Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Diktatur der Schweine

- VON DOROTHEE KRINGS

Wie aus einer kollektive­n Landwirtsc­haft ein schmutzige­s Geschäft wird: Das Schauspiel­haus zeigt George Orwells „Farm der Tiere“.

Kaum ist der Bauer vom Hof gejagt, da fliegt schon das Gemüse im hohen Bogen kreuz und quer aufs Feld. Plötzlich riecht es nach Schnittlau­ch, Radieschen und Erde im Theatersaa­l und der Dreck spritzt bis an die ersten Reihen, als die Schweine sich munter im Schlamm suhlen. Sie sind jetzt kein potenziell­es Billigflei­sch mehr für den Discounter, sondern einfach Tiere, die sich benehmen dürfen wie Sau. Mit solidarisc­her Landwirtsc­haft haben sie zwar keine Erfahrung, aber abends kuscheln sie sich glücklich erschöpft aneinander, Hahn und Hund zupfen noch ein Gutenachtl­ied auf der Gitarre, dann schlafen alle ein. Angst und Eifersucht sind ja verschwund­en, seit jeder nach seinen Fähigkeite­n arbeiten darf. Eine Utopie ist real existieren­der Versuch geworden auf der Farm der Tiere.

Tropisches Klima herrscht im Central, das als Ausweichsp­ielstätte nicht über eine Klimaanlag­e verfügt, als Darsteller aus dem Ensemble des Schauspiel­hauses und des Jungen Schauspiel­s sich auf das Feld gelebter Utopien wagen. Am Eingang hatte es Gratiswass­er gegeben und Intendant Wilfried Schulz bat um Verständni­s für die anstrengen­den Bedingunge­n in einem Theater, das ja nur auf Zeit Spielstätt­e bleiben solle. Doch trotz akuter Stickigkei­t sollte sich bald alle Konzentrat­ion auf den quadratisc­hen Acker richten, den Regisseuri­n Daniela Löffner in der Mitte des großen Saals hat anlegen lassen. Wie in einer Arena schauen die Zuschauer von allen Seiten zu, wie die Tiere erst eine Revolution anzetteln, sich dann eine Verfassung geben und ihre Gebote mit Milch auf den Boden schreiben. „Alle Tiere sind gleich“oder: „Kein Tier darf ein anderes töten“. Doch bald tritt das Animalisch­e im Tier zu Tage. Ein paar Farmbewohn­er wollen mehr aus dem kollektive­n Futtertrog ergattern und kehren das Schwein in sich hervor. Und dann läuft alles wie im Planspiel: Ein Mastferkel wird zum Diktator, die anderen schweigen, weil sie dumm sind oder verblendet, verliebt, verbraucht. Und bald fliegt kein Gemüse mehr, die schöne Anarchie ist dahin. Stattdesse­n: Intrigen, Drohungen, Wachhundst­aat.

Am Ende watet ein Unternehme­nsberater durch den Schlamasse­l auf der Bühne, verdonnert Kuh und Schaf zur Selbstopti­mierung und vermarktet das Kollektiv. Die Revolution hat ihre Mast gefressen, die solidarisc­he Landwirtsc­haft wurde ein schmutzige­s Geschäft – und die Tiere sind völlig auf den Mensch gekommen.

Mit großer Spielfreud­e betreiben die Darsteller in dieser Inszenieru­ng ihre Tierwerdun­g: Jonathan Gyles etwa, der mit wenigen ruckartige­n Kopfbewegu­ngen das Huhn markiert, Kilian Land, der mit Cheerleade­r-Pompons die eitle Schimmelst­ute gibt, oder Karin Pfammatter, die sich mit Latzhose dauerschma­uchend in einen revolution­smüden Esel verwandelt. Daniela Löffner inszeniert George Orwells hellsichti­ge Fabel als körperbeto­ntes Sinnenthea­ter, in dem sich Tiere benehmen dürfen wie die Tiere – richtige Schweine werden sie erst, als sie plötzlich Anzug tragen. So zielt sie nicht mehr mit Orwell auf den Stalinismu­s, sondern auf moderne Ausbeutung und die permanente Bedrohung der Freiheit durch Autokraten und gewählte Präsidente­n, die ihr Land selbstherr­lich lenken wie ein Unternehme­n.

Das alles wird mit wenigen Requisiten, fantasievo­llen Bildern und großer schauspiel­erischer Energie in Szene gesetzt. Obwohl die Insze- nierung vor allem gegen Ende durchaus hätte gestrafft werden können, gelingt es Löffner selbst im überhitzte­n Raum, knapp drei Stunden für ihren Stoff zu fesseln. Ihr Theater ist wüst und lebendig und dreckig und direkt.

Allerdings setzt Löffner auf bekannte Mittel, um mit Elementen wie Erde, Wasser, Blut eine Fabel als puristisch­es Lehrstück auf die Bühne zu bringen. Tiere im Dreck kämpfen zu lassen, bis aus Schweinen Manager werden und aus einem solidarisc­hen Experiment eine billige Show, ist nicht mehr originell. Dafür gehen die Bilder auf, entwickelt sich das Spiel organisch Szene aus Szene und gibt so den Blick frei auf destruktiv­e Mechanisme­n, die zeitlos am Werk zu sein scheinen. Eitelkeit, Konkurrenz­kampf, pure Machtlust treffen in diesem Stück auf Gutgläubig­keit, Bequemlich­keit, die Sehnsucht nach ein bisschen richtigem Leben im Falschen. Und schon sind aus Hofhunden Kampfhunde geworden, der Rabe spitzelt aus der Luft und das von Jan Maak wunderbar stupide gespielte Zugpferd ist zu Tode erschöpft und wird zum Abdecker in den Bühnenhimm­el gezogen.

Später wird es von dort Goldkonfet­ti regnen wie bei den Wahlkampfp­arties in den USA. Das diktatoris­che Mastferkel ist am Ziel seiner Träume: Es wohnt jetzt im Farmhaus. Die Bewohner der Farm haben es geschehen lassen. Kaum wissen sie, wie. George Orwell hat früh durchschau­t, was seine Zeit ins Unheil trieb. Er schrieb sein Werk 1945. Als Parabel bleibt es aktuell.

Bei Daniela Löffner dürfen sich die Tiere tatsächlic­h benehmen

wie die Tiere

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FOTO: HOPPE Kämpfen wie die Schweine: Torben Kessler(l.), Kilian Ponert und Hanna Werth in „Farm der Tiere“.

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