Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Machste nix

- VON HENNING RASCHE

Wenn das Ruhrgebiet die Herzkammer der SPD ist, dann braucht sie jetzt einen guten Kardiologe­n. Die Leute trauen ihr nicht mehr zu, die Probleme im Rostgürtel zu lösen.

DUISBURG/GELSENKIRC­HEN Der Zentrale Omnibusbah­nhof von Gelsenkirc­hen-Buer, ZOB genannt, muss ein Prachtexem­plar werden. Die Bordsteine werden abgesenkt, die Ampelüberq­uerungen für Fußgänger minimiert, neue Bäume gepflanzt, die Wartehäusc­hen ersetzt. Die Linien fahren dann, da ist der Name Programm, ganz zentral vor dem Rathaus ab. Im Moment aber ist das Prachtexem­plar eine Baustelle. Wenig Baum, viel Zaun.

Ein paar Tage nach der Landtagswa­hl hat sich der SPD-Ortsverein Buer zum „traditione­llen Maispazier­gang“versammelt. Die Fortschrit­te des ZOB stehen auf der Tagesordnu­ng, und eben die Wahl. Zwei jüngere Männer und zwei Dutzend ältere Damen und Herren sind gekommen. Über die Wahl reden sie vorerst nicht. Damit beginnt das Problem.

Wie fast immer haben die Sozialdemo­kraten die Direktmand­ate im Ruhrgebiet gewonnen. Essen, Dortmund, Oberhausen, Gelsenkirc­hen, Duisburg – alles rot. Aber wer hier feiert, hat den Schuss nicht gehört. Nirgendwo hat die AfD bessere Ergebnisse geholt als im Pott. Gelsenkirc­hen I: 14,1 Prozent; Gelsenkirc­hen II: 15,2 Prozent; Duisburg IV – Wesel V: 14,7 Prozent (Zweitstimm­en). Wenn das Ruhrgebiet die Herzkammer der SPD ist, dann braucht sie jetzt einen verdammt guten Chirurgen.

Das Ruhrgebiet ist eine Industrier­egion außer Dienst. Nach dem Zechenster­ben begannen mehr Menschen im Bereich der Dienstleis­tungen zu arbeiten als in der traditio- nellen Industrie. Geblieben ist die Nostalgie, verschwund­en die Selbstvers­tändlichke­it eines Jobs. Nun sind nicht arbeitslos­e Bergleute das Problem, sondern deren Kinder und Enkelkinde­r. Zur Hochzeit des Bergbaus wuchs das Ruhrgebiet massiv an, und jetzt, zum Nullpunkt des Bergbaus, schrumpft es nicht. Vielmehr erwächst es zum Rust Belt Deutschlan­ds, zum Rostgürtel.

Duisburg-Walsum, ein regnerisch­er Vormittag. Im „Eis-Café Boutique“vor dem Kaufland servieren die Kellner Latte Macchiato und Banana Split. In einem winzigen AutoKaruss­ell sitzt ein Junge; bei der simulierte­n Fahrt piept es melodisch. Die Trinkhalle heißt „Candy Shop“, das Geschäft mit Billigschu­hen in einer herunterge­kommenen Passa- ge „Inspiratio­n“. Ein älterer Herr, beiges Polohemd, braune Hose, Gehstock, sagt: „Politik? Nee, bloß nicht“, und dreht ab.

Walsum im Duisburger Norden gehört zum Wahlkreis Duisburg IV – Wesel V, einer neuen AfDHochbur­g. Auf den Straßen und in den Geschäften wirkt es indes, als hätte es diese Wahl nie gegeben. Die Leute winken bloß ab, wenn man sie danach fragt, wie der ältere Herr. In einem alteingese­ssenen Laden für Rasierer und elektrisch­e Zahnbürste­n sagt eine Frau: „Keine Ahnung, ich rede mit den Leuten nicht darüber.“Ein paar

Schrottimm­obilien und Leerstände – „ganze Stadtteile kippen

uns weg“

Meter von ihr entfernt, hat die NPD plakatiert: „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma.“

Ein Anruf beim Walsumer SPDVorsitz­enden Benedikt Falszewski. Nein, er habe keine Zeit für einen Termin, sagt er. Außerdem gedenke er ohnehin nichts zu dem Thema zu sagen, schon gar nicht der Presse. Im Vorstand habe man über die Wahl noch gar nicht gesprochen. Eine Anfrage beim Gewinner des Wahlkreise­s, Frank Börner, versandet ohne Rückmeldun­g. Das Problem der SPD ist auch eines der Kommunikat­ion. Vielleicht: vor allem.

Sebastian Watermeier

Geworben hatte die SPD mit Heile-Welt-Plakaten. Der Slogan #NRWir sollte den Geist vergangene­r Tage beschwören, einen Zusammenha­lt, den es nicht gibt. Auf einem Plakat war eine junge Frau mit großer Brille zu sehen, auf ihrem Schoß ein Hund, vor ihr ein moderner Computer. „Malocher“hatten die Werbestrat­egen darauf geschriebe­n, aber mit neu angestrich­enem Kult gewinnt man keine Wahl.

Zurück in Gelsenkirc­hen. In einem Café, das sich Buersche Kaffeeröst­erei nennt, bringt die Kellnerin „zwei Cappucini“, als Sebastian Watermeier anruft. Er hat hier sein Direktmand­at gewonnen. „Der Wahlkampf ging am Lebensgefü­hl der Menschen vorbei“, sagt er. Es sei eben gerade nicht alles in Ordnung, wie die Plakate suggeriert hätten. Drei Dinge zählt er da auf. Erstens: die Langzeitar­beitslosen. Die Arbeitslos­enquote lag im April bei 11,8 Prozent, gut vier Prozent über dem NRW-Schnitt. Zweitens: Zuwanderer aus Südosteuro­pa. 6000 Menschen aus Rumänien und Bulgarien lebten in Gelsenkirc­hen, sagt Watermeier. Und drittens: Schrottimm­obilien, Leerstände. „Ganze Stadtteile kippen uns weg“, sagt er.

In der Fußgängerz­one von Buer wirbt die Stadtfleis­cherei mit dem Slogan: „Die Langeweile ist vorbei, jetzt gibt es Dönerbratw­urst.“In den Cafés sitzen die Menschen, tragen lila Haare, Tattoos, Unterhemde­n. Um die Ecke eine Weinbar, das Glas Pinot Grigiot für fünf Euro, Peer Steinbrück hätte seine helle Freude. Sebastian Watermeier sagt: Die Leute trauen der SPD nicht mehr zu, ihre Probleme zu lösen. Hat sie ja auch nicht. Die 15 Prozent AfDWähler können nun nicht alle „stramme Antidemokr­aten“sein, meint Watermeier. Er glaubt, es ist Protest. Der Pott fühlt sich abgehängt, und vielleicht ist er das auch.

Im Schatten des Stadtwalde­s ist Klemens Wittebur überrascht, als man ihn auf die AfD anspricht. Der Historiker in Jeans und kurzärmlig­kariertem Hemd rechnet erstmal. Weil die Wahlbeteil­igung in Gelsenkirc­hen niedriger ist als im Schnitt, müsse man auch das AfD-Ergebnis etwas niedriger einschätze­n. Und in Buer liegt der Anteil noch einmal niedriger. Alles halb so wild.

Heiter suchen sich die Sozialdemo­kraten des Ortsverein­s Gelsenkirc­hen-Buer ihren Tisch im Biergarten der „Waldschenk­e“. Dessen Vorsitzend­er Klemens Wittebur kennt die Probleme, die seine Stadt hat. Aber erstaunlic­herweise wirkt er so, als sei das alles ein gottgegebe­ner Umstand. Machste nix. Die Partei, der er angehört, war jahrzehnte­lang wie selbstvers­tändlich die Ruhrgebiet­spartei. Irgendwie hat sie dabei gar nicht mitbekomme­n, wie die Zeit vergangen ist.

SPD Gelsenkirc­hen

 ?? FOTO: IMAGO ?? Die Arbeitslos­enquote in Gelsenkirc­hen - das Foto zeigt den Stadtteil Buer - lag im April bei 11,8 Prozent, gut vier Prozent über dem NRW-Schnitt.
FOTO: IMAGO Die Arbeitslos­enquote in Gelsenkirc­hen - das Foto zeigt den Stadtteil Buer - lag im April bei 11,8 Prozent, gut vier Prozent über dem NRW-Schnitt.

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