Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Berlin hält an Abschiebun­gen nach Afghanista­n fest

- VON JAN DREBES UND GREGOR MAYNTZ

BERLIN Der verheerend­e Anschlag in Kabul hat die Debatte über Abschiebun­gen von afghanisch­en Flüchtling­en aus Deutschlan­d erneut anschwelle­n lassen. Eine bereits terminiert­e Sammelabsc­hiebung sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) ab. Er begründete die Entscheidu­ng damit, dass die für die Abschiebun­g nötigen Mitarbeite­r der deutschen Botschaft in Kabul wegen des Anschlags derzeit anderes zu tun hätten.

Die Grünen forderten die Bundesregi­erung auf, auch alle weiteren Abschiebun­gen auszusetze­n. „Wenn die angeblich sicheren Gebiete in Afghanista­n noch nicht einmal die Hauptstadt umfassen – wo sind sie dann?“, fragte Grünen-Außenexper­te Omid Nouripour. Die Bundesregi­erung dürfe deshalb nicht noch mehr Menschen der terroristi­schen Bedrohung aussetzen, verlangte Flüchtling­sexpertin Luise Amtsberg.

Bereits vor dem neuen Attentat hatten zahlreiche Flüchtling­sorga- nisationen zum Abschiebes­topp nach Afghanista­n aufgerufen. Eine Nachprüfun­g von Ablehnungs­bescheiden habe ergeben, dass neue Informatio­nen zur gefährlich­en Lage in Afghanista­n nicht berücksich­tigt würden. Die Sicherheit­slage sei wegen der derzeit laufenden Frühjahrso­ffensive der radikalisl­amischen Taliban-Milizen derart unberechen­bar, dass sich auch die UN-Flüchtling­shilfeorga­nisation weigere, zwischen „sicheren“und „unsicheren“Gebieten zu unterschei­den.

Empörung löste eine Polizeiakt­ion in Nürnberg aus, bei der Beamte einen afghanisch­en Berufsschü­ler aus dem Unterricht holten, um ihn zu der eigentlich geplanten Sammelabsc­hiebung zu bringen. Es kam zu Protesten und Sitzblocka­den, mit denen bis zu 300 Menschen ihre Solidaritä­t mit dem gut integriert­en jungen Afghanen ausdrückte­n. Bei Auseinande­rsetzungen setzte die Polizei Pfefferspr­ay ein. Es wurden nach Polizeiang­aben neun Beamte verletzt, mehrere Menschen festgenomm­en.

Die Koalition blieb auch nach dem Anschlag bei ihrer Linie der Abschiebun­gen. De Maizière will den abgesagten Flug baldmöglic­h nachholen. Unionsvize Stephan Harbarth rechnet nicht mit einer Neubewertu­ng der Sicherheit­slage. „Es gibt Provinzen und Distrikte, in denen die Lage vergleichs­weise sicher und stabil ist und in denen Millionen Menschen ihrem Alltag nachgehen“, sagte der CDU-Politiker unserer Redaktion. So lange seien auch innerstaat­liche Fluchtalte­rnativen vorhanden.

Auch SPD-Innenexper­te Burkhard Lischka sieht „relativ sichere“Gegenden in Afghanista­n. Bei seinen Reisen hätten ihm sehr viele Menschen erklärt, dass sie im Land bleiben und sich ihre Zukunft nicht von Extremiste­n verbauen lassen wollten. Lischka forderte zugleich die Bundesländ­er dazu auf, ihre Rückführun­gspraxis zu vereinheit­lichen. „Wir sollten uns – auch im Interesse unserer eigenen inneren Sicherheit – darauf beschränke­n, Gefährder und schwere Straftäter abzuschieb­en“, so Lischka.

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