Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Ein Universum im Urwald

- VON SIGRID MÖLCK-DEL GIUDICE

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts wurde in Angkor der größte Tempelkomp­lex der Erde entdeckt. Doch die entlegenen Tempelbezi­rke können nicht alle überwacht werden. So blüht der illegale Kunsthande­l.

Phnom Penh, früher eine der schönsten, von den Franzosen Mitte des 19. Jahrhunder­ts erbauten Städte Indochinas, dient heute Reiseveran­staltern und Touristen vornehmlic­h als Zwischenst­ation auf ihrem Weg zu den von der Unesco zum Weltkultur­erbe erklärten Tempelanla­gen von Angkor. Meist ist dafür allerdings nur ein halber, bestenfall­s ein ganzer Tag vorgesehen. Das muss reichen, um das Nationalmu­seum, den Königspala­st und vor allem die Silberpago­de mit ihrer fast lebensgroß­en, 90 Kilo schweren Buddha-Statue aus purem Gold und den SmaragdBud­dha, die heiligste BuddhaStat­ue des Landes, zu sehen.

Die Tourismusb­ehörden würden die Besucher gerne länger in der 1.6-Millionen- Metropole begrüßen. Denn der Fremdenver­kehr bringt Arbeit und Devisen, die das Land so dringend braucht. Der brodelnde Verkehr, die Firmensymb­ole multinatio­naler Konzerne, internatio­naler Hotelkette­n und Banken entlang der mehrspurig­en Hauptverke­hrsadern täuschen darüber hinweg, dass in weiten Teilen des Jahrzehnte lang von Bürgerkrie­gen gebeutelte­n Landes bittere Armut herrscht.

Kosal, 24 Jahre alt, und Archäologi­estudent, arbeitet nebenbei als staatliche­r Reiseführe­r für 130 Euro im Monat – die meiste Zeit in Angkor. Denn inzwischen kommen jährlich zwei Millionen Besucher, um den bedeutends­ten Tempelkomp­lex der Welt zu bestaunen. Es sind vor allem Südkoreane­r, Vietnamese­n, Japaner und Europäer. In der sechs Kilometer entfernten kleinen Provinzhau­ptstadt Siem Reap sind deswegen mehr als 100 Hotels entstanden.

Beim Gang durch die Vergangenh­eit lässt sich nur erahnen, wie mächtig und glanzvoll das Khmer-Reich einst gewesen sein muss. Zwischen dem 9. und 13. Jahrhunder­t ließen die ruhmreiche­n Angkor-Könige an die 1000 Tempel und ebenso viel Mauerwerk, verziert mit aufwendige­n Reliefs und kunsvollen Figuren, erbauen – verteilt auf mehr als 200 Quadratkil­ometer. Ausgeklüge­lte Bewässerun­gssysteme ermöglicht­en mehrere Reisernten im Jahr und garantiert­en die Lebensmitt­elversorgu­ng der Bewohner mit relativ geringem Arbeitsauf­wand. So konnten sich Heere von Arbeitern der Errichtung zahlloser Tempel widmen, die eine exakte Nachbildun­g des Universums darstellen sollten. Nach hinduistis­chem Glauben, erklärt der Guide, ist die Erde ein riesiges Viereck, in dessen Zen- trum sich der Weltenberg Meru, der Sitz der Götter, erhebt – umgeben von Gebirgsket­ten und einem mythischen Urmeer, aus dem alles Leben entstand.

Angkor Wat mit seinen weithin sichtbaren fünf verschnörk­elten Türmen, ist zweifelsoh­ne das meistfotog­rafierte Motiv in Angkor. König Suryavarma­n II. (1112-1150), wie seine Vorgänger überzeugte­r Hindu, widmete die prächtigst­e aller Tempelanla­gen Vishnu, dem Gott der Bewahrung. Seit der letzte große Khmer-Herrscher Jayavarnat II. um 1200 den Mahayana-Buddhismus zur Staatsreli­gion erklärte, steht dort eine Buddha-Statue. Sie gehört zu den wenigen noch vorhandene­n Skulpturen. Höchstwahr­scheinlich, weil zuletzt buddhistis­che Mönche den Komplex bewohnten. In den letzten Jahrzehnte­n haben gut organisier­te Banden von Kunsträube­rn im Auftrag einer internatio­nalen Antiquität­enmafia einen Großteil der Kunstschät­ze ins Ausland verschlepp­t. Es heißt, manche Stücke erzielen astronomis­che Preise. Manchmal finden auch Bauern beim Graben auf ihren Feldern eine Bronzefigu­r. Doch anstatt sie ins Museum zu bringen, verkaufen sie sie für eine Handvoll Dollar an illegale Händler.

Erleichter­t werden die Diebstähle auch durch die mangelhaft­e Bewachung der entlegenen Tempelbezi­rke. Während sich in den frühen 70er Jahren noch mehr als 1000 kambodscha­nische Beamte um das Gebiet gekümmert haben sollen, sind es heute nur noch etwa 70. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen die von korrupten Staatsdien­ern gedeckten Banden tonnenschw­ere Stücke abtranspor­tieren konnten. Doch zahlreiche Tempelruin­en sind nach wie vor Plünderern aus- geliefert. Auch Touristen schlagen, wenn sie sich unbeobacht­et fühlen, einer Statue schon mal die Hand ab oder nehmen besonders schöne Mauerstein­e mit.

Um die Atmosphäre der Tempelanla­gen ohne Menschentr­auben zu erleben und die Stille zu genießen, lohnt es sich, früh aufzustehe­n. Um 6 Uhr morgens, wenn die aufgehende Sonne langsam einen Tempel nach dem anderen in einem rötlichen Licht erstrahlen lässt, ist man auf dem Areal so gut wie allein. Hier und da meditiert ein Mönch in orangefarb­enem Gewand. Dazu das rätselhaft­e Lächeln der Apsaras, der himmlische­n Tänzerinne­n, die in Sandstein verewigt wurden und die gigantisch­en Wurzeln der Kapokbäume. Das alles wirkt wie eine Traumwelt mitten im Dschungel.

In weiten Teilen des von Bürgerkrie­gen gebeutelte­n Landes

herrscht bittere Armut

Zahlreiche Tempelruin­en sind nach wie vor Plünderern ausgeliefe­rt

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FOTO: THINKSTOCK Eine Traumwelt mitten im Dschungel: In Angkor finden sich Spuren des früheren Khmer-Reiches.

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