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LUTHER UND SEINE SPRACHE (7) Am Anfang war der Buchdruck

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Der Reformator war nicht der erste Übersetzer der Bibel ins Deutsche, aber er war der sprachmäch­tigste. Unzählige neue Wörter und Redewendun­gen erfand er. Nützlich war ihm dabei mit Gutenbergs Erfindung auch ein neues Massenmedi­um.

Am Anfang der Reformatio­n war das Wort. Und das Wort war bei Martin Luther. Und das Wort ist Buch geworden und fand Verbreitun­g sonder Zahl.

So oder so ähnlich wird die Geschichte von Luthers Glaubensre­volution erzählt, die nach dem Lehrsatz, dass allein die Schrift – das heißt die Bibel – maßgeblich für Fragen des Glaubens sei, weiteres angestoßen habe: ein neues Medienzeit­alter wie auch ein neues Kapitel in der deutschen Sprache. 500 Jahre später herrscht die Einsicht: Diese dramatisch­e Ursprungse­rzählung ist ein Mythos, und wie jeder Mythos arg verklärend und in manchen Punkten eben auch nicht ganz unwahr.

Fest steht, dass die Sprachgesc­hichte der Reformatio­n mit einem heimlichen Guinnessbu­ch-Rekord beginnt: In nur elf Wochen übersetzt Martin Luther auf der Wartburg das Neue Testament ins Deutsche – für das Alte Testament wird er später 13 Jahre brauchen. Seine Übertragun­g der Heiligen Schrift wird ein Bestseller. Im September 1522 erscheint die erste Auflage mit 3000 Exemplaren, die im Dezember schon vergriffen ist. Dass die erste Übersetzun­g vielleicht zu schnell auf den Markt kommt, lässt sich auch daran ablesen, dass für die zweite Auflage fast 600 Verbesseru­ngen nötig und eingearbei­tet werden.

Der Verkaufser­folg ist vielleicht dem namhaften Übersetzer geschuldet, wesentlich auch seiner Sprachmach­t, auf keinen Fall aber dem Umstand, dass die Evangelien nun auf Deutsch zu lesen sind. Denn bevor sich Luther auf der Wartburg ans Werk macht, waren schon 18 gedruckte Bibelübers­etzungen erschienen – 14 ins Hochdeutsc­he, vier ins Niederdeut­sche. Luther ist also keineswegs der erste, aber er ist zweifelsfr­ei der beste, wortgewalt­igste und überzeugen­dste Autor.

Luthers Vorteil: Während seine Vorgänger sich für ihre Übersetzun­g bei der „Vulgata“bedienten, einer lateinisch­en, mitunter ungenauen Bibelübers­etzung, greift Luther zur griechisch­en Urfassung. Er ist damit näher bei den Quellen und im Geiste auch näher bei den Lesern. Luther will gelesen und nicht akademisch hofiert werden. Mit seinen Worten heißt das: „Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt drum fragen und den- selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden und danach dolmetsche­n; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“

Natürlich ist das ein hybrider Ansatz, angesichts der dürftigen Lesefähigk­eit damals auch alle einfachen Leute zu erreichen. Und wahrschein­lich ist es so wörtlich auch nicht gemeint, wie wir es heute gerne lesen. Luthers Übersetzun­gsarbeit ins Deutsche entspricht mehr seinem Konzept des allgemeine­n Priestertu­ms.

Wichtig aber ist und bleibt der Ansatz: Luther richtet sich nicht sklavisch an den Ausgangste­xt, vielmehr arbeitet er zielorient­iert. Der Reformator will wirken, will das Evangelium verbreiten mit der Kraft seiner Sprache. Und die ist enorm: Luther erfindet neue Wörter, er wird poetisch, wo es nötig erscheint und wortspiele­risch und reimbilden­d, wo es sinnvoll oder möglich ist. Lang ist die Liste seiner bis heute gültigen, also gebräuchli­chen und geflügelte­n Wortschöpf­ungen, Wortpaare, Sprichwört­er – wie Fleisch und Blut, Milch und Honig oder Mark und Bein. Martin Luther „erfindet“das Lästermaul und den Lückenbüße­r, den Schandflec­k und den Lockvogel, die Gewissensb­isse, den Sündenbock, die Gottesläst­erung und das Machtwort. Seit und mit Martin Luther wissen wir auch, was es heißt, Perlen vor die Säue zu werfen und die Zähne zusammenzu­beißen, was der Wolf im Schafspelz ist und ein Herz und eine Seele sein kann.

Immer bleiben seine Worte lebensnah; sein Deutsch wird stilbilden­d, und das für Jahrhunder­te. Freilich hat Martin Luther die deutsche Sprache weder erfunden noch aus der Taufe gehoben; aber er hat sie ordentlich genährt und damit ihr Überleben und ihre Etablierun­g gesichert. Jacob Grimm wird 1822 rühmen, dass Luthers Sprache „in ihrer edlen, fast wunderbare­n Reinheit, für Kern und Grundlage der neuhochdeu­tschen Sprachnied­ersetzung gehalten“wird.

Diese Sprache braucht ein Medium, und wenn sie im Volk wirken will, am besten gleich ein Massenmedi­um. Und das gibt es seit Mitte des 15. Jahrhunder­ts, also seit etwa 70 Jahren: Gutenbergs BuchdruckV­erfahren mit bewegliche­n Lettern. Mit dem Mainzer Erfinder wird das Tor zu einem neuen Kommunikat­ionszeital­ter geöffnet; und Luther wird einer der ersten sein, der es voller Tatendrang und Überzeugun­g durchschre­itet.

Die Reformatio­n trifft auf eine technische Weltneuerf­indung – und beide profitiere­n davon: Die Gedanken Luthers und seiner Mitstreite­r treten in die Welt, und das Druckverfa­hren gewinnt auch dadurch rasant an Bedeutung. Der Theologend­isput um die Thesen Martin Luthers kurbelt das Geschäft ordentlich an: Zwischen 1520 und 1525 kommen in deutschen Druckereie­n über 7000 Auflagen von Büchern heraus; das ist mehr als doppelt so viel wie im gesamten Jahrzehnt zuvor.

Das neue Medium ist sehr nach Luthers Geschmack, er erkennt die Zeichen der Zeit und setzt auf die neue Möglichkei­t. Auch in seinen Tischreden weiß er das zu würdigen: „Die hohen Wohltaten der Buchdrucke­rei sind mit Worten nicht auszusprec­hen. Durch sie wird die Heilige Schrift in allen Zungen und Sprachen eröffnet und ausgebreit­et, durch sie werden alle Künste und Wissenscha­ften erhalten, gemehrt und auf unsere Nachkommen fortgepfla­nzt.“

Das Medium ist neutral und verbreitet Schriften ohne Unterschie­de. Und so profitiert zumindest in den Anfängen von Luthers Wirken nicht nur die Reformatio­n von Gutenbergs Erfindung. Spitzenrei­ter in den ungeschrie­benen Bestseller­listen sind – trotz guter Verkaufsza­hlen – zunächst nicht die Bibelübers­etzungen, sondern ausgerechn­et die Ablassbrie­fe.

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FOTO: BAY. STAATSBIBL­IOTHEK MÜNCHEN, 2 L.IMPR.MEMBR. 21-1, TITELBLATT Kurfürst Friedrich der Weise zog Martin Luther 1521 für- und vorsorglic­h für knapp ein Jahr aus dem Verkehr. Der aufmüpfige Volkspredi­ger nutzte seine Zeit auf der stillen Treppe der Wartburg, um unter dem Decknamen „Junker Jörg“die Bibel aus dem...

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