Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
ANALYSE Bundesinnenminister
Thomas de Maizière hat mit seiner Skizzierung einer deutschen Leitkultur eine Debatte über die Werte unserer Gesellschaft entfacht. Doch ist die Diskussion eher das Symptom einer Krise.
Deutschland eine sehr gute Verfassung, ein im internationalen Vergleich ziemlich hohes moralisches Niveau und eine recht gut funktionierende Zivilgesellschaft. Grund dafür ist der Wohlstand, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Würde der Wohlstand schwinden, würden auch in Deutschland viele harte Konflikte aufbrechen, wie wir sie aus ungezählten anderen Ländern kennen“, sagte Precht gestern unserer Redaktion.
Vor diesem Hintergrund wird die Vaterlandsliebe auch für „aufgeklärte Patrioten“, wie sie de Maizière nennt, relativ. „Unser Land zu schätzen, bedeutet nun aber nicht, es lieben zu müssen“, so Precht. Schließlich habe schon der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann (1899–1976) auf die Frage, ob er sein Vaterland liebe, geantwortet, er liebe seine Frau. Was de Maizière über Patriotismus schreibt, ist nach Prechts Meinung „unnötig“.
Es gibt klügere Überlegungen als jene aus dem politischen, also interessengesteuerten Raum. Wie jene des Historikers Herfried Münkler. Danach soll oder kann als ein Deutscher verstanden werden, wer für sich und seine Familie durch Arbeit selbst sorgen kann und nur in Not- und Ausnahmefällen auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft angewiesen ist. Wobei neben der Selbstsorge der Leistungswille hinzukommt, also die Bereitschaft, durch eigene Anstrengung einen gewissen sozialen Aufstieg zu erreichen. Wichtig ist nach Münkler zudem die Überzeugung, dass religiöser Glaube eine Privatangelegenheit und die Entscheidung für eine bestimmte Lebensform samt der Wahl des Lebenspartners nicht von der Familie vorgegeben wird. Und schließlich: das Bekenntnis zum Grundgesetz.
Jede Wertedebatte ist gut und wichtig. Sie aber mit dem Klotz der „Leitkultur“zu belasten, erscheint Richard David Precht wie ein „Versuch, AfD-Wähler zurückzugewinnen“. Für eine politische Instrumentalisierung ist diese Debatte ungeeignet.