländern einzeln verhandelt werden müssten.

Der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte sieht, dass hier die Briten ansetzen könnten, und meinte bereits warnend: „Die britische Regierung wird vielleicht alles tun, um die 27 Länder zu spalten. Wir sollten nicht in diese Falle gehen.“Sein belgischer Kollege Charles Michel stößt nach: „Wir brauchen Kreativitä­t, um die vielen Probleme zu lösen, mit denen wir konfrontie­rt werden.“Der scheidende französisc­he Präsident François Hollande sah angesichts der Einigkeit der EU-Partner auch eine Gefahr aufziehen, die nicht im Interesse der EU liegen kann. Die abtrünnige­n Briten sollten nicht bestraft werden.

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