Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
GÜNTHER OETTINGER Von wegen Dinosaurier retten
Der EU-Kommissar für Haushalt und Personal erläutert, warum Europa ein eigenes Verlegerrecht braucht.
Die Kritik kam prompt: Die einen sprachen von „naiven Vorstellungen“, die anderen wähnten mich im „präfaktischen Zeitalter“, und eine OnlineZeitung titelte gar: „Oettinger gefährdet das Internet.“Das war im Herbst 2016. Heute – acht Monate später – werbe ich mit Nachdruck weiterhin für den Vorschlag, der mir diese Kritik einbrachte: ein eigenes Verlegerrecht. Nach dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom September 2016 bekommen Verlage erstmals das Recht, für die Verwertung ihrer Artikel auf Webplattformen eine Bezahlung verlangen zu können.
Jetzt mag mancher denken: Warum meldet er sich wieder zu Wort? Was hat das mit dem Portfolio Haushalt und Personal zu tun? Die Antwort ist: Als Mitglied der Europäischen Kommission bin ich für alle Vorschläge mitverantwortlich und bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir handeln müssen. Der Richtlinienvorschlag ist auf dem Tisch, in den nächsten Monaten will der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments Stellung nehmen, und schon Ende des Jahres könnten die Verhandlungen mit dem Ministerrat beginnen. Das ist ein klares Zeitfenster, in dem die richtigen Weichen gestellt werden müssen. Ist das nicht der Fall – und da stimmen mich die Diskussionen in EU-Parlament und Ministerrat nicht nur positiv –, verpassen wir die vielleicht letzte Chance, unsere Verlage und damit die Vielfalt unserer Medien in Europa und unsere Demokratie zu stärken. In zehn Jahren könnte es schon zu spät sein.
Die Branchenzahlen sprechen Bände: Zwar bekommen die Online-Ausgaben der Zeitungen von Google und anderen Aggregatoren zusätzliche Leser. Von einem tragfähigen Geschäftsmodell kann man allerdings nicht sprechen. So hatten die europäischen Verlage im Bereich Printmedien in dem Zeitraum 2010 bis 2014 Umsatzeinbußen von 13,5 Milliarden Euro zu verzeichnen, demgegenüber stand aber nur ein Plus von vier Milliarden Euro bei den Online-Medien der Verlage. Das macht ein Minus von 9,5 Milliarden Euro. Eine Trendumkehr ist nicht in Sicht, vielmehr das Gegenteil.
Aus rein marktwirtschaftlicher Perspektive könnte man der Meinung sein, die Medienunternehmen hätten den Trend verschlafen und seien als Unternehmen selbst für ihre Bilanzen verantwortlich. Warum die Dinosaurier der Branche künstlich alimentieren, wenn die Zeichen der Zeit auf Twitter und Facebook stehen? Aber Medienunternehmen sind nicht nur Unternehmen. Sie sind für unsere Demokratie unabdingbar. Wenn immer mehr gespart wird, Redaktionen schließen oder zusammengelegt werden, Journalisten immer weniger Zeit haben zu recherchieren und Dinge zu hinterfragen, muss uns dies im postfaktischen Zeitalter in Alarmstimmung versetzen. In einer Zeit, in der unser Verständnis von Demokratie, Pluralismus, Offenheit in Bedrängnis gerät, brauchen wir Qualitätsjournalismus mehr denn je. Den gibt es aber nicht umsonst. Qualität kann nur sichergestellt werden, wenn Unternehmen auch die nötigen Einnahmen haben, dies zu finanzieren, sei es im Gedruckten oder auch online.
Das gilt für bestehende Unternehmen, aber auch für neue. Die neuen Bestimmungen werden Verlegern einen klaren Rechtsrahmen an die Hand geben, um auch neue Geschäftsmodelle im digitalen Umfeld zu erproben. So bietet etwa der Newsaggregator „Blendle“einzelne Artikel verschiedenster Zeitungen gegen Bezahlung an. Im Verlags
sektor sind lizenzierte Mehr- markendienste, die mit Netflix oder Spotify vergleichbar sind, erst im Entstehen.
Es wird nicht vorgegeben, dass ein Verlag von den Webplattformen Geld verlangen muss – er hat jedoch erstmals das Recht dazu. Genauso wenig legen wir die Höhe der Bezahlung fest. Das ist Verhandlungssache. Dies versetzt große wie kleine Presseverlage, etablierte wie neue Marktteilnehmer in die Lage, selbst über die Verwendung ihrer Inhalte zu entscheiden.
Entgegen mancher falscher Behauptung ändert sich für das reine Verlinken von Texten nichts. Bürger und Bürgerinnen können dies weiter tun. Aber die geschäftsmäßige Verwendung von Inhalten der Medien wird nicht mehr ohne Zustimmung möglich sein. Dazu kommt noch: Das eigentliche Urheberrecht bei Texten oder Ausschnitten gibt es für Autoren schon längst. Dieses Urheberrecht erfasst aber nicht „snippets“, also Kleinst-Textausschnitte. Dazu setzen wir auf das Verlegerrecht. Nur so werden Medienunternehmen in die Lage versetzt, mit den Internetunternehmen auf Augenhöhe Vereinbarungen zu treffen und Lizenzen zu verhandeln. Weil wir dieses Recht auf EU-Ebene einführen wollen, glauben wir, dass es – im Unterschied zum deutschen Leistungsschutzrecht – auch wirksam sein wird. Denn auf einen nationalen Markt könnte ein internationales Unternehmen wie Facebook oder Google noch verzichten, auf 500 Millionen Verbraucher in der EU nicht.
Unser Ziel ist es, geistiges Eigentum und die Kreativwirtschaft zu schützen und dadurch einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft von morgen und für unsere Demokratie auf europäischer Ebene zu leisten.