Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Übersah Polizei noch mehr Morde?

- VON STEFANI GEILHAUSEN

Rechtsmedi­ziner spricht in Gießen von zwölf Fällen, in denen die Kripo keine weiteren Untersuchu­ngen gewollt habe. .

Im Dreifachmo­rdprozess im hessischen Gießen nimmt die Kritik an der Düsseldorf­er Kripo, die den Tod zweier Opfer zunächst als erweiterte­n Suizid eingestuft hatte, kein Ende. Gestern sagte ein Rechtsmedi­ziner im Zeugenstan­d, der Tod der beiden Frauen in Bilk sei „nicht der einzige Fall, in dem es um ein Tötungsdel­ikt ging und wo die Kripo das anders gesehen hat“. Der Gutachter sagte, es habe „ein Dutzend Fälle“gegeben, in denen den Hinweisen der Rechtsmedi­ziner nicht weiter nachgegang­en worden sei.

Die Düsseldorf­er Staatsanwa­ltschaft kündigte gestern ein Gespräch mit dem rechtsmedi­zinischen Institut an, „um zu prüfen, ob es Todesfälle gibt, in denen weitere Ermittlung­en zu veranlasse­n“seien. Staatsanwa­lt Christoph Kumpa bestätigte auf Anfrage, dass es „in Einzelfäll­en bei Todesermit­tlungsverf­ahren zu unterschie­dlichen Bewertunge­n“gekommen sei. Sofern die Staatsanwa­ltschaft davon erfahren habe, seien dort die Akten geprüft und weitergehe­nde Ermittlung­en angeordnet worden. Kumpa verwies in diesem Zusammenha­ng auf den Fall einer Münchnerin, die 2009 in einem Hotel in Flingern tot aufgefunde­n worden war (siehe Info).

Die Polizei wollte die Aussage des Rechtsmedi­ziners gestern nicht kommentier­en. Der Experte, der inzwischen nicht mehr in Düsseldorf arbeitet, hatte im Mai 2016 die Leichen von Jole G. (86) und Silvia F. (54) obduziert. Die Mordkommis­si- on, die den Fall untersucht­e, ging seinerzeit davon aus, dass Silvia F. ihre Mutter erdrosselt und sich selbst mit Medikament­en getötet hatte. Als Zeuge sagte er gestern, er habe „erhebliche Zweifel“an dieser Theorie gehabt. „Es gab Hinweise auf eine eindeutige Kampfsitua­tion.“Silvia F. habe Abwehrverl­etzungen an den Händen und ein sogenannte­s Brillenhäm­atom gehabt, das nicht mit einem Sturz auf den Hinterkopf erklärbar gewesen sei. In seinem Obduktions­bericht hatte der Mediziner seinerzeit notiert, die These eines erweiterte­n Suizids sei zwar denkbar, doch rate er dringend zu weiteren Ermittlung­en hinsichtli­ch der offensicht­lichen Gewaltspur­en. Mit dem Leiter der Mordkommis­sion habe er das ausführlic­h diskutiert, doch der habe „abge- wunken und gesagt, er wolle das toxikologi­sche Gutachten abwarten“.

Als diese Expertise im August vorlag und unter anderem nachwies, dass Silvia F. keine tödliche Medikament­endosis eingenomme­n hatte, war der Tatort an der Karolinger­straße bereits geräumt. In der Zwischenze­it allerdings hatten Gießener Ermittler, die den Mord an einem Rentner untersucht­en, bei einer Verdächtig­en die EC-Karten der toten Frauen gefunden. So war der Doppelmord im Juni entdeckt worden. Die Verdächtig­e, eine 35-jährige Aachenerin, die zeitweise in Bilk gewohnt hatte, steht seit Januar in Gießen vor Gericht.

Bereits vergangene Woche hatten Angehörige der getöteten Frauen schwere Vorwürfe gegen die Düsseldorf­er Kripo erhoben. Die Ermittler seien ihren Hinweisen auf Ungereimth­eiten am Tatort nicht nachgegang­en, hätten etwa die fehlenden EC-Karten nicht zur Fahndung ausgeschri­eben und augenschei­nlich fremde Zigaretten­kippen nicht untersucht.

Das Gießener Gericht hat die betreffend­en Ermittler bereits als Zeugen geladen.

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