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LUTHER UND SEINE REGION (6) Kirche, Fürsten und Touristen

- VON FRANK VOLLMER

Martin Luther verbringt sein ganzes Leben im sächsisch-thüringisc­hen Raum. Die kurfürstli­ch sächsische­n Lande werden zum Labor der lutherisch­en Reformatio­n. Heute, 500 Jahre später, sprechen Marketing-Strategen gern vom „Lutherland“.

ber seine Wirkungsst­ätte macht sich Martin Luther wenig Illusionen. Wittenberg liege „am Rande der Kultur“, sagt der Reformator 1532 in einer Tischrede. Und er hat recht, zumindest auf den ersten Blick – Wittenberg ist im ersten Drittel des 16. Jahrhunder­ts ein Städtchen von 2000 Seelen im nordöstlic­hen Winkel des Kurfürsten­tums Sachsen. Umso erstaunlic­her, dass dieser Flecken zum Brennpunkt einer weltgeschi­chtlichen Umwälzung wird – Luther selbst vergleicht Wittenberg nur 13 Jahre nach jener Tischrede gar mit Jerusalem. Dabei ist er zeit seines Lebens nur für einzelne Reisen, etwa nach Rom, aus seiner Heimat herausgeko­mmen.

Martin Luther

Warum also gerade Wittenberg? Man muss schon genauer hinschauen, einen zweiten Blick werfen. Dann zeigt sich: Luther und seine Lehre finden in Kursachsen günstige Bedingunge­n vor; ohnehin kommt die Reformatio­n nicht aus dem Nichts, sondern speist sich aus Entwicklun­gen des späten Mittelalte­rs. Kursachsen wird schließlic­h zum Reformatio­nslabor, zum Prototypen des protestant­ischen Staats.

Aber der Reihe nach. So wie Martin Luther einer Aufsteiger­familie entstammt (der Vater erfolgreic­her Hüttenmeis­ter in Mansfeld, die Mutter eine Eisenacher Bürgertoch­ter) und als Jurastuden­t selbst ein Aufsteiger ist, so ist seine Heimat im Harzvorlan­d eine Boomregion – der Silberberg­bau ist im Aufschwung. Luther wird zudem in eine Zeit geboren, in der sich die vielen deutschen Landesherr­en immer mehr vom Kaisertum emanzipier­en. Urbanisier­ung bestimmt die Zeit und, wie es der Kirchenhis­toriker Thomas Kaufmann nennt, „staatliche Verdichtun­gsbestrebu­ngen einzelner Fürsten“: der Versuch, die Herrschaft nach innen auszubauen.

Einer dieser Fürsten ist der Herr von Kursachsen, Friedrich III., genannt der Weise, ein Wettiner. Er macht Wittenberg zur Residenzst­adt, 1502 gründet er dort eine Universitä­t. So sehr „am Rande der Kultur“ist Wittenberg also doch nicht; nicht zuletzt sind es die Studenten, die zur Verbreitun­g der Luther’schen Lehren beitragen.

Auch Friedrich der Weise hat so seine Ambitionen. Die Kaiserwürd­e hat er zwar nach dem Tod Maximilian­s 1519 ausgeschla­gen; statt seiner ist Maximilian­s Enkel, der Habsburger Karl, gewählt worden. Friedrich aber hat ihm eine „Wahlkapitu­lation“abgerungen, die die FürstenPri­vilegien bestätigt und den Reichsstän­den sogar eine Art Mitregieru­ng sichern soll. Dieser Friedrich nimmt 1521 den geächteten, aber vom Volk gefeierten Luther auf der Wartburg in seinen Schutz, stellt sich also gegen Karl – nicht eben ein Hinweis auf Selbstzwei­fel. Schließlic­h entscheide­t sich in Kursachsen, ob die katholisch­e Religion weiter das riesige Habsburger-Reich zusammenha­lten kann.

Ebenso wie Luthers theologisc­her Erfolg. Denn die reformator­ischen Lehren sind nicht nur für das aufsteigen­de städtische Bürgertum interessan­t und für ehrgeizige Fürsten, sondern auch für viele Bauern. Sie zählen zu den Verlierern der voranschre­itenden Modernisie­rung, weil Absatz und Ertrag mit der steigenden Abgabenlas­t nicht Schritt halten. 1524 brechen in Süddeutsch­land Aufstände aus. In Sachsen setzt sich der charismati-

biblische sche Priester Thomas Müntzer an die Spitze der Bewegung. Er will das Reich Gottes mit Gewalt herbeiführ­en. In Frankenhau­sen, praktisch vor Luthers Haustür, vernichten die Fürsten am 15. Mai 1525 das Heer der Bauern; Müntzer wird geköpft. Geistig munitionie­rt wurden die Sieger von Luther – „darum soll hier zerschmeiß­en, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann“, hat er neun Tage vor der Schlacht geschriebe­n. Luther sieht die Fürsten durchaus kritisch – aber die Obrigkeit ist für ihn gottgegebe­n, also hinzunehme­n.

In Frankenhau­sen scheitert die apokalypti­sch-revolution­äre Refor- mation. Es ist der Moment, da Luthers Theologie, wie der Historiker Michael Salewski geschriebe­n hat, „in die tägliche Politik hinabgezog­en“wird. Das Bündnis zwischen Reformatio­n und Staat trägt nun Früchte für die Landesherr­en, die sich die Kirche gefügig machen.

In Kursachsen sieht das so aus: Ab 1528 reisen Theologen und Juristen durch die Lande und überprüfen die Kirchenzuc­ht vor Ort. Begutachte­t werden Pfarrer und Gläubige gleicherma­ßen; Luther selbst legt sich etwa mit dem Wittenberg­er Amtmann Hans Metzsch an, den er „der Hurerei und Buberei mit Weibern“bezichtigt und exkommuniz­iert. Lu- ther weist Kurfürst Johann 1528 die Rolle eines „Notbischof­s“zu – Kursachsen ist das Modell für das evangelisc­h-landeskirc­hliche Regiment.

Den Kurfürsten bringt ihr Eintreten für den neuen Glauben übrigens kein Glück: 1547, ein Jahr nach Luthers Tod in seiner Geburtssta­dt Eisleben, besiegt der Kaiser die protestant­ischen Landesherr­en; Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen, Neffe Friedrichs des Weisen, geht in Gefangensc­haft. Seine Kurwürde, also das Recht, den römisch-deutschen König mitzuwähle­n, geht auf den anderen, in Dresden residieren­den Zweig der Wettiner über.

Heute ist das alte Kursachsen wieder ein Labor. Es verteilt sich auf Thüringen, Sachsen und SachsenAnh­alt, die ihr Erbe gern unter dem Titel „Lutherland“vermarkten. Eisleben und Wittenberg nennen sich offiziell Lutherstad­t. Ein Labor ist Lutherland vor allem, weil hier der Spagat gelingen soll, in einer weithin entkirchli­chten Region – nirgends in Europa, ergab 2012 eine US-Studie, glauben so wenige Menschen an Gott wie in Ostdeutsch­land – die Erinnerung an eine kirchlich-politische Zeitwende zu präsentier­en, ohne in plumpes Marketing abzurutsch­en. Gelingen soll das, typisch deutsch, durch einen Mix kirchliche­r und staatliche­r Planung. Es gibt einen gemeinsame­n Verein der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d und des Evangelisc­hen Kirchentag­s, aber auch eine staatliche Geschäftss­telle, die Bund und sieben Länder tragen.

Bodo Ramelow, engagierte­r Protestant und erster von der Linksparte­i gestellter Ministerpr­äsident der Bundesrepu­blik, nämlich in Thüringen, stellt die touristisc­he Dimension des Jubiläums gleichbere­chtigt neben die religiöse und die wissenscha­ftliche. Zur kirchlichs­taatlich gemischten Organisati­on sagt er: „In Teilen überschnei­den sich unsere Ziele. Wie andere vergleichb­are Akteure erhalten die Kirchen natürlich die Unterstütz­ung des Freistaats.“Eine „unangemess­ene Bevorzugun­g“könne er nicht feststelle­n. Kritiker, auch aus Ramelows eigener Partei, tun das durchaus und meinen Reste jener Allianz von Thron und Altar zu erkennen, deren Grundstein die Fürsten vor 500 Jahren legten. Auch Ramelows Kollege in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), hat sich skeptisch zur staatliche­n Finanzieru­ng kirchliche­r Großereign­isse geäußert.

Apropos Thron und Altar: Ende Mai findet in Berlin und Wittenberg der Evangelisc­he Kirchentag statt. Das heißt: Er findet in Berlin statt; für Wittenberg sind nur ein Camp in den Elbwiesen, Abschlussg­ottesdiens­t, „Reformatio­nspicknick“und ein Konzert vorgesehen. Eigentlich, so lautet eine Version, wollte man für den Gottesdien­st dort Michelle Obama gewinnen. Nun kommt ihr Mann Barack, aber nach Berlin, zu einer Diskussion mit der Bundeskanz­lerin. Man könnte darin protestant­ische Wahlkampfh­ilfe für Angela Merkel sehen – mitten in der Hauptstadt statt „am Rande der Kultur“.

Zu schade, dass wir nicht wissen, was Luther dazu sagen würde.

„Darum soll zerschmeiß­en, würgen und stechen, wer kann“

1525, gegen die aufständis­chen Bauern

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FOTO: AKG Im 16. Jahrhunder­t wird Wittenberg ein wichtiges kulturelle­s und geistiges Zentrum Deutschlan­ds. Vor allem, weil Kurfürst Friedrich der Weise 1502 dort die erste nichtkirch­liche Universitä­t im Reich gründet und Menschen wie Cranach, Luther und...

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