Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch
Übersah Polizei noch mehr Morde?
Rechtsmediziner spricht in Gießen von zwölf Fällen, in denen die Kripo keine weiteren Untersuchungen gewollt habe. .
Im Dreifachmordprozess im hessischen Gießen nimmt die Kritik an der Düsseldorfer Kripo, die den Tod zweier Opfer zunächst als erweiterten Suizid eingestuft hatte, kein Ende. Gestern sagte ein Rechtsmediziner im Zeugenstand, der Tod der beiden Frauen in Bilk sei „nicht der einzige Fall, in dem es um ein Tötungsdelikt ging und wo die Kripo das anders gesehen hat“. Der Gutachter sagte, es habe „ein Dutzend Fälle“gegeben, in denen den Hinweisen der Rechtsmediziner nicht weiter nachgegangen worden sei.
Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft kündigte gestern ein Gespräch mit dem rechtsmedizinischen Institut an, „um zu prüfen, ob es Todesfälle gibt, in denen weitere Ermittlungen zu veranlassen“seien. Staatsanwalt Christoph Kumpa bestätigte auf Anfrage, dass es „in Einzelfällen bei Todesermittlungsverfahren zu unterschiedlichen Bewertungen“gekommen sei. Sofern die Staatsanwaltschaft davon erfahren habe, seien dort die Akten geprüft und weitergehende Ermittlungen angeordnet worden. Kumpa verwies in diesem Zusammenhang auf den Fall einer Münchnerin, die 2009 in einem Hotel in Flingern tot aufgefunden worden war (siehe Info).
Die Polizei wollte die Aussage des Rechtsmediziners gestern nicht kommentieren. Der Experte, der inzwischen nicht mehr in Düsseldorf arbeitet, hatte im Mai 2016 die Leichen von Jole G. (86) und Silvia F. (54) obduziert. Die Mordkommissi- on, die den Fall untersuchte, ging seinerzeit davon aus, dass Silvia F. ihre Mutter erdrosselt und sich selbst mit Medikamenten getötet hatte. Als Zeuge sagte er gestern, er habe „erhebliche Zweifel“an dieser Theorie gehabt. „Es gab Hinweise auf eine eindeutige Kampfsituation.“Silvia F. habe Abwehrverletzungen an den Händen und ein sogenanntes Brillenhämatom gehabt, das nicht mit einem Sturz auf den Hinterkopf erklärbar gewesen sei. In seinem Obduktionsbericht hatte der Mediziner seinerzeit notiert, die These eines erweiterten Suizids sei zwar denkbar, doch rate er dringend zu weiteren Ermittlungen hinsichtlich der offensichtlichen Gewaltspuren. Mit dem Leiter der Mordkommission habe er das ausführlich diskutiert, doch der habe „abge- wunken und gesagt, er wolle das toxikologische Gutachten abwarten“.
Als diese Expertise im August vorlag und unter anderem nachwies, dass Silvia F. keine tödliche Medikamentendosis eingenommen hatte, war der Tatort an der Karolingerstraße bereits geräumt. In der Zwischenzeit allerdings hatten Gießener Ermittler, die den Mord an einem Rentner untersuchten, bei einer Verdächtigen die EC-Karten der toten Frauen gefunden. So war der Doppelmord im Juni entdeckt worden. Die Verdächtige, eine 35-jährige Aachenerin, die zeitweise in Bilk gewohnt hatte, steht seit Januar in Gießen vor Gericht.
Bereits vergangene Woche hatten Angehörige der getöteten Frauen schwere Vorwürfe gegen die Düsseldorfer Kripo erhoben. Die Ermittler seien ihren Hinweisen auf Ungereimtheiten am Tatort nicht nachgegangen, hätten etwa die fehlenden EC-Karten nicht zur Fahndung ausgeschrieben und augenscheinlich fremde Zigarettenkippen nicht untersucht.
Das Gießener Gericht hat die betreffenden Ermittler bereits als Zeugen geladen.