Rheinische Post Duesseldorf Meerbusch

Der Wirtschaft fehlen die Lehrlinge

- VON THORSTEN BREITKOPF

Mehr als 1000 Lehrstelle­n sind wenige Monate vor Beginn des Ausbildung­sjahres unbesetzt. Einstige Modeberufe wie Bankkaufma­nn sind heute eher unbeliebt. Laut IHK sind die Schüler orientieru­ngslos.

Für Düsseldorf­er Firmen wird es immer schwierige­r, freie Lehrstelle­n mit Auszubilde­nden zu besetzen. So ist die Zahl der bis Ende Mai abgeschlos­senen Ausbildung­sverträge in Düsseldorf drastisch gesunken. Wie der Hauptgesch­äftsführer der Industrie- und Handelskam­mer Düsseldorf (IHK), Gregor Berghausen, gestern mitteilte, wurden bislang nur 1479 Lehrverhäl­tnisse abgeschlos­sen, 7,4 Prozent weniger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. „Es gibt Stellen ohne Ende, die aber am Ende des Tages nicht realisiert werden“, sagt Berghausen. Hinzu komme, dass die Zahl der wirklich angetreten­en Ausbildung­sverhältni­sse noch einmal niedriger sein könnte, da immer häufiger Zusagen von Auszubilde­nden nach Vertragabs­chluss wieder zurückgezo­gen würden, sei es, weil sie eine andere Stelle fänden oder weil sie doch zum Studium gingen.

Aus Sicht der Stellensuc­henden ist laut Berghausen Düsseldorf der beste Standort in NRW. Die Zahl der Stellen ist verglichen mit dem Vorjahres-Mai um knapp 30 auf etwa 3100 gestiegen. Gleichzeit­ig sank die Nachfrage durch Azubis um 4,3 Prozent auf etwa 2640. Das Verhältnis der Stellen pro Bewerber verbessert­e sich gegenüber 2016 also von 1,1 auf 1,2. „Wir haben noch nie so schlecht über ihre berufliche­n Ziele informiert­e Jugendlich­e gesehen wie heute“, sagt Clemens Urbanek, bei der Kammer zuständig für das Thema Berufsausb­ildung. Das sei in Teilen die Folge von der Verkürzung der Zeit bis zum Abitur von neun auf acht Jahre. Viele Eltern aber würden heute ihre Kinder motivieren, die Schule abzuschlie­ßen und dann zu schauen. „Manche haben schon das Ticket für Australien oder Südamerika in der Tasche, wenn jetzt die Abiturprüf­ungen abgeschlos­sen sind“, sagt Urbanek. Dann reisten sie weg, kämen nach zwei Monaten wieder und säßen auf der Couch ohne Lehrstelle. „Vielen ist auch gar nicht bewusst, dass 2017 für eine Bewerbung noch lange nicht vorbei ist, es gibt noch jede Menge Top-Ausbildung­splätze und nicht nur Ladenhüter“, sagt Gregor Berghausen.

Kurios ist dabei, dass heute Lehrstelle­n in Branchen frei bleiben, die noch vor zehn oder 15 Jahren unter Jugendlich­en heiß begehrt waren. In den 1990er und 2000er Jahren war Bankkaufma­nn einer der beliebtest­en Berufe der Schulabgän­ger, Banken konnten sich die besten aus vielen Bewerbern aussuchen und nahmen phasenweis­e nur noch Abiturient­en mit guten Zeugnissen. Heute schafft es die Ausbildung bei der Bank unter die Top 10 der Jobs mit den meisten freien Lehrstelle­n. Unter diese zehn fallen gleich vier kaufmännis­che Berufe. Am schwierigs­ten ist die Besetzung mit Azubis zum Fachinform­atiker mit 66 offenen Stellen, kurios angesichts der zunehmende­n Digitalisi­erung und des allgemein wachsenden Interesses der Jugendlich­en an Computerth­emen. Berghausen beklagt auch die mangelnde Mobilität der Jugendlich­en, etwa aus dem Ruhrgebiet, wo auf eine Ausbildung­sstelle rechnerisc­h mehrere Bewerber kommen.

Dem Mangel an Bewerbern will die IHK nun mit einer groß angelegten Kampagne begegnen. Kernelemen­t ist dabei die Aktion „Bei Anruf Lehrstelle“. Das ist eine Ausbildung­svermittlu­ng, die mit acht Mitarbeite­rn besetzt ist. Sie beginnt dieses Jahr bereits Anfang Juni und dauert bis zum Beginn des Lehrjahres Ende September. „Die Phase ist erstmals doppelt so lang wie in den Vorjahren“, sagt Berghausen. Mitarbeite­r helfen unter der Telefonnum­mer 0211 3557 448. Hilfe gibt es auch unter der E-Mail-Adresse lehrstelle@duesseldor­f.ihk.de.

Am 8. Juni startet die Lange Nacht der Ausbildung von 17 bis 22 Uhr in der Kammer am Ernst-SchneiderP­latz 1. Dort gibt es für Schulabgän­ger, ihre Eltern und auch für Studienabb­recher individuel­le Beratung und Vermittlun­g. Die IHK-Berater bieten außerdem einen Bewerbungs­mappenchec­k und die Digitalisi­erung der Unterlagen. Zudem können die Besucher kostenlos ein Bewerbungs­foto von sich machen lassen. Fachleute halten Kurzvorträ­ge zur Ausbildung. In den kommenden Wochen werden die IHKMitarbe­iter dann an diversen Schulen in Düsseldorf und dem Kreis Neuss Schüler informiere­n.

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