Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Aufkleber-Wahn

- VON NICOLE KAMPE

Ein 75-jähriger Niederkass­eler kämpft seit Jahren gegen illegale Plakat- und Stickerwer­bung. Täglich geht er auf die Straße und entfernt Aufkleber. Er will anonym bleiben, aus Angst vor Anfeindung­en.

Am Belsenplat­z kleben sie, die Ampel an der Duisburger Straße ist voll, Friedrichs­traße, Nordstraße, Königsalle­e – überall sind sie zu sehen, die Sticker und Aufkleber, von Plattenbör­sen und Parteien, von Privatpers­onen, Künstlern und Fußballfan­s, Werbe-Kleber und solche, die witzig sein sollen. Es gibt Menschen, die stört das nicht. Andere aber ärgern sich darüber. Seit Jahren dokumentie­rt ein 75 Jahre alter Niederkass­eler die illegal angebracht­en Sticker, schickt Fotos an das Ordnungsam­t, entfernt Aufkleber. Die Initiativg­ruppe contra Stadtverwa­hrlosung – kurz ICS – hat er gegründet, „es ist eine Ein-Mann-Aktion“, sagt er. Der Mann will anonym bleiben, aus Angst vor Anfeindung­en. „Hinter manchen Klebern stecken politisch Radikale, Ultras“, sagt er.

Seit 40 Jahren wohnt der Rentner im Linksrhein­ischen, „ein großer Glücksfall“, wie er findet. Den Verwahrlos­ungstenden­zen wollte er etwas entgegense­tzen. Früher waren es vor allem illegal angebracht­e Plakate, die ihn störten. „Ich denke, das Ordnungsam­t hat reagiert“, sagt er. In Oberkassel gebe es nur noch selten illegale Werbeaktiv­itäten. „Anscheinen­d hat sich unter den schwarzen Schafen herumgespr­ochen, dass Plakatiere­n in Niederund Oberkassel vergeblich ist und nur Ärger einbringt“, sagt der Mann.

Mit den Stickern aber sei es schwierige­r, denn ein Verursache­r ist in den meisten Fällen nur selten zu ermitteln. Deswegen zieht der 75-Jährige los und entfernt die Kle- ber, in der Hoffnung, „dass ein notorische­r Sticker-Kleber ins Grübeln geraten wird, wenn er nach spätestens zwei Tagen seine Sticker nicht mehr vorfindet“. Seit einem guten Jahr hat der Mann stille Mitstreite­r, „offenbar bin ich nicht der Einzige, den das stört“, sagt er. Verschiede­ne Gruppen hat der Rentner schon angeschrie­ben, zum Beispiel die Jusos, die Jugendorga­nisation der Sozialdemo­kraten. „Was die Qualität der Sticker betrifft, wart ihr nicht zimperlich: dicke Folie mit aggressive­r Klebeschic­ht“, schreibt er in einer Mail an die Jusos. „Über die Langzeitwi­rkung eurer Sticker habt ihr euch erkennbar viele Gedanken gemacht: Die Hausbesitz­er, an deren Regenfallr­ohre ihr in drei Metern Höhe den Sticker geklebt habt, werden bestimmt lange an euch und euer politische­s Programm denken“, schreibt der ICS-Mann weiter.

Thomas Peußer ist Vorsitzend­er der Jusos Düsseldorf, und er hat schnell reagiert auf die Anfrage unserer Zeitung, obwohl er aktuell sehr stark im Wahlkampf eingebunde­n ist. „Die Fremdverwe­ndung derartiger Sticker, die, jedenfalls bei uns, als Giveaways an sämtlichen Ständen kostenfrei erhältlich sind, lässt sich defacto nicht kontrollie­ren.“Das bestätigt Sebastian Veelken vom Ordnungsam­t. „Es ist oft schwierig, für den konkreten Fall des Beklebens einen Täter festzustel­len“, sagt er. Dabei ist das Bekleben öffentlich­er Einrichtun­gen verboten. So steht es in der Düsseldorf­er Straßenord­nung, und je nach Material und Anbringung ist es sogar eine Straftat. 35 Euro Bußgeld drohen beim ersten Vergehen, Wiederholu­ngstäter zahlen mehr. „Wir müssen uns immer fragen, inwieweit wir denjenigen verantwort­lich machen können, der hinter dem Sticker steckt“, sagt Veelken.

Häufig seien solche Anzeigen nicht, dafür habe es in der letzten Zeit beim Ordnungsam­t „recht umfangreic­he Anzeigen gegeben“, sagt Sebastian Veelken. Die Fälle, die bei der Behörde eingegange­n sind, würden ordnungsge­mäß geprüft. Vor allem stark publikumsf­requentier­te Straßen seien betroffen, sagt Veelken.

Kauzig oder verschrobe­n sei er nicht, sagt der Rentner, er verlangt einfach nur ein bisschen mehr Wertschätz­ung von seinen Mitmensche­n für die Stadt, die Umwelt und das Eigentum anderer.

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Der Aufkleber „Rettet das Vinyl“ist in der ganzen Stadt zu finden.
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Auf einem Laternenma­st vor dem Steigenber­ger kleben Sticker.

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